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Kommentar über Griechen und Türken Tsipras könnte im Konflikt mit der EU vermitteln

An diesem Donnerstag wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die griechische Führung in Athen treffen. Von einer Verbesserung der Beziehungen könnten beide Seiten profitieren, schreibt Frank Nordhausen.
06.12.2017, 22:39 Uhr
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Von Frank Nordhausen

Das Treffen gilt bereits als historisch, bevor es stattgefunden hat. Am Donnerstag wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die griechische Führung in Athen treffen. Erdogan ist seit 65 Jahren das erste Staatsoberhaupt der Türkei, das den Nachbarn besucht. Er folgt einer Einladung des griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos und wird auch mit dem Ministerpräsidenten Alexis Tsipras zusammentreffen. Während türkische Ministerpräsidenten immer wieder zu Gast in Griechenland waren, fand der letzte Besuch eines Staatschefs 1952 statt.

Der enorme Zeitabstand spiegelt das angespannte, von Misstrauen geprägte Verhältnis der beiden Ägäis-Nachbarn wider. Umso größer ist die symbolische Bedeutung des Treffens. Von einer substanziellen Verbesserung der Beziehungen könnten beide Seiten profitieren – die Griechen in punkto Sicherheit und Flüchtlingskrise, die Türken in Bezug auf eine Verbesserung der zuletzt arg lädierten Beziehungen zur Europäischen Union.

Besuch einer türkischen Minderheit in Westthrazien

Erdogan macht es den Griechen allerdings nicht einfach. Er plant zunächst einen Besuch der rund 100.000 Menschen starken türkischen Minderheit in Westthrazien. Zu hoffen ist, dass der türkische Präsident dort versöhnliche Töne findet und nicht ethnische Spannungen anheizt. Für Alexis Tsipras, dessen Regierung wegen Korruptionsvorwürfen unter Druck steht, wäre das politisches Gift, denn sie würde als Angriff auf die nationalen Interessen gewertet werden. Es ist verständlich, dass die griechische Regierung deshalb eine Versammlung in der Stadt Komotini nicht genehmigte, aber es zeigt, wie sensibel das Thema auch hundert Jahre nach dem griechisch-türkischen Krieg von 1919 bis 1922 noch ist.

Die nächste Hürde: Erdogan wird in Athen wohl auch die Auslieferung von acht türkischen Armeeoffizieren fordern, die nach dem Putschversuch vom Juli 2016 mit einem Hubschrauber nach Griechenland flüchteten und dort im Januar politisches Asyl erhielten. Ankara betrachtet die Männer als Terroristen; der Fall belastet die Beziehungen ebenso wie die Tatsache, dass inzwischen mehr als tausend türkische Bürger in Griechenland Asyl beantragt haben. Dass die griechische Polizei vergangene Woche neun kurdische Linksextremisten aus der Türkei festnahm, die angeblich ein Bombenattentat auf Erdogans Autokolonne in Athen planten, kann daher als Geste an Ankara verstanden werden, dass man den Kampf gegen den Terror ernst nimmt – ebenso wie die angekündigten massiven Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz des Staatsgastes.

Ein andauerndes Ärgernis zwischen den beiden Nato-Partnern sind die militärischen Probleme zu Wasser und in der Luft, weil die Türkei griechische Grenzlinien nicht anerkennt. Immer wieder überfliegen türkische Jets unbewohnte griechische Inseln, die Ankara für sich beansprucht. Doch auch die Griechen verletzen die türkische Souveränität. Die Modernisierung der griechischen F-16-Kampfjets für 2,4 Milliarden Dollar, die Alexis Tsipras im Oktober bei einem Besuch in Washington vereinbarte, hat Ankara alarmiert. Während Tsipras erklärte, die Beziehungen seines Landes zu den USA seien „seit dem Zweiten Weltkrieg nie besser gewesen“, ist das türkisch-amerikanische Verhältnis auf einem historischen Tiefpunkt angekommen. Aufgrund ihrer zunehmenden Isolation könnte die Türkei stärker an der Zusammenarbeit mit Griechenland interessiert sein.

Gemeinsame Infrastrukturprojekte

Im Vordergrund des Besuchs dürften aber große gemeinsame Infrastrukturprojekte stehen, über die Erdogan reden will: eine neue Grenzbrücke über den Evros in Thrakien, eine Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Istanbul und Thessaloniki und die Ausweitung der Fährverbindungen in der Ägäis, vor allem zwischen den Metropolen Izmir und Thessaloniki. Es wird außerdem um den zuletzt wieder angestiegenen Flüchtlingsstrom aus der Türkei gehen und um eine verbesserte Zusammenarbeit bei der Terrorabwehr.

Auch auf der geteilten Mittelmeerinsel Zypern weckt der Erdogan-Besuch Hoffnungen auf einen neuen Impuls für die im Juli ergebnislos abgebrochenen Genfer Gespräche zur Wiedervereinigung. Erdogans Interesse dürfte sich weniger auf Zypern als darauf richten, in Tsipras einen Partner zu finden, der ihm hilft, die Spannungen zwischen der Türkei und der EU zu verringern. Der griechische Premier hat mehrfach erkennen lassen, dass er eine Mittlerrolle einnehmen könnte. Für die Sicherheit Europas wäre es zu begrüßen. Doch ob es der Türkei hilft, hängt auch davon ab, inwieweit sie sich wieder den demokratischen Werten zuwendet.

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