ZEITmagazin ONLINE: Frau Elmlid, woran erkennen Sie ein gutes Weißbrot?

Malin Elmlid: Daran, dass es im Inneren verschieden große Luftblasen hat zum Beispiel. Oder eine harte Kruste, die ruhig krümeln darf. Sobald aber das Innere zu sehr krümelt, ist das Brot vermutlich alt. Für mich ist gutes Weißbrot innen feucht, etwas zäh und glitzert ein wenig. Dazu kommt eine harte, leicht angebrannte Kruste als Kontrast. Und es riecht!

ZEITmagazin ONLINE: Eigentlich kommen Sie aus der Modebranche, haben aber sehr viel Zeit Ihres Lebens mit dem Backen von Brot verbracht. Und dieses Brot mit Menschen gegen andere Dinge getauscht. Warum?

Elmlid: Brot wurde ganz unerwartet zu einem wichtigen Türöffner in meinem Leben. Ich fand in Berlin kein gutes weißes Sauerteigbrot. Deswegen begann ich, selbst welches zu backen. Im Laufe dieses Prozesses, in dem man viel üben muss, hatte ich plötzlich so viel Brot, von dem ich nicht wusste, wohin damit. Also begann ich, es zu tauschen.

Immer mehr Bäcker verwenden Backmischungen und Zusatzstoffe, ihr Gebäck schmeckt langweilig. Zurück zur Natur, fordert deshalb Europas größter Mehlhersteller – und propagiert Hightech-Mehle. Dr. Max besucht das Backlabor.

ZEITmagazin ONLINE: Sie haben mehr als 1.000 Brote getauscht. Gab es eine Begegnung, die Sie nicht mehr vergessen?

Elmlid: Für mich ist vor allem diese Vielfalt der Begegnungen wichtig gewesen. Besonders beeindruckend waren die Frauen in Afghanistan, mit denen ich gebacken habe. Als ich dort war, bat mich eine Diplomatin, ein paar Bilder für sie zu machen. Weil sie selbst nach fünf Jahren Aufenthalt keinen afghanischen Frauen begegnen konnte. Ich hatte Zugang zu ihnen – über das Brot.

ZEITmagazin ONLINE: Was bleibt denn von so einem Tauschgeschäft übrig außer dem, was man tauscht?

Elmlid: Das ist unterschiedlich. Tauschen ist sehr zeitaufwändig. Man muss das Brot backen, den Tausch organisieren und sich treffen. Wenn ich vier Brote gebacken habe, die ich tauschen will, dann ist das ein Aufwand von mehreren Tagen. Manchmal ist so eine Begegnung deswegen sehr flüchtig. Aber für mich sind auch Freundschaften daraus entstanden, vor allem weil Freundschaft nicht das Ziel des Tausches war.

ZEITmagazin Online: Wie kam es dazu?

Elmlid: Wenn man tauscht, wie ich es gemacht habe, dann hat man mit dem Gegenüber meist die Neugier gemeinsam, eine gewisse Offenheit. Dazu entwickeln sich sehr schnell persönliche Gespräche, weil man sofort über Werte oder Qualität spricht. Menschen tauschen gegen mein Brot häufig Dinge, die ihnen etwas bedeuten. Das ist sehr privat.

ZEITmagazin ONLINE: Haben Sie das Gefühl, dass Tauschgeschäfte, die nicht durch Geld motiviert sind, weniger werden?

Elmlid: Für mich persönlich ist Tauschen mittlerweile Normalität. Und ich glaube schon, dass Tauschprojekte wieder in Mode kommen. Häufig ist die Intention dabei natürlich "Ich will etwas haben!", das ist total legitim. Ich tausche jedoch nicht, weil ich einen Gegenstand brauche. Ich gehe hin und sage: "Das habe ich zu geben und du gibst mir dafür, was du mir geben willst. Schauen wir mal!" Das führt jedes Mal zu Überraschungen.

ZEITmagazin ONLINE: Zum Beispiel?

Elmlid: Ich habe meinen Freund so kennengelernt. Ich stand in der Bäckerei eines gemeinsamen Bekannten und habe Brot gebacken. Und ich empfehle auch immer meinen Freunden, die sich beschweren, dass es mit 30 so schwer sei, einen Partner zu finden: Geht raus aus eurer Komfortzone, zum Beispiel durch Tauschen.

