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Wie bitte, Herr Trittin? Ein „Markt für Ökostrom“?

Wirtschaftsredakteur
Tanz um die goldene Sonne: Jürgen Trittin, Renate Künast, Sigmar Gabriel und Gregor Gysi bei einer Demonstration gegen Einschnitte bei Solarstromanlagen im März 2012 Tanz um die goldene Sonne: Jürgen Trittin, Renate Künast, Sigmar Gabriel und Gregor Gysi bei einer Demonstration gegen Einschnitte bei Solarstromanlagen im März 2012
Tanz um die goldene Sonne: Jürgen Trittin, Renate Künast, Sigmar Gabriel und Gregor Gysi bei einer Demonstration gegen Einschnitte bei Solarstromanlagen im März 2012
Quelle: REUTERS
Opposition und Ökostrom-Branche schäumen, weil Peter Altmaier die Subventions-Exzesse bei den erneuerbaren Energien bekämpfen will. Doch die Reaktionen sind hilflos – und teils einfach zum Lachen.

Mit seinem Vorschlag einer „Strompreis-Bremse“ hat Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) in dieser Woche Energiepolitiker aller Parteien und Lobbygruppen überrumpelt und auf dem falschen Fuß erwischt. Sein Konzept, mit dem er die Kostenbelastung der Bürger durch die Energiewende begrenzen will, „kam aus dem Nichts“, klagte ein Lobbyist der Windkraftbranche.

Selbst Kabinettskollegen wie der ebenfalls für Energie zuständige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wurden nur kurz vor der Veröffentlichung per SMS informiert. Auch führende Mitarbeiter des eigenen Hauses hatte Altmaier nicht eingeweiht.

Das führte am Montag dieser Woche im Bundesumweltministerium in der Berliner Stresemannstraße zu peