Links wie rechts nur Zerstörung – Seite 1

Man möchte gern verstehen, was eine Überschrift heißt, die sagt "Proteste gegen G20 beginnen" oder "Tausende protestieren gegen G20-Gipfel". Protest ist zuerst einmal nicht verkehrt. Er richtet sich gegen Ordnungen und Gesellschaften, die Mitläufertum belohnen und Buckeln zu einer Tugend erheben. Verbesserungs- und Optimierungsbedarf hat jede Gewerkschaft, jede Kirche, jede Partei und jeder Staat. Auch Gruppen, die größer als ein Staat sind, wie die EU oder eben die G20. Um etwas zu verbessern, gilt: Je mehr gesprochen und diskutiert wird, desto größer ist die Chance, durch Verständnis und Verständigung etwas zu erreichen. Am Ende profitieren alle: die Gruppe selbst, der Auftrag, den sie zu erfüllen hat, und das Umfeld, in dem sie sich bewegt.

Die G20 sind ein Gremium von alten und neuen Akteuren auf der Weltbühne. Es ist nicht ein Hegemon, der die anderen an den Tisch zwingt. Es sind die Zukunftsaufgaben, die kein Land, sei es noch so groß, allein bewältigen kann. Die G20 haben sich das Ziel gesetzt, Zukunftsaufgaben wie Umweltschutz und Verteilungsgerechtigkeit zu diskutieren und anzugehen. Daran ist auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nichts auszusetzen. Hier gibt es, wissen die Götter, jede Menge zu tun und voranzutreiben, es gibt großen Optimierungsbedarf. Also haben Proteste einen Sinn, während oder im Zuge des G20-Gipfels, nicht aber gegen diese Zusammenkunft.

Die Proteste laufen nun aber gegen diesen Gipfel und das ist eine interessante Wendung. Sie beleuchtet eine Form des Populismus, der uns umgibt, einen von der linken Seite, der in den vergangenen beiden Jahren wegen der verheerenden Agitation von rechts aus dem Fokus geraten ist. Zur Erinnerung: Die rechten Populisten haben seit dem Brexit-Votum und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten Oberwasser. Sie glauben an nationale Lösungen, tendenziell an die Überlegenheit des Volkes oder der Nation, der sie angehören, und sie verachten die freie Presse. Frau Le Pen in Frankreich ist eine Akteurin dieser Weltanschauung, Herr Orbán in Ungarn. Für Globalisierung und Digitalisierung haben sie nicht viel übrig, Fortschritt ist ihnen ein Gräuel, ihre Kultur ein nationaler Monolith.

G20-Protestrouten

Routenführung und voraussichtlicher Abschlussort der wichtigsten Protestmärsche in Hamburg

Das ist nicht sehr verschieden von dem Weltbild jener Linken, die ebenfalls gegen Globalisierung und Digitalisierung zu Felde ziehen. Schon der Zuzug in ein anderes Stadtviertel kann von den Gewaltbereiten unter den Globalisierungsgegnern mit Farbbeutelwurf und zerschlagenen Scheiben geahndet werden. Oder mit einer abgefackelten Limousine. Und immer mit Gewaltbereitschaft gegen Polizisten, gegen Vertreter der staatlichen Ordnung, die ebenfalls abgelehnt wird.

Statt Gestaltung nur Zerstörung

Muss man nicht den Krawallmachern von links dasselbe zurufen wie denen von rechts, nämlich dass eine vernetzte Welt eine bessere ist als eine, in der Menschen isoliert leben und so einer Willkürherrschaft viel unmittelbarer ausgeliefert sind? Man muss. Gleichermaßen. Hier geht es nicht um linke Politiker wie in den USA Bernie Sanders oder in Deutschland sehr konservative Parlamentarier wie Volker Kauder. Beide bewegen sich ja innerhalb der staatlichen Ordnung und wollen innerhalb des Regelwerks das Gemeinwesen erhalten, reformieren, in jedem Fall gestalten und nicht vernichten. Radikale Populisten von rechts und von links hingegen arbeiten an der Überwindung der Ordnung, die sie vorfinden, ihrer Zerstörung.

Populisten von rechts und links erklären denen, die ihnen zuhören, dass die gegenwärtigen Probleme zu lösen sind, wenn man zu den Rezepten der Vergangenheit greift. Damit nutzen sie die Angst der Gesellschaft vor der Zukunft aus. Einfache Antworten machen die eine oder andere Gruppe zum Sündenbock: "Die Banker" (von links), "die Muslime" (von rechts), dort ist dann verdichtet all das vorzufinden, was durch die jeweilige Brille gesehen in der Welt falsch läuft.

Warum verfangen Populisten dieser Tage wieder? In seinem Buch The Future Shock schrieb Alvin Toffler bereits vor rund 50 Jahren, dass es Momente in der Geschichte von Gesellschaften gibt, in denen der technologische Fortschritt so an Geschwindigkeit gewinnt, dass er weder von den Eliten noch den Durchschnittsbürgern eines Staates verstanden und mit vollzogen werden kann. Die Konsequenz seien Unsicherheit, Furcht und Instabilität. Die letzten 25 Jahre waren bestimmt von der Globalisierung und der Digitalisierung, der Fortschritt hat eine bis dato unbekannte Rasanz entwickelt. Nun bricht, mit der künstlichen Intelligenz, der Lernfähigkeit von Maschinen und dem, was gemeinhin als Industrie 4.0 beschrieben wird, eine neue Welle von Innovation los. Veränderungen stehen an, deren Auswirkungen noch unbekannt sind.

