Der Startenor Rolando Villazón hat seinen ersten Roman „Kunststücke“ geschrieben. Darin beschreibt er das Scheitern eines Künstlers und offenbart seinen Glauben an die Kraft der Liebe.

Er gehört zu jenen Herzensmenschen, die aus dem Bett springen und ihrer Sonnenblume einen guten Morgen wünschen. Clown Macolieta, in Chaos und Bescheidenheit lebend, hält sich mit Kindergeburtstagen über Wasser. Er ist verliebt in die Französin Sandrine, traut sich aber nicht, es ihr zu sagen. Er fährt in einem gelben Auto umher und hört dabei zur Aufmunterung nur „Yellow Submarine“ von den Beatles in Endlosschleife. Heimlich schreibt er merkwürdige Episoden in ein blaues Buch, sie handeln vom erfolgsverwöhnten, von allen geliebten Clown Balancin. Der ist sein Alter Ego. Die Geschichte des heute erscheinenden Romans „Kunststücke“ ist schnell erzählt. Sie ist voller Witz, Leichtigkeit und Poesie. Aber nur auf den ersten Blick.

Eine Künstlergeschichte

Denn das Romandebüt des einstigen Startenors Rolando Villazón lässt sich auch anders lesen. Dann ist darin viel von seiner eigenen Künstlergeschichte und von seinen Verzweiflungen angesichts der Stimmkrise und dem folgenden Karriereknick zu entdecken. Wie bei so vielen Bucherstlingen lässt sich eine therapeutische Aufarbeitung vermuten. Auch bei Villazón sind nach gut 250 Seiten alle grauen Wölkchen wie weggeblasen. Die Zukunft kann nur gut werden.

Unter den großen Tenören unserer Zeit ist Rolando Villazón tatsächlich eine Art Clownstyp. Immer fröhlich, immer positiv. Der 1972 in Mexiko-Stadt geborene und heute in Paris lebende Sänger verkörperte nie den eitel umgarnenden Latin Lover oder den schmachtenden Lyriker. Auf der Opernbühne eroberte er die Partnerinnen mit seiner fröhlichen Energie. Die berühmteste war übrigens die russische Soprandiva Anna Netrebko. Irgendwann begannen seine Absagen, auch an der Staatsoper Unter den Linden, wo ihn Stardirigent Daniel Barenboim förderte. Es folgten Operationen an den Stimmbändern und ein mehr oder weniger gelungenes Comeback.

Die hohen Töne verloren

Natürlich ist der Roman keine Eins-zu-Eins-Autobiografie. Es bleibt ein Künstlerroman. Der Clown im Buch erleidet einen Bandscheibenvorfall, er hat Schmerzen, muss operiert werden. Und er ist verzweifelt. Einmal sitzt er im Wartezimmer. Und: „Ein Sänger, der seine hohen Töne verloren hat, verlässt das Sprechzimmer des Doktor Julius.“ Wer wird das wohl gewesen sein? Mit Anspielungen geizt Villazón jedenfalls nicht. Da ist der Schriftsteller immer noch ganz der Operntenor.

Operntenöre sind auf der Bühne bekanntlich immer die Helden, die Liebhaber, die Macher. Ein Operntenor steht nicht schweigsam in der Ecke, wenn die begehrte Frau erscheint. Er stürzt sich leidenschaftlich auf sie, überschüttet sie mit Erklärungen. Das macht Villazón auch ausgiebig in seinem Roman. Gelegentlich glaubt man im Hintergrund allzu blumiger Formulierungen das Uff-ta-ta-Orchester von Giuseppe Verdi zu hören. Einmal singt der Clown unter der Dusche die Tarantella von Rossini.

Operntenöre sind Machos

Operntenöre müssen von Amts wegen Machos sein. Der Clown im Roman ist es auch. Da gibt es neben der Angebeteten auch die Affäre mit einer verheirateten Frau, da empfängt ihn die Arzthelferin „mit kokettem Augenaufschlag“. Später wird daraus ein einladendes Lächeln. Wobei der gescheiterte Clown darüber sinniert, ob sie nur seinen berühmten Namen gelesen hat. Überhaupt sind Erfolg und Ruhm eine anrüchige Angelegenheit. Denn die kultische Verehrung der Berühmten basiere nicht mehr wie früher auf dem Talent, erfährt man, sondern schlicht und einfach nur noch darauf, „dass sie vor den Kameras stehen und von Millionen gesehen werden“. Und den Applaus kommentiert der Clown als „das Brüllen eines hungrigen Raubtiers“.

Philosoph und Clown zugleich

Villazón wirft vollmundig mit Metaphern um sich. „Der Mensch ist Philosoph und Clown zugleich“, heißt es an einer Stelle. Und manchmal wird er zur multiplen Romanfigur, müsste man hinzufügen. Das gespaltene Clowns-Ich hat außerdem noch zwei Freunde an der Seite, mit denen er sich so durchs Leben philosophiert. Das liest sich manchmal ganz schön bildungshuberisch, wenn Sokrates, Platon, Freud, Heidegger und andere herbeizitiert werden. Gleich zu Beginn beruft sich Villazón auf Julio Cortazars spanischen Kult-Roman „Rayuela“, in dem die Hauptfigur, ein lateinamerikanischer Bohèmien in Paris, beim Zirkus angestellt wird. Aber der Direktor verkauft den Zirkus und erwirbt dafür ein Irrenhaus. Die Belegschaft wird übernommen.

Auch Berlin spielt in der Handlung eine Rolle. Clown Balancin hat hier vier Vorstellungen und erlebt Karriere-Hochflüge. Er ist begehrt, muss mit Sponsoren essen gehen, gibt Interviews und hat für nichts anderes Zeit. Auch nicht für den Brief seiner Frau Verlaine, die in Paris geblieben ist. Der Brief liegt ungeöffnet auf dem Schreibtisch. Sie wünscht sich Familie und Nähe, aber er will den Ruhm. Später wird er hinter der Bühne mit seinen Kindern telefonieren. Sie erzählen ihm Alltäglichkeiten, kurz darauf stürzt er wieder hinaus auf die Bühne. Er ist ein Zerrissener.

Eine Liebeserklärung

Villazón glaubt an die Kraft der Liebe. Der Roman ist zweifellos auch eine berührende Liebeserklärung des inzwischen 42-jährigen Familienmenschen. Und der Roman verspricht am Ende einen Künstler, der wieder an sich glaubt. Inzwischen ist Villazón nicht nur als Tenor mit Mozart-Arien unterwegs, sondern auch als Moderator zu erleben. Er zeichnet lustige Figuren und engagiert sich sozial. An der Deutschen Oper wird er sich im März 2015 mit Puccinis „La Rondine“ als Regisseur vorstellen. Jetzt hat er sich Romancier ausprobiert. Er gehört zu jenen, die immer ihre Seele zeigen.

Rolando Villazón: Kunststücke. Rowohlt, 256 S., 19,95 Euro.

Berliner Buchpremiere: Im Berliner Ensemble am 29. August um 20 Uhr. Es moderiert Wolfgang Herles.