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Yasmina Khadra: Wovon die Wölfe träumen

Missbrauch der Religion

Nafa Walid träumt. Er ist überzeugt davon, dass er der geborene Schauspieler ist, muss sich jedoch mit der Rolle des Chauffeurs bei der einflussreichen und reichen Familie Raja begnügen. Dies geht gut bis in Raja Juniors Bett ein junges Mädchen an einer Überdosis Rauschgift stirbt. Nafa muss helfen die Leiche zu beseitigen. Dieses Erlebnis verändert Nafas Leben. In seiner seelischen Bedrängnis findet er Zuflucht in der Religion und gerät in das Umfeld von Islamisten.

Dies ist die Ausgangssituation des neuen Romans von Yasmina Khadra, einem Autor, der 1956 in Algerien geboren wurde und eigentlich Mohammed Moulessehou heißt. Moulessehou/Khadra war ein hoher Offizier der algerischen Armee und wurde im algerischen Bürgerkrieg Zeuge der sinnlosen Gewalt der Islamisten und ihrer selbstgerechten Art. Seit 2000 lebt Moulessehou mit seiner Familie in Frankreich und konnte erst im Exil sein Pseudonym lüften. Bekannt wurde er bislang mit Kriminalromanen.

In "Wovon die Wölfe träumen" gelingt es Khadra über die Schilderung des Lebens Nafa Walids darzustellen, wie ganz normale Menschen in den Sog von Extremisten gelangen können. Er kann auf Algerien und die Islamisten begrenzt gelesen werden, doch kann er auch so gelesen werden, dass Algerien nur als Beispiel fungiert. Damit ist der Roman dann nicht begrenzt auf den Islam, er zeigt nur anhand der Islamisten, was auch in anderen fundamentalistischen Strömungen möglich sein kann und ist. Dies macht die eigentliche Brisanz des Romans und den Verdienst Khadras aus und vermag in Ansätzen das notwendige harte Vorgehen nach dem 11. September erklären. Jegliche extremistische Strömungen, seien sie christlich-fundamentalistisch oder islam-fundamentalistisch missbrauchen die Religion. Menschen, die sich nicht respektiert fühlen sind schnell Opfer der Bauernfänger. So treten auch die Islamisten in Khadras Roman den Bauern gegenüber als Gutmenschen auf: "Er [der Emir, also der Anführer] sorgte sich um die Gesundheit der Alten und der Kinder, er brannte niemals eine staatliche Schule nieder, ohne nicht zugleich eine Koranschule zu eröffnen, befreite die Dörfer von den Blutsaugern des Regimes und begeisterte die Jugend durch mitreißende Predigten." Manchmal liegt die Dramatik nicht einmal im Zulauf zu fundamentalistischen, nationalistischen oder auch kriminellen Organisationen, sondern viel mehr in der Unmöglichkeit, sie wieder zu verlassen. Die Strukturen sind so menschenverachtend, dass jeglicher Regelverstoß, und was ein Regelverstoß ist, wird beliebig definiert, den Tod bedeutet. Also passt man sich an, und erhält im Gegenzug Respekt und Vertrauen, so auch Nafa: "Zum ersten Mal im Leben entdeckte er sich selbst, wurde er sich seiner Leistungen bewusst, seines Wertes und Nutzens als Mensch, als Person. Endlich existierte er. Zählte er."

Nicht erst seit dem 11. September, doch insbesondere in der Folge dieses Datums, tragen Romane wie "Wovon Wölfe träumen" dazu bei, eine Ahnung der Motivation zu bekommen, die junge Menschen zu Killermaschinen werden lässt und was sie daran hindern kann, sich wieder dem Leben zuzuwenden.


von Eva Magin-Pelich - 19. Oktober 2003
Wovon die Wölfe träumen
Yasmina Khadra
Wovon die Wölfe träumen

Aufbau 2002
331 Seiten, gebunden
EAN 978-3351029388
Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe