Die deutsche Wirtschaft bezweifelt den Sinn der Sanktionen gegen Russland. Deutsche Betriebe spüren laut den Kammern auch Moskaus Strafmaßnahmen gegen die Türkei.

Berlin - Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) spricht sich als erster großer Wirtschaftsverband dafür aus, die Sanktionen gegen Russland zurückzufahren. Rainer Seele, Präsident der deutsch-russischen Außenhandelskammer (AHK), forderte in Berlin, die Europäer sollten die Sanktionen gegen Russland überdenken. In dem Maß, wie die Minsker Friedensvereinbarung zur Ukraine umgesetzt werde, sollten auch die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen aufgehoben werden, sagte Seele. „Es kann nicht Ziel und Zweck der Sanktionen sein, den deutschen Unternehmen Schaden zuzufügen“, meinte Seele.

 

Ähnlich sieht das Volker Treier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DIHK. „Die Europäer sollten sich nicht zu schade dafür sein, den ersten Schritt zu machen“, sagte Treier. Die Industrie- und Handelskammern akzeptierten zwar die Entscheidung der Europäischen Union, die 2014 Sanktionen gegen Russland verhängte. Die Politik müsse sich aber die Frage stellen, ob wirtschaftliche Strafmaßnahmen geeignet seien. Die ökonomischen Folgen dürften nicht ausgeblendet werden, so Treier.

Erste Betriebe in Ostdeutschland insolvent

Wegen der Sanktionen gegen Russland hätten bereits die ersten Unternehmen in Ostdeutschland Insolvenz anmelden müssen. Der DIHK und die deutsch-russische Außenhandelskammer befragten 130 Unternehmen, die im deutsch-russischen Handel aktiv sind, zu den Folgen der Sanktionen. Danach kämen 80 Prozent der Unternehmen zum Schluss, dass die Sanktionen politisch nicht wirksam seien. Die russische Regierung lasse sich von den Maßnahmen nicht beeindrucken, so der Tenor. Die ökonomischen Folgen für die Unternehmen seien hingegen gravierend: Zwei Drittel der Unternehmen geben an, sie seien von beiderseitigen Sanktionen betroffen. Als diese Frage den Unternehmen im August 2014 gestellt wurde, schätzten die Betriebe die Folgen noch milder ein: Damals gaben nur 38 Prozent der Betriebe an, sie seien betroffen.

Am stärksten wirken sich die Sanktionen auf dem Finanzmarkt aus. Die Hälfte der im deutsch-russischen Handel tätigen Unternehmen gibt an, sie leide unter Beschränkungen auf dem Gebiet des Finanzmarktes. Dies behindere vor allem kleinere und mittlere Unternehmen. Ein Viertel der Betriebe klagt darüber, dass Güter, die sowohl militärisch als auch im zivilen Bereich eingesetzt werden können, kaum abgesetzt werden könnten.

Betroffen ist beispielsweise die Automobilindustrie

Der Präsident der deutsch-russischen Außenhandelskammer machte deutlich, dass die wirtschaftlichen Einbußen zunehmen dürften. Rückmeldungen aus den Unternehmen zeigten, dass deutsche Firmen auch den Konflikt zwischen Russland und der Türkei spüren. Nachdem die Türkei im November einen russische Kampfjet über türkischem Hoheitsgebiet abgeschossen hatte, verhängte Russland Sanktionen gegen die Türkei. Die Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft seien erheblich. Betroffen seien beispielsweise die Automobilindustrie, die Fahrzeugteile aus der Türkei bezieht und nach Russland einführen will, sagte Seele. Die Zahl der Unternehmen, die Einschränkungen hinnehmen müssten, steige, erläuterte er. AHK-Präsident Seele sieht aber auch hoffnungsvolle Zeichen. Es sei erkennbar, dass sich die russische Politik und die dortige Wirtschaft wieder stärker auf Europa zubewegten. Nach der Eskalation der Ukraine-Krise habe sich zunächst eine Abkehr von Europa gezeigt. Inzwischen sei aber wieder ein verstärktes Interesse an Deutschland zu spüren, sagte Seele. „Ich hoffe, dass man in der Politik die große Chance erkennt“, sagte der AHK-Chef.

Die deutsche Wirtschaft rechnet damit, dass sich die schwere Rezession in Russland auch im nächsten Jahr fortsetzt. Mit einer Erholung sei erst 2017 zu rechnen. Der DIHK erwartet, dass die deutschen Exporte nach Russland 2015 auf 22 Milliarden Euro sinken. Dies entspreche im Vergleich zu 2013 einer Halbierung.