Warum Deutschland ein Innovationsproblem hat. Noch.

Warum Deutschland ein Innovationsproblem hat. Noch.

Preußische Tugenden haben dazu beigetragen, dass deutsche Produkte von höchster Qualität sind und die Bundesrepublik binnen weniger Jahrzehnte zu einer der führenden Wirtschaftsnationen aufgestiegen ist. Soweit die gute Nachricht.

Die schlechte: Bei Internetdienstleistungen, Computerhard- und Software wird der Markt von US- amerikanischen und asiatischen Firmen dominiert.

Woran liegt es, dass in den Zukunfts-Branchen außer SAP keine deutsche Firma unter den weltweiten Top 10 rangiert?

These: Dieselbe Kultur, die dazu beigetragen hat, dass Deutschland 2015 Exportweltmeister wurde, stellt uns im Rennen der wichtigen Wachstumsbranchen des dritten Jahrtausends ein Bein.

In jenen Branchen, die mit Google, Apple, Microsoft oder Samsung die wertvollsten Marken der Welt stellen, braucht es offenbar mehr als Geradlinigkeit, Gewissenhaftigkeit und Ordnungssinn. Die Tatsache, dass Deutschland es im Global Innovation Index seit Jahren nicht unter die Top 10 schafft spricht für sich.

Um den Hintergrund zu verstehen, lohnt ein Blick zurück.

Die prägenden Konzepte unseres Bildungssystems stammen aus dem ausgehenden 19 Jahrhundert. Nach modernen entwicklungspsychologischen Erkenntnissen ist dieses System alles andere als zeitgemäß, denn es versucht, die Schüler mit Informationen vollzustopfen anstatt Raum für das Finden unkonventioneller Lösungen zu bieten. Darunter leiden insbesondere kreative Köpfe. So hatten auffällig viele Elite-Denker (u.A. Gates, Einstein, Edison, Mozart) große Probleme in der Schule. Statt weltoffene Querdenker produziert unser Bildungssystem eine Heerschar von braven Angestellten.

Innovation = try and error

Wir haben also ein soziokulturelles Problem, das bei der Bildung beginnt - aber leider nicht endet. Denn im Berufsleben ist die Situation entsprechend. In deutschen Hierarchien macht Karriere, wer innerhalb der Norm bleibt und nicht negativ auffällt. Wer sich mit unkonventionellen Ideen aus dem Fenster lehnt, wird schnell als „Kreativer Spinner“ gebrandmarkt. Und macht sich angreifbar. Denn die Verantwortung für eine erfolglose Idee bedeutet in einem deutschen Unternehmen meist einen Karriereknick. In Firmen wie Facebook, Google oder Apple hingegen wird dem Management nicht nur erlaubt, Fehler zu machen, es wird vielmehr gefordert. Der Fehler wird als notwendiger Bestandteil des innovativen Prozesses gesehen. So hat man in Cupertino neun Flops produziert, bevor Innovationen wie iPod und iPhone Apple zur wertvollsten Marke der Welt gemacht haben.

Mit der Prämisse ‚Risikominimierung’ lässt sich jedoch weder iPhone noch Jetbike erfinden, nicht einmal eine Hornbach-Kampagne.

Schon gar nicht nach dem Prinzip des ‚Benchmarking’. Denn dieser irreführende Begriff beschreibt mitnichten das Setzen kreativer Benchmarks sondern das Beobachten des Wettbewerbs samt Reaktion auf Erfolgskonzepte. Das hat jahrelang funktioniert. Doch ebenso wie der Fußball in den letzten 20 Jahren an Dynamik gewonnen hat, dreht sich auch die Welt der Wirtschaft heute erheblich schneller.

Entsprechend hilflos wirkt in dem Zusammenhang eine Ankündigung von Porsche im Herbst 2015, binnen drei Jahren ein serienreifes 600 PS starkes Coupé mit E-Antrieb und 500 km Reichweite produzieren zu wollen. Dass Tesla ein solches Fahrzeug bereits eingeführt hat – allerdings mit überlegenen Werten – zeigt, wie es um den vermeintlichen Innovationsführer-Status der deutschen Autoindustrie steht.

Wer seine Innovationsprozesse dann noch mit deutscher Gründlichkeit, sprich epischen Marktstudien, Pre-Tests, Post-Tests, Optimierungs-Rehearsals und Bedenken-Analysen betreibt, wird nicht nur in den schnelllebigen IT-Märkten einen Schritt zu spät sein, q.e.d.

