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Wirtschaft Arbeitslosengeld II

Die Wahrheit über die Disziplin der Hartz-IV-Bezieher

Finanzredakteur
Quelle: Infografik Die Welt
Jobcenter verhängen Strafen gegen Hartz-IV-Empfänger, die sich nicht an Regeln halten. Die Sanktionen gehen 2016 zurück.
  • Beobachter vermuten, die Jobcenter würden weniger hart durchgreifen. Die Bundesagentur für Arbeit bestreitet das.
  • Fakt ist: Eine einfache Neuerung sorgt für weniger verpasste Termine bei Arbeitslosen. Und somit zu weniger Sanktionen.

Die Jobcenter verhängen weniger Strafen gegen Hartz-IV-Empfänger, die sich nicht an die Regeln halten. Im ersten Halbjahr 2016 wurden 457.090 Sanktionen neu ausgesprochen. Das waren 42.143 oder 8,4 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Für den Rückgang gibt es mehrere Gründe. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) betont den Zusammenhang mit dem starken Arbeitsmarkt und der sinkenden Zahl von Jobsuchenden. Die geringe Zahl von Sanktionen gehe mit der geringen Zahl von Empfängern von Arbeitslosengeld II einher.

Das erklärt jedoch nur zum Teil, warum seltener Sanktionen ausgesprochen werden. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2015 lag die Zahl der Arbeitslosen von Januar bis Juni 2016 um rund 100.000 niedriger, das entspricht einem Rückgang um 3,5 Prozent.

Die Zahl aller Hartz-IV-Empfänger war im ersten Halbjahr mit durchschnittlich 4,312 Millionen sogar nur 57.000 oder etwas über ein Prozent geringer als 2015.

Quelle: Infografik Die Welt

Wegen dieser Diskrepanz vermuten Beobachter, dass die Jobcenter weniger hart durchgreifen. Die Bundesagentur für Arbeit bestreitet das. „Es gibt keine veränderte Sanktionspraxis“, betont man bei der Behörde in Nürnberg. Bei bestimmten Verstößen müssten die Strafen erfolgen, das sei keine Frage des Ermessens.

Dennoch ist es auffällig, dass nicht nur die absolute Zahl der Sanktionen seit Jahren rückläufig ist, sondern auch ihr Anteil. Im ersten Halbjahr 2016 wurden gegen 1,77 Prozent aller Empfänger von Grundsicherung Strafen verhängt, vergangenes Jahr waren 1,9 Prozent der Empfänger betroffen.

Ein Urteil könnte Grund für die Milde sein

Ein Grund für die Milde könnte ein Urteil des Bundessozialgerichts sein. Das Gericht hat im April 2015 die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger begrenzt, die wegen versäumter Termine verhängt werden. Den Richtern zufolge dürfen Jobcenter Arbeitslose nicht in Serie vorladen und bei Nichterscheinen dann die Zahlungen zusammenstreichen.

Das Ignorieren eines Termins im Jobcenter muss laut Gesetz geahndet werden: In Paragraf 32 des Sozialgesetzbuchs II (SGB II) heißt es dazu: „Kommen Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nach, mindert sich das Arbeitslosengeld II oder das Sozialgeld jeweils um 10 Prozent.“

Wiederholtes Fehlen und anderes sozialwidriges Verhalten kann zu noch härteren Strafen führen. Bei Arbeitsverweigerung sind Kürzungen von 30 Prozent möglich. Verstößt ein Bezieher mehrmals gegen die Spielregeln, kann das Arbeitslosengeld II komplett gestrichen werden.

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Zuletzt wurden 9,8 Prozent der Sanktionen für die Weigerung verhängt, eine Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen. Die Weigerung, Eingliederungspflichten zu erfüllen, führte zu weiteren 10,2 Prozent der Sanktionen. Eingliederungsvereinbarungen sehen zum Beispiel vor, dass Arbeitslose einen PC-Kurs machen oder eine bestimmte Anzahl von Bewerbungen schreiben. Halten sich „die Kunden“ (wie Arbeitslose in den Jobcentern genannt werden) nicht an die Vereinbarungen, drohen ihnen Strafen.

Hauptgrund für Sanktionen: Meldeversäumnisse

Der mit Abstand häufigste Anlass für Sanktionen waren jedoch nicht das Ausschlagen von Beschäftigungsangeboten oder Versäumnisse bei der Wiedereingliederung, sondern das schlichte Nichterscheinen zu vorgegebenen Terminen. Solche Meldeversäumnisse zeichneten zuletzt für 76,8 Prozent aller Bestrafungen verantwortlich.

Im Laufe der vergangenen Jahre ist die Bedeutung der Sanktionen wegen Nichterscheinen nach oben geschossen. Im Jahr 2007 resultierten erst 54 Prozent der Strafen aus Meldeversäumnissen. Arbeitsverweigerung führte damals noch zu fast einem Viertel aller Sanktionen.

Die schwindende Quote von Strafen wegen Arbeitsverweigerung rührt von der deutlich verbesserten Jobsituation in Deutschland. Im Schnitt sind heute 350.000 weniger Menschen auf der Suche nach einer Beschäftigung als vor fünf Jahren. Die Zahl der Sanktionen geht seit 2013 tendenziell zurück.

Für Hartz-IV-Familien heißt es - Kinder weg, Haus weg

Sind die Kinder ausgezogen, müssen Hartz-IV-Familien ihr Haus aufgeben - wenn es zu groß geworden ist. Das hat das Bundessozialgericht entschieden. Das Eigenheim gelte dann als verwertbares Vermögen.

Quelle: Die Welt

Angesichts der überragenden Bedeutung von Sanktionen wegen Meldeversäumnissen hält man sich bei der Arbeitsagentur zugute, dass eine einfache Neuerung zu weniger verpassten Terminen führt. Vor etwas über zwei Jahren hätten die Jobcenter einen SMS-Erinnerungsservice eingeführt, der „die Kunden“ an einen bevorstehenden Termin erinnert. Nicht Lässlichkeit oder Milde habe zu der geringeren Zahl an Sanktionen geführt, sondern diese praktische Erinnerungshilfe, glaubt man in Nürnberg.

Im Juni (das sind die aktuellsten verfügbaren Daten) waren bei der Bundesagentur 4,317 Millionen Hartz-IV-Empfänger gemeldet. Die mit Abstand meisten Strafen werden in Berlin verhängt. Die von den Jobcentern ausgewiesene Sanktionsquote beträgt in der Hauptstadt 4,6 Prozent. Dort laufen also gegen jeden 22. Bezieher Bestrafungen. Die wenigsten Sanktionen wurden im Saarland ausgesprochen. Dort betrug die Quote nur 2,3 Prozent.

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