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Syrische Terror-Aussteiger "Ich war auf der falschen Seite"

Der "Islamische Staat" ist für seine Brutalität berüchtigt - selbst manchen Dschihadisten geht das zu weit. Zwei syrische IS-Aussteiger berichten in "Le Monde" von Massakern und willkürlichen Hinrichtungen.
Islamischer Staat: Kämpfer posieren an einem Checkpoint im Nordirak

Islamischer Staat: Kämpfer posieren an einem Checkpoint im Nordirak

Foto: AFP Photo / Ho / Welayat Salahuddin

Ahmed, 28, und Maher, 24, kennen sich nicht, doch ihre Geschichte ist ähnlich: Beide sind Syrer, die für die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) gekämpft haben. Und sie sind aus demselben Grund ausgestiegen: Wegen der Ausländer, die sich dem IS anschließen. "Die ausländischen Dschihadisten sind oft viel konservativer als die Syrer", klagt Ahmed. "Das ist wie eine Invasion", sagt Maher, "sie verzerren den wahren Islam."

Die französische Zeitung "Le Monde" hat die beiden Ex-Kämpfer unabhängig voneinander interviewt . Ihre Erzählungen geben Einblick in den Aufstieg und Wandel des IS.

Ahmed und Maher kamen schon früh mit den Islamisten in Kontakt. Denn beide stammen aus der nordöstlichen Provinz Deir al-Sor. In dieser Grenzregion nahe dem Irak haben die Radikalislamisten schon lange gute Kontakte. Von dort aus wurden während der US-Besatzungszeit im Irak Dschihadisten eingeschleust und der irakischen al-Qaida vermittelt, der Vorläuferorganisation des IS.

"Welchen Unterschied gibt es zwischen uns und dem Regime?"

"Ein Mann in unserem Dorf hatte schon im Irak gekämpft", erzählt Ahmed in "Le Monde". "Als wir Kinder waren, hat er uns heimlich in Religion unterrichtet." Mit Beginn der Aufstände in Syrien schloss sich Ahmeds salafistischer Religionslehrer dem syrischen Ableger der irakischen al-Qaida, der Nusra-Front, an und wurde einer ihrer Befehlshaber. Ahmed folgte ihm, auch als er später von dort zum IS wechselte.

Nun, nach anderthalb Jahren beim IS, ist Ahmed in die Türkei geflohen. Er hat nicht mit dem radikalislamischen Gedankengut gebrochen, doch selbst ihm ist der IS inzwischen zu brutal.

Maher hatte nach einem Kampf in der syrischen Provinz Deir al-Sor genug vom IS, berichtet er in der französischen Zeitung. Dabei hatten seine Kameraden mehrere Hundert syrische Zivilisten hingerichtet - Frauen und Kinder. Sie waren nicht einmal vermeintlich Andersgläubige, sondern Sunniten. Ihr Verbrechen bestand darin, dass sie einer rivalisierenden Rebellengruppe angehörten. Maher stürmte wutentbrannt zu seinem Befehlshaber.

"Ich habe meinem Emir gesagt, dass das nicht gerecht sei. Ich habe ihn gefragt: Wenn wir Zivilisten töten, welchen Unterschied gibt es dann noch zwischen uns und dem Regime?" Daraufhin wurde Maher von seinen einstigen Kameraden verhaftet.

"Ich war in diesem Krieg auf der falschen Seite"

Maher konnte dem IS entkommen. Es folgte eine abenteuerliche Flucht, auf der er vier IS-Kämpfer tötete. Nun lebt Maher in der Türkei, will in Istanbul abtauchen und dort erst mal Geld verdienen. Danach will er weiterziehen. "Ich war in diesem Krieg auf der falschen Seite", resümiert er.

Maher und Ahmed sind sich einig: Die Europäer und Tschetschenen in den Reihen vom IS seien die schlimmsten. Ahmed erzählt, wie er nach einem Kampf ein Massaker an Frauen und Kindern erlebte. Die IS-Kämpfer aus dem Kaukasus, aus Tunesien und Frankreich hätten wahllos Zivilisten ermordet. Zwei jordanische und ägyptische IS-Kämpfer versuchten, sie aufzuhalten. Am nächsten Tag fand man die beiden ermordet.

Maher und Ahmeds Erzählungen decken sich mit anderen Berichten. Die Rücksichtslosigkeit des IS verstört viele Syrer. Deshalb begrüßen viele die amerikanischen Luftangriffe auf IS-Positionen. Die Bombardierungen von Quartieren der radikalislamischen Nusra-Front sehen einige dagegen kritisch. Bei der Nusra-Front kämpfen anders als im IS inzwischen hauptsächlich Syrer. Immer wieder kooperierte die Gruppe zuletzt mit anderen Rebellen - anstatt diese wie der IS zu bekämpfen.

Maher hat dem Dschihad endgültig den Rücken gekehrt. Ahmed überlegt dagegen, nach Syrien zurückzugehen und sich wieder der Nusra-Front anzuschließen. "Das Kalifat bleibt mein großer Traum", sagt er.

ras