Wenn Linke zur Demo rufen, gehen Schaufenster zu Bruch

Das ist einer der Gründe, warum Angehörige sowohl der Unter- als auch der oberen Mittelschicht beispielsweise Donald Trump gewählt haben. Die nächste industrielle Revolution wird nicht nur Fließbandarbeit vernichten, sondern auch Jobs in Anwaltskanzleien, Krankenhäusern und Banken obsolet machen, in der Regel Arbeitsplätze, die gut bis sehr gut bezahlt sind. Es ist nicht klar, wer genau diese Arbeitsplätze vernichten wird, wann dies geschehen wird und wie die Arbeitswelt in der Zeit danach aussehen wird. Besonnene Geister weisen darauf hin, dass es nach jeder Disruption – nach einer gewissen Zeit – andere und mehr neue Jobs gegeben habe. Die Populisten auf beiden Seiten hingegen sprechen die Menschen nicht auf ihrer besonnenen Seite an, sondern, ganz im Gegenteil: Sie zündeln mit deren Furcht und Angst.

Das geschieht, rechts wie links, mit brutalen Mitteln und auf Kosten der Ehrlichkeit. Ein Brexit kam nicht zustande, weil die Rechtspopulisten dem Wahlvolk die Wahrheit erzählt hätten. Ein Donald Trump hat nichts für den kleinen Mann getan, wie er im Wahlkampf versprochen hatte, sondern erst einmal seinen Freunden von der Wall Street und aus den großen Unternehmen neue Jobs beschafft. Von links wird das Märchen von Verteilungsgerechtigkeit und Pazifismus munter weitererzählt: ein Utopia, das selbst biblische Prophetie in den Schatten stellt. Manch einer im linken Lager mag verstanden haben, dass die Menschen in Bangladesch und Nepal noch nicht einmal mehr ihren schlecht bezahlten Job behalten werden, sollten wir in einer nicht allzu fernen Zukunft unsere Autos und iPhones zu Hause ausdrucken. Aber was folgt daraus? Ich möchte hier keineswegs für den Erhalt unfairer Arbeitsbedingungen werben, sondern darauf hinweisen, dass wir die wirklichen Probleme nicht angehen, nicht besprechen. Dasselbe ist in der Flüchtlingskrise von rechts geschehen. Das Wettern gegen Ausländer aller Art verhindert eine sachgemäße Auseinandersetzung über Einwanderung und Integration, auf deutscher und auf europäischer Ebene.

Ich kenne den Einwand, dass rechter Populismus und rechtes Agitieren historisch gesehen schlimmer, vor allem gewalttätiger aufgetreten sei als linkes. Interessant finde ich, dass die Partei Adolf Hitlers nationalsozialistische Partei hieß, also linkes wie rechtes Gedankengut in einer Bewegung zusammenführen wollte. Die Schnittmenge ist immer noch wirkmächtig und in der Wählerwanderung zwischen ganz rechts und ganz links nicht nur in Deutschland zu beobachten.

Für mich ist Gewalt, Unterdrückung und Ausgrenzung von Minderheiten immer schlecht, absolut und nicht in Relation zu einer anderen Extremistengruppe zu sehen. Was heute angesichts der Proteste gegen die internationale Zusammenarbeit der G20 wichtig ist herauszustellen, ist, dass beide Seiten ihren Äußerungen ähnliche Ideen und rhetorische Muster zugrunde legen. Beide, der linke und der rechte Populismus, nutzen die Ängste der Menschen aus. Beide, rechter und linker Populismus, spielen bewusst mit der Bereitschaft der Menschen, in einer als extrem erlebten Situation zu Gewalt zu greifen. Hass-Kriminalität ist in den USA und England nach der Trump-Wahl und dem Brexit angestiegen. Wenn Linke zur Demo rufen, gehen Schaufenster zu Bruch, Autos in Flammen auf und Polizisten werden als Freiwild der Aggression und Gewalt preisgegeben.

Für beide, linke und rechte Protestierer – auch die sogenannten Montagsspaziergänger von Pegida haben sich als legitime Protestierer verstanden –, wäre eine ideale Welt eine solche, in der keine Interaktion mit einem Draußen besteht. Genau diese Interaktion, das Vernetztsein, bewahrt die Menschen aber davor, der Hochfinanz oder einem populistischen Diktator schutzlos ausgeliefert zu sein. Als Nigel Farage den Brexit-Tag zum Unabhängigkeitstag Englands umdeklarieren wollte, ging es nicht darum, dass die Briten wieder Herr im eigenen Haus seien. Farage meinte eigentlich, dass er und seinesgleichen wieder Herr im eigenen Haus sein sollten: unkontrolliert und nicht gebunden durch internationale Abkommen und Freundschaften. Der Verlierer ist der Otto-Normal-Zeitgenosse, der sich hat instrumentalisieren lassen, und in dem Moment, wo er nicht mehr wichtig ist, fallen gelassen wird wie eine heiße Kartoffel.