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Georg Diez

Billigfliegen Der Airport-Kapitalismus

Es gibt kein Menschenrecht auf billiges Reisen: Wenn ein Flug von Berlin nach Köln 15 Euro kostet und eine Fahrt mit der Bahn 120, dann läuft etwas grundsätzlich falsch.
Duty-free-Shop am Flughafen Frankfurt

Duty-free-Shop am Flughafen Frankfurt

Foto: Fredrik Von Erichsen/ picture alliance / dpa

Ferienende. Riesenstau. Und am Flughafen verstörte Gesichter. Wieder ein Koffer verschwunden. Wieder ein Flug ausgefallen. Dabei hatten sie doch 73 Euro pro Ticket bezahlt, von Berlin nach Mallorca und zurück. Und jetzt das?

Die Verwirrung ist groß. Es gibt, so war die Erfahrung der vergangenen Jahre, eine Art Menschenrecht auf absurd billiges Reisen, jedenfalls für die Bewohner der westlichen Welt, die im Besitz eines gültigen Passes sind. Ignoriert wurden die, die im Mittelmeer ertranken, weil sie nicht fliegen durften. Ignoriert wurde auch, dass die Billigflüge ein ökologisches Desaster sind.

Wenn ein Flug von Berlin nach Köln mit einer Billigfluglinie etwa 15 Euro kostet und eine Fahrt mit der Bahn 120 Euro, dann läuft etwas grundsätzlich falsch. Der Markt versagt hier als Instanz, das Richtige zu tun - der Staat muss eingreifen, um eine vernünftige Ordnung herzustellen. Beim Fliegen zeigen sich besonders nackt die Pathologien des gegenwärtigen Kapitalismus.

Die Anmaßung und Aggression des Konsumismus sind wohl nirgendwo deutlicher zu besichtigen als auf den Flughäfen dieser Welt, wo die Bedingungen von Angebot und Nachfrage, Verlangen und Versuchung, Fetisch und Ware auf eine Art und Weise verdreht sind, die die Verdrehungen eines ermüdeten Kapitalismus abbilden, der kein Verhältnis mehr zum Außen hat, zur Welt, und nur noch auf den Selbsterhalt abzielt, koste es, was es wolle.

Diese Verdrängung von gestern und morgen, diese reine Gegenwart, die auf Flughäfen erzeugt wird, steht dabei in direktem Verhältnis zum Verdrängen der Externalitäten des Fliegens. Also der vor allem ökologischen Konsequenzen des eigenen Verhaltens, des eigenen Lebensstils, der wesentlich dazu beiträgt, die Erde zu zerstören.

Das Faszinierende - und auch das Ernüchternde - dabei ist, wie offen, öde und ideenlos der Konsum auf den Flughäfen dieser Welt überführt wird in ein Regiment des Kaufens. Dieses ist losgelöst von jeder Notwendigkeit - und diese Zweckfreiheit des Flughafen-Konsums hat nichts mit Luxus zu tun, der sich zum Selbstzweck hat, und auch nichts mit einem demokratischen Freiheitsversprechen, das der Theorie nach eines der kapitalistischen Ursprungsversprechen war.

Flughäfen als "Nicht-Orte" unserer Zeit

Die gesellschaftliche Teilhabe also, der soziale Aufstieg, der im amerikanischen Jahrhundert mit dem Kaufen verbunden war, Konsum als Zeichen der demokratischen Repräsentation oder, je nach ideologischer Sicht, als politisches Narkotikum, wird in der Gestalt des Airport-Kapitalismus endgültig in sein Gegenteil verkehrt. Es geht nicht mehr um Teilhabe, das wird hier klar. Es geht um Grenzen, es geht um Hierarchien, es geht auch nicht mehr ums Kaufen, sonst wären die Läden ja nicht leer, wie Tempel ohne Gläubige: Es geht um die Demonstration einer Herrschaft, die vor allem symbolisch ist.

Es geht nicht mehr so sehr um die Produktion von neuen Waren, wie es die Industrialisierung geprägt hat, es geht mehr um die Produktion von neuem Begehren für an sich alte Dinge. Es geht um die "Ausschlachtung der Vergangenheit", so analysieren die französischen Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre diesen Wandel in ihrem Buch "Bereicherung. Eine Kritik der Ware". Und Flughäfen in ihrem Widerspruch von Transport und Warten, von Reisen, Rasen und Stillstand, von Ort und Ortlosigkeit sind besonders geeignet, diesen neuen Warencharakter zu demonstrieren.

Flughäfen sind die exemplarischen "Nicht-Orte" unserer Zeit, so hat es Marc Augé beschrieben, eine gewisse Ziellosigkeit der Reisenden, die genauso gut nach Berlin wie nach Dublin fliegen könnten, nach Bangkok wie nach Tel Aviv, korrespondiert hier mit einer großflächigeren Fabrikation von Nicht-Realität, also die Auflösung von Raum und Zeit und damit auch die Koordinaten der wirklichen Welt. Die umfassende Simulation wird dabei perfektioniert eben durch einen Konsum, der nicht mal mehr auf Status oder Distinktion beruht, sondern auf dem alleinigen Vollzug einer Art kapitalistischer Pflicht zum Kaufen.

Das suggeriert die Freudlosigkeit von Angebot und Architektur des Flughafen-Konsums - die Gedankenfaulheit des ewig gleichen Angebots von Dingen, die niemand braucht oder will, korrespondiert mit der Toblerone-Wodka-Parfüm-Gängelung für den Durchschnittskunden am Anfang und auch am Ende der Reise: Sie wollen den Kunden einfach nicht gehen lassen, die Kontrolleure des Konsums, und wenn es nicht so aufdringlich und bedrängend wäre, könnte man es fast für Verzweiflung halten.

Die Fassaden eines ruinösen Kapitalismus

Die Krise des Konsums und der damit verbundenen Versprechen zeigt sich gerade in seiner Allgegenwart. Es ist die Geste der Einschüchterung, mit der Warenwelten am Flughafen ausgebreitet werden, nicht zum Kaufen, sondern zum Schauen. Es ist eine andere Art von Unterwerfung, die hier gefordert wird vor den Fassaden eines ruinösen Kapitalismus. Es ist ein Abgleichen der eigenen Wünsche und Aspirationen mit dem Angebot in den Vitrinen und damit nicht nur eine metaphysische, sondern auch politische Krise.

Denn was am Flughafen verschwindet, ist das Gefühl von Verantwortung, und das wirkt fast wie eine gesellschaftliche Verabredung zu Apathie in der Entropie, eine Verweigerung, sich den Konsequenzen des eigenen Tuns zu stellen, gegenseitige Absolution. Die Zerstörung, die das Verhalten anrichtet, wird gemeinsam ausgeblendet. Der Flughafen ist damit der Nullpunkt der Klimakatastrophe und des wankenden Kapitalismus, symbolisch wie real.

Streiks wie neulich bei Ryanair sind da nur ein Mittel, das Problem deutlich zu machen. Sie verweisen immerhin auf die menschlichen Bedingungen, unter denen das Billigfliegen erzeugt wird. Gefragt ist aber eigentlich die Politik. Es ist eine der zentralen staatlichen Fragen der nahen Zukunft: Was soll die öffentliche Infrastruktur sein im 21. Jahrhundert, in einer digitalen Welt der Ortlosigkeit und Daueranwesenheit? Ist Fliegen überhaupt noch zeitgemäß?

Anders gesagt: Im Grunde sollten Flüge verboten werden, wenn die gleiche Strecke mit der Bahn in drei Stunden oder weniger machbar ist.