Last not least das Thema Marketing.

‚Finde den Fehler’ statt ‚Finde die herausragende Idee’.

In einer Zeit, in der Produktvorteile, sofern überhaupt vorhanden, binnen einer Saison vom Wettbewerb egalisiert werden, muss kreatives Marketing die entscheidende Speerspitze sein. Meine 25-jährige Erfahrung in Markenstrategie und -Kommunikation für große Marken ist jedoch, dass sehr viele außergewöhnliche Ideen beim Gang durch die Hierarchie-Ebenen zerredet werden. Typisch deutsch ist es, den Fehler zu suchen und nicht die herausragende, mutige, neue Idee.

Doch ich möchte enden, wie ich begonnen habe: Mit einer guten Nachricht.

Wir Deutsche haben durchaus kreatives Potenzial und können auch in Punkto Innovation wieder ganz vorne mitspielen. Wir müssen lediglich unsere Einstellung gegenüber Ideen ändern.

Und ein paar Regeln befolgen:

1. Fragen Sie bei neuen Ideen nicht „Warum?“ sondern „Warum nicht?“.

Einstein hat gesagt, dass eine Idee, die nicht zunächst absurd klingt, nichts taugt. Prüfen Sie sich selbst: Hätten Sie in den Achtzigern für eine seriöse Branche wie Mietwagen eine provokante Werbung freigegeben wie Sixt? Oder 2007 ein Handy produziert, das ein Vielfaches dessen kostet, was die Masse bislang auszugeben bereit ist?

2. Riskieren Sie etwas. Frei nach Edison („I have not failed. I’ve just found 10.000 ways that won ́t work.“) gibt es keinen Fortschritt ohne try & error - mostly error. Und wenn man Sie nicht lässt, riskieren Sie, in einem anderen Unternehmen glücklicher zu werden.

3. Erfolgreiche Marken haben gute Produkte. Sehr erfolgreiche Marken haben eine Haltung. Erarbeiten Sie einen Markenkern, den auch der Pförtner versteht und leiten Sie daraus eine Haltung ab. Eine Haltung beinhaltet einen höheren Zweck:

-Apples Markenkern „Empowers your creativity“ mündet nicht zufällig in puritischem Design. Ihm liegt die Haltung zugrunde, dass Geräte und Programme dafür so intuitiv sein müssen wie möglich. Einfachheit schafft Identifikation und Grundvertrauen. Ein echter Apple-Fan wankt auch dann nicht wenn Samsung mal ein technisch besseres Handy baut.

-Dove hat seit der Repositionierung im neuen Jahrtausend eine Haltung die besagt dass wahre Schönheit keine Idealmaße braucht. Und mit ungewöhnlicher Werbung ohne viel Mediadruck zig Millionen Fans generiert. Plus zweistellig gestiegene Marktanteile und eine Vervielfachung des Firmenwertes.

Nur zwei Beispiele, die zeigen: Es geht. Ideen können den Unterschied machen – wenn man sie lässt. Mein Wunsch für 2016 ist daher, dass wir künftig zweimal nachdenken, wenn uns jemand eine „verrückte Idee“ präsentiert.

Kai Hebenstreit

Mitarbeitergewinnung und digitale HR-Lösungen für mittelständische Steuerberater.

7y

In Deutschland pflegen wir deduktives Denken. Also das Beobachten funktionierender Systeme, um dann daraus Erfolgsfaktoren abzuleiten. Ich Stimme Ihnen zu - Diese Art der deutschen Innovationsdenke ist rückwärts gewandt. Folglich immer einen Schritt hinterher. Erschwerend kommt hinzu, dass bei komplexen digitalen, Daten basierten Systemen die Erfolgsfaktoren für Außenstehende in der Regel nicht sichtbar sind. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass die digitale Wertschöpfung derart komplex ist, dass selbst im Unternehmen das Wissen über die Prozesse verteilt ist. Die amerikanischen und asiatischen Unternehmen wenden das abduktives Denkmodell an. Dieses bildet auch die Grundlage für das Design-Thinking und Lean-Startup. Ich empfehle einen Artikel dazu in unserem Blog: http://www.manymize.com/design-thinking-insight

To view or add a comment, sign in

Explore topics