ZEITMagazin ONLINE: Weil wir alle nur noch online daten?

Elmlid: Persönliche Begegnung ist das wichtigste, noch wichtiger als der Tausch selbst. Natürlich wären ohne Social Media all diese Tauschgeschäfte nicht zustande gekommen, aber die sozialen Medien sind lediglich das Werkzeug dafür. Mittlerweile schaffe ich es aber nur noch, alle zwei Wochen zu backen.

ZEITmagazin ONLINE: Weil Ihr Buch gerade in mehreren Sprachen erscheint, Sie Mutter geworden sind und viel reisen?

Elmlid: Ja. Wenn ich derzeit backe, dann vier bis sechs Brote am Stück. Mehr geht nicht. Aber Sauerteig ist wie ein Haustier und macht auch zwischendurch Arbeit.

ZEITMagazin ONLINE: Ein Haustier, das man füttern und umsorgen muss?

Elmlid: Ja! Früher war er beinahe mein Kind. Aber mittlerweile habe ich den Teig erzogen und kann ihn steuern. Das habe ich auf all meinen Reisen gelernt, auf die ich den Sauerteig mitgenommen habe. Nur wenn man den Teig versteht, kann man mit ihm umgehen.

ZEITmagazin ONLINE: Wie lange dauert es, bis man den Teig versteht?

Elmlid: Klingt es demotivierend, wenn ich sage, dass ich ungefähr ein Jahr gebraucht habe? Ich komme aus der Modebranche und war ständig unterwegs. Den Sauerteig habe ich mit mir herumgeschleppt. Gelernt habe ich: Sauerteig wird auch müde vom Reisen, Sauerteig hat sogar Jetlag! Und wenn es ihm so geht, ist er nicht fit genug, um ein gutes Brot zu werden.

ZEITmagazin ONLINE: So wie Menschen eben auch.

Elmlid: Und man stelle sich vor, man ist in Paris und weiß nicht, welches Mehl gut ist. Man geht in den Biomarkt und hofft, dass im Mehl genug Protein ist, damit man überhaupt ein Brot ohne Hefe backen kann. Stressig! Auch das Wasser macht einen Unterschied. Es wäre schneller gegangen, wenn ich ein routiniertes Leben an einem Ort gehabt hätte. Aber aus diesen Versuchen und Misserfolgen habe ich gelernt.

ZEITmagazin ONLINE: Apropos Routine! Brauchen Sie das Backen in Ihrem Leben, in Ihrem Alltag?

Elmlid: Das Backen brauche ich nicht, aber etwas Handwerkliches. Auch wenn ich es hasse, schmutzige Hände zu haben. Und ich bin süchtig nach gutem Brot, an dieses Endprodukt bin ich wirklich gebunden. Ich wäre aber auch traurig, wenn mein Sauerteig sterben würde, der so viel mit mir gereist ist. Deswegen habe ich noch ein Backup eingefroren.

ZEITmagazin ONLINE: Man kann Sauerteig einfach auftauen und dann geht’s weiter?

Elmlid: Man kann ihn zur Lagerung auch trocknen, das ist gar kein Problem. Dann kann man ihn viele Jahre später wieder aktivieren. Vor zwei Jahren habe ich hier ein Paar getroffen, das zurück nach Finnland ziehen wollte. Der Mann kam aus der ältesten, noch in Betrieb stehenden Mühle in Finnland. Er hatte hier noch fünf Kilo Roggenmehl, die er nicht mit zurücknehmen konnte. Für ein Brot bekam ich das Mehl und einen 100 Jahre alten Sauerteig. Das war sehr cool.

ZEITmagazin ONLINE: Macht Tauschen glücklich?

Elmlid: Die Modebranche ist ja von Natur aus ein sehr oberflächliches Business. Das Backen und Tauschen war wie eine Erholung für mich. Es hat mich auf dem Boden gehalten. Ich glaube aber, dass Glück damit beginnt, nichts zu wollen, nicht immer sofort etwas Riesiges machen zu müssen.

ZEITmagazin ONLINE: Keine Erwartungen zu haben ist also der Weg zur Zufriedenheit?

