Bereits seit vier Monaten ist die Remblinghäuserin Pauline Thiele in Leme, einer Stadt in Brasilien, um dort als Missionarin auf Zeit zu arbeiten. Nun berichtet sie von ihren Erfahrungen, die sie bereits gesammelt hat. Gemeinsam mit den Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel hilft sie dort armen Menschen in den Stadtrandvierteln und arbeitet im Seniorenheim.

Bereits seit vier Monaten ist die Remblinghäuserin Pauline Thiele in Leme, einer Stadt in Brasilien, um dort als Missionarin auf Zeit zu arbeiten. Nun berichtet sie von ihren Erfahrungen, die sie bereits gesammelt hat. Gemeinsam mit den Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel hilft sie dort armen Menschen in den Stadtrandvierteln und arbeitet im Seniorenheim.

Wie geht es dir nach dem Vierteljahr?

Pauline Thiele: Hier ist es einfach wunderbar und ich habe mich sehr gut eingelebt. Ich muss aber ehrlich zugeben, dass der Anfang schwieriger für mich war, als erwartet. So vieles ist anders hier, da muss man sich erst einmal zurechtfinden, in dem chaotischen Brasilien. Das Wort ‚acostumar‘, was so viel wie anpassen bedeutet, benutze ich hier so unglaublich oft. Es ist und war zwar nicht immer leicht sich anzupassen, aber genau wegen dieser Erfahrungen bin ich ja hier. Ich bin hier als Missionarin in Leme um für eine Zeit richtig zu leben, mir einen richtigen Alltag aufzubauen, und das habe ich nach den drei Monaten auf jeden Fall geschafft.

Ist alles so, wie du es dir vorgestellt hast?

Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Ich habe natürlich schon viel von Erzählungen erfahren, wie es in Leme ist, aber letztendlich ist ja doch alles anders, denn jeder macht seine eigenen Erfahrungen und hat seinen eigenen Blick auf die Dinge. Besonders die Erzählungen meiner Schwester, die ja vor acht Jahren in Leme war, unterscheiden sich von meinen Wahrnehmungen. In den acht Jahren hat sich so viel verändert.

Wie ist die Arbeit im Seniorenheim? Anstrengend?

Die Arbeit im Seniorenheim ist unglaublich toll. Anfangs war ich etwas skeptisch, denn, auch wenn ich schon ein Praktikum im Bereich der Pflege gemacht habe, ist das Arbeiten und Leben in einem Altenheim doch noch etwas anderes. Natürlich ist die Arbeit psychisch anstrengend. Die Senioren und ich verändern uns – nur gegensätzlich nach vorne und nach hinten. Diese Gegensätze sind manchmal schwierig zu vereinen. Außerdem sind Seniorenheime hier sehr anders, da die Angehörigen die alten Leute solange pflegen, bis sie nicht mehr in der Lage dazu sind. Dementsprechend kranke und verwirrte Personen wohnen in dem Recanto Placida, dem Altenheim. Die Bewohner, und auch manche Mitarbeiter im Recanto sind für mich zu einer Ersatzfamilie geworden. Jeden Tag wird mir so viel Liebe und Dankbarkeit gegeben, das ist unglaublich und wunderschön.

Vermisst du deine Familie, Freunde, Deutschland?

Das mit der Sehnsucht ist schwierig zu beschreiben, da man so stark unterscheiden muss. Manchmal, wenn ich in dem doch ziemlich chaotischen Brasilien herumirre, vermisse ich das geordnete Deutschland. Jedoch habe ich verhältnismäßig wenig Heimweh. Man vermisst mehr Momente, wie abends mit der Familie vor dem Fernseher zu sitzen, oder zusammen zu Abend zu essen. Kleine Momente, die doch so alltäglich sind. Was ich auf jeden Fall sagen kann ist, dass ich weniger Heimweh und mehr Menschenweh habe. Es ist unglaublich, wie man hier feststellt, wer einem besonders wichtig ist, und wie viel Freundschaft und Familie bedeutet.

Wie findest du dein neues Leben in Brasilien allgemein?

Allein die Kulturunterschiede, die andere Sprache, die neue Arbeit und die verschiedenen Menschen, mit denen ich arbeite, alles ist komplett verschieden. Man merkt ganz deutlich, dass man auf einem anderen Kontinent lebt, der noch nicht so weit entwickelt ist. Soziale Ungerechtigkeit, Geldprobleme, eine komplizierte Bürokratie, Gesellschaftsuneinigkeit und generell Chaos in den verschiedensten Bereichen, besonders in der Politik, auf der quasi alle anderen Probleme beruhen. Abgesehen von diesen Problemen, die das Land an sich hat, liebe ich die Mentalität der Brasilianer. Sie sind so unglaublich offen, freundlich, interessiert und herzlich. Also kann ich generell sagen, dass mir mein Leben hier unglaublich gut gefällt, vielleicht auch weil das Leben hier so anders ist als das in Deutschland.

Gibt es Aussicht auf eine Verlängerung des Visums oder musst du sicher bald nach Hause kommen?

Es ist tatsächlich so, dass ich Ende Februar, das heißt nach sechs Monaten, nach Hause kommen werde. Was mich auf der einen Seite sehr traurig macht, da ich die Bewohner hier vermissen werde. Auf der anderen Seite freue ich mich aber, meine Familie und meine Freunde wieder zu sehen.

Wie hat sich die Arbeit im Seniorenheim und mit den Armen auf deine bisherige Lebenseinstellung ausgewirkt?

Beide Bereiche meiner Arbeit hier geben mir Anlässe, um viel nachzudenken. Die Arbeit im Seniorenheim macht mir die Endlichkeit des Lebens sehr deutlich, und dass man sein Leben genießen soll. Die Menschen in den Stadtrandvierteln haben so wenige Perspektiven und Möglichkeiten. Genau deswegen sollte man dankbar sein, so viele offene Türen vor sich zu haben. Genau dieses Problem der sozialen Ungerechtigkeit beschäftigt mich hier auch sehr oft. Jeder Mensch ist doch gleich viel wert und verdient somit eine gleiche Ausgangssituation, aber dem ist nicht so. Was mich auch sehr beeindruckt ist, dass die Leute trotz der Armut oft so glücklich sind. Sie haben mit so vielen Problemen zu kämpfen und strahlen trotz allem eine beeindruckende Lebensfreude aus. Geld allein macht nicht glücklich, das wird mir immer deutlicher.

Freust du dich schon wieder auf die Heimat oder denkst du kaum daran, wieder nach Hause zu kommen?

Ich freue mich schon sehr auf die Rückkehr. Jedoch wird es auch unglaublich schwer, von hier wegzugehen. Mir wachsen die Menschen immer mehr ans Herz und auch mein Alltag gefällt mir so gut, auch wenn er sehr anstrengend ist.