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Unterschätztes Großthema Wie sich in Deutschland großflächig Arbeitslosigkeit einschleicht

Roboter - aber was machen wir daraus?

Roboter - aber was machen wir daraus?

Foto: DPA

Der nun zu Ende gehende Wahlkampf hätte eine Diskussion über das Zukunftsbild sein müssen, welche Antworten die Parteien auf die drängenden Zukunftsfragen in petto haben. Vor allem wäre ein Schlagabtausch notwendig gewesen, wie Deutschland mit dem Thema Zukunft der Arbeit im Zuge der bevorstehenden digitalen Revolution umgeht.

Da ist bedauernswerter Weise viel zu wenig passiert. Nun hat der Wähler die Wahl. Er kann entscheiden zwischen nicht klar formulierten Steuermodellen (CDU/CSU, SPD), einem nicht eindeutig festgelegten Renteneintrittsalter (CDU), "konsequenter" oder "konsequenterer" Abschiebung (alle Parteien), mehr oder weniger Gerechtigkeit (SPD) und einem diffusen, in jedem Fall aber starken Europa, für das sich alle Parteien einsetzen. Nun ja.

Egal wie das Wählervotum am kommenden Sonntag auch ausfallen wird, die künftige Bundesregierung wird dringend einen Plan entwickeln müssen, der die Zukunftsfähigkeit des Standortes D gewährleistet. Sie wird Weichen stellen müssen, um Wohlfahrt, Wachstum und schlussendlich auch den sozialen Frieden zu sichern.

McKinsey, bekannt für knallige Zahlen, hat im Frühjahr dieses Jahres in einer Studie vorgerechnet, dass die fortschreitende Digitalisierung und damit einhergehend die Automatisierung der industriellen Produktion bis zu 20 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland gefährden wird. Selbst wenn es nur halb so schlimm käme, stünde hinter jedem vierten Job in Deutschland zumindest ein Fragezeichen. Es ist aber in jedem Fall Zeit, darüber nachzudenken, was sich hinter deutlich steigender Arbeits- und damit langfristiger Perspektivlosigkeit für ein demokratiezersetzendes Potenzial verbirgt.

Die nun eher für sachliche Beiträge bekannte Bertelsmann-Stiftung geht in ihrer Delphi-Studie davon aus, dass in den Industrienationen die derzeitige Arbeitslosigkeit von im Schnitt 6 Prozent auf rund 11 Prozent im Jahr 2020 steigen wird, um dann bis Mitte dieses Jahrhunderts rasant zuzunehmen auf etwa 25 Prozent.

Einen Vorgeschmack auf das Bevorstehende gibt die deutsche Automobilindustrie. E-Mobility, so sickert es nur langsam in die Köpfe, bedeutet mehr als nur Fahren mit Strom. Die komplette Wertschöpfungskette der deutschen Schlüsselindustrie steht in Frage. Allein in der Antriebstechnik werden durch den E-Motor sechs von sieben Arbeitsplätzen nicht mehr benötigt. Traditionelle industrielle Cluster aus Zulieferern und Herstellern müssen neu gedacht werden. Das nahezu wartungsfreie E-Mobil benötigt selten Werkstatt oder Service - ein Softwareupdate lädt sich der Superrechner im Handschuhfach über die Cloud herunter. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Berufsverkehr. Man muss kein Pessimist sein, um die Herausforderungen dieser rund 1-Million-Menschen beschäftigenden Industrie - dem Kern der deutschen Wirtschaft - zu prognostizieren und die Auswirkungen auf das soziale Miteinander insgesamt.

In Japan haben in diesem Jahr einige Versicherungskonzerne damit begonnen, künstliche Intelligenz einzusetzen, um einfache Dienstleistungen im Kundenkontakt zu übernehmen. Ein Einstieg ist gemacht. Es wird nicht lange dauern, bis dies auch in Europa und Deutschland der Fall sein wird und personalintensive Branchen den Chatbot als Kostenminimierer einsetzen werden. Andere Branchen wie die Finanzdienstleister, die Gesundheitsbranche oder der Tourismus werden folgen, auch die öffentliche Verwaltung wird eines Tages umstellen.

Dies sind keine fernen Visionen a la Hollywood-Blockbuster. Längst sind oder werden die Weichen gestellt. China hat entscheiden, dass ab 2018 acht Prozent aller neuzugelassenen Pkw ein E-Auto sein sollen - in 2019 dann zehn Prozent. Tendenz steigend. Wer nicht liefern kann, wird ausgemustert.

Die Industrie wird und muss liefern. Ausgemustert aber werden Menschen. Insofern sind Diskussionen über Zukunftsmodelle notwendig, wie wir ein gesellschaftliches Leben ohne Arbeit oder zumindest mit deutlich weniger Arbeit des Einzelnen bewerkstelligen wollen. Das greift tief in bestehendes Arbeits- und Tarifrecht. Sicher ist, der Google-Bus wird nicht alle Arbeitnehmer mitnehmen können. Viele Menschen werden dauerhaft ohne Arbeit sein und bleiben - mit dramatischen Herausforderungen für die sozialen Sicherungssysteme und den sozialen Frieden.

Eine Debatte über ein gesichertes Grundeinkommen, finanziert über die Gewinnbesteuerung von Maschinen, muss geführt werden. Ob dies, wie viele Ökonomen fordern, bedingungslos sein kann oder aber doch an Rahmenbedingungen geknüpft wird, ist völlig offen. Die Sogwirkung solcher Modelle auf die weiter steigende Immigration aus den nicht industrialisierten Regionen, etwa Afrika, ist nicht zu unterschätzen.

Eins ist sicher: Unsere Gesellschaft steht vor radikalen Veränderungen, die neue Antworten fordern. Martin Schulz hat in einem Gastbeitrag für die FAZ 2014 vor einem "technologischen Totalitarismus" gewarnt, wenn uns das Netz und deren Giganten - die wahren Supermächte - auf Schritt und Tritt - sei es Arbeit oder Privat - begleitet. Diese Sorge ist heute größer denn je, da wir uns zusehends ein klareres Bild davon machen können, welche Konsequenzen unser eigenes Handeln haben wird.

Während Schulz seinerzeit im Europa-Wahlkampf die politische Dimension des determinierten Menschen analysierte und die Entscheidungsträger zumindest zu erhöhter Wachsamkeit aufforderte, wird uns heute - drei Jahre später - auch die ökonomische Dimension immer klarer.

Die künftige Regierung wird sich dieser herausragenden Verantwortung stellen müssen. Dauerhafte Arbeits- und die damit eng verwobene Hoffnungslosigkeit führt fast unweigerlich zu einer Radikalisierung der Bevölkerung. Es ist überfällig, dass diese Debatte aus den Expertenzirkeln und philosophischen Kreisen den Weg auf die politische Agenda in Berlin macht. Und zwar ganz nach oben.

Der Autor ist Präsident des Wirtschaftsforums der SPD e.V. und war mehr als zwei Jahrzehnte Vorstandschef der TUI AG.