Bund soll mehr zur Sicherheit der Juden beitragen

Die jüdischen Gemeinden bezahlen die Kosten für ihre Sicherheit teilweise selber. Der Bund betrachtet sich bisher nur begrenzt als zuständig, und die Kantone ergreifen nicht alle nötigen Massnahmen. Doch jetzt kommt Bewegung in die Sache – unter Beteiligung von gleich zwei Bundesräten.

Daniel Gerny
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Synagoge der Israelitischen Cultusgemeinde in Zürich. (Bild: Karin Hofer)

Synagoge der Israelitischen Cultusgemeinde in Zürich. (Bild: Karin Hofer)

Der Schutz jüdischer Gemeinden vor terroristischen Anschlägen ist innert weniger Wochen zu einem wichtigen Thema auf Bundesebene und in verschiedenen Kantonen geworden. Noch im November hatte der Bundesrat festgestellt, der Bund sei für die Finanzierung nicht zuständig. Etwas lapidar empfahl er in einem Bericht, jüdische Organisationen sollten für die Sicherheitskosten doch eine Stiftung errichten. Nicht nur die unmittelbar betroffenen Kreise reagierten mit Konsternation und Kopfschütteln auf den irritierenden Ratschlag im Bericht über die Massnahmen des Bundes gegen Antisemitismus in der Schweiz. Denn tatsächlich bezahlen die jüdischen Gemeinden schon heute selbst für ihre Sicherheit – in Zürich sind es jedes Jahr 1,5 Millionen Franken.

Bund kann sich nicht davonstehlen

Ob beabsichtigt oder nicht – der Bund hat mit seiner Sichtweise eine bemerkenswerte Dynamik ausgelöst: Kurz nach Erscheinen des Berichts unterstützte eine Mehrheit von ganz links bis ganz rechts im Zürcher Kantonsrat einen Vorstoss, der mehr Engagement «für bedrohte Bevölkerungsgruppen und ihre Institutionen» verlangt. Wenige Tage später folgte der Gemeinderat der Stadt Zürich. In den eidgenössischen Räten reagierten gleich mehrere Abgeordnete mit Vorstössen. Auch in den Kantonen Aargau und Basel-Stadt landete das Thema auf der Traktandenliste. In Basel soll der Kanton nach dem Wunsch der liberalen Grossrätin Patricia von Falkenstein gar einen Betrag von 800 000 Franken bereitstellen, um den Aufwand der jüdischen Gemeinde für ihre Sicherheit zu vergüten.

Und auch die Bundesbehörden werden nun aktiv: Im März wird mit der Antwort auf einen Vorstoss des Zürcher Ständerates Daniel Jositsch gerechnet, der den Bundesrat beauftragen will, zusammen mit den Kantonen Massnahmen zum Schutz von besonders bedrohten religiösen Gemeinschaften auszuarbeiten. Wirkung zeigt der Vorstoss aber bereits zuvor: Übernächste Woche berät der Sicherheitsverbund Schweiz, ein sicherheitspolitisches Koordinationsorgan des Bundes und der Kantone, über den Schutz für jüdische Gemeinden. Beim Sicherheitsverbund mit am Tisch: die Bundesräte Simonetta Sommaruga (EJPD) und Guy Parmelin (VBS). Damit wird klar: So einfach, wie es der Bericht vom November formuliert, kann sich der Bund nicht aus der Verantwortung stehlen.

Notters maliziöse Worte

Genau zu diesem Schluss kommt auch der frühere Zürcher Justizdirektor Markus Notter (sp.). Es brauche ein schweizerisches Konzept für den Schutz der jüdischen Gemeinschaften und ihrer Einrichtungen, schreibt Notter in einem juristischen Gutachten im Auftrag des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Die Verantwortung des Bundes ergibt sich laut Notter nicht nur aus der Staatsschutzkompetenz sowie aus seiner Zuständigkeit bei der Strafverfolgung von terroristischen Handlungen, sondern auch direkt aus der Bundesverfassung: denn die Schweiz habe sich mit dem Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten völkerrechtlich verpflichtet. Kurz: «Der Bund kann sich nicht auf eine passive Haltung zurückziehen und seine Verantwortung durch die lose Teilnahme an Koordinationssitzungen als erfüllt betrachten.»

Notters maliziöse Formulierung macht es deutlich: Es geht letztlich nicht bloss um Organigramme, sondern um die Kosten. Dass die Bereitschaft zur finanziellen Beteiligung auf Bundesebene bisher begrenzt ist, hat der unglückliche Bericht über Massnahmen gegen Antisemitismus zum Ausdruck gebracht. Die Polizeikorps in den Kantonen und Gemeinden befinden sich ebenfalls an der Belastungsgrenze. Und dass die Kantone für private Security-Dienstleistungen bezahlen, die sie eigentlich selbst erbringen müssten, ist in diesem Kernbereich der Sicherheit ebenfalls kein Wunschszenario. Zudem stellt sich die Frage, welche Ansprüche andere Religionsgemeinschaften angesichts der wachsenden Bedrohung haben.

Der Bund klärt ab

«Die Gefährdungslage hat sich in letzter Zeit stark verändert», stellt Notter in seinem Gutachten fest: Es handle sich deshalb um eine neue Aufgabenstellung, die auch zusätzlicher Ressourcen bedürfe. Der Bund hat seine Position noch nicht festgelegt: Eine interdepartementale Arbeitsgruppe kläre ab, ob das bestehende Schutzdispositiv für die betroffenen Religionsgemeinschaften genüge, erklärt das Bundesamt für Justiz (BJ) dazu auf Anfrage. Doch es ist davon auszugehen, dass sich der Bund künftig stärker engagieren muss – nicht nur aus rechtlichen Gründen: Die Stimmung in den Kantonsparlamenten zeigt, dass der Schutz jüdischer Gemeinden ein politisch breit abgestütztes Anliegen ist.