Elmlid: Für mich war es das. Ich habe damals einfach losgelegt. Mein einziges Ziel war es, richtig gutes Weißbrot herstellen zu können. Erst viel später fragte ich mich, ob ich nicht eine Bäckerei aufmachen will.

ZEITmagazin ONLINE: Sie haben sich dagegen entschieden.

Elmlid: Ja, dann wäre ich unflexibel geworden. Gerade halte ich vor allem Vorträge, reise, mache Lesungen, arbeite an einem neuen Buch.

ZEITmagazin ONLINE: Achtsamkeit ist gerade ein großes Thema für viele, genau wie der bewusstere Umgang mit Essen.

Elmlid: Das freut mich zum einen. Zum anderen bin ich etwas zwiegespalten. Ich als Frau und Mutter bin mir sehr bewusst, welches hohe Maß an Freiheit, Zeit und Flexibilität mir vorgefertigtes Essen ermöglicht.

ZEITmagazin ONLINE: Weil es utopisch ist, alles selbst herzustellen?

Elmlid: Wenn ich sehe, wie jemand im Netz schreibt "Hurra, ich habe gerade ein Sieben-Stunden-Irgendwas gekocht, das man alle drei Minuten umrühren muss", dann denke ich: Das ist ja schön, aber in meinem Leben wäre das nicht möglich. Zeit ist auch Luxus für mich. Trotzdem wünsche ich mir, dass sich die Lebensmittelindustrie dahin entwickelt, dass ich bessere Produkte kaufen kann.

ZEITmagazin ONLINE: In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich auch mit dem Fitnesswahn, mit dem Essen für viele zwangsläufig zu tun hat.

Elmlid: Ich war in meinem Leben in drei Detox-Camps, zweimal in Thailand und einmal in Sri Lanka. Ich muss aber sagen, dass für mich immer die Frage im Raum stand: Wann ist so eine Besessenheit auf Essen, so ein Zählen von Kalorien oder Inhaltsstoffen eigentlich schon eine Essstörung?

ZEITmagazin ONLINE:
Viele Leute neigen dazu, ihr Essen nur noch zu analysieren, alles abzuwiegen.

Elmlid: Ich habe mir immer gewünscht, ich könnte einfach nur essen, wenn ich essen möchte, und aufhören, wenn ich aufhören will. Ich hatte selbst nie eine Essstörung, aber ich merkte, dass ich nah dran war, als ich mich ständig mit dem sogenannten Clean Eating auseinandergesetzt habe. Ich war nicht entspannt. Und für mich soll Essen Genuss sein. Man muss den Zwang loslassen, damit es schön wird.

ZEITmagazin: Haben Sie mit dem Clean Eating aufgehört?

Elmlid: Ja. Ich kenne nur wenige Menschen, die eine völlig unkomplizierte Beziehung zum Essen haben. Mittlerweile gehöre ich auch wieder dazu, weil ich besser auf meinen Körper höre. Er sagt mir schon, was er möchte.

ZEITmagazin ONLINE: Dafür muss man ihn aber auch verstehen.

Elmlid: Richtig. Das haben wir häufig verlernt. Mir hat meine Schwangerschaft geholfen, wieder genussvoller zu essen. Als mir alle Menschen sagen wollten, was ich wie richtig zu machen habe, zog ich mich zurück und hörte vor allem auf meinen Körper. Ich war näher bei mir selbst.

ZEITmagazin ONLINE: Und der Körper wollte Brot?

Elmlid: Ja, das wollte er schon die ganze Zeit. Und ich habe damals in Berlin nicht bekommen, was ich wirklich unbedingt haben wollte: gutes Brot, das mit Wasser, Salz, Mehl und ohne Hefe auskommt. Also habe ich mich auf die Suche begeben. Weil ich mich fragte: Kann ich das? Bekomme ich das hin? Wenn man die Neugier verliert, macht Essen keinen Spaß mehr. Und wir müssen uns die Geschichten zu unserem Essen erzählen, dann wird es viel mehr. So geht Genuss!

ZEITmagazin ONLINE:
Apropos genießen! Wenn man dann eins von den raren guten Weißbroten gefunden hat, was isst man am besten dazu?

Elmlid: Eine salzige Rohmilchbutter, mehr braucht es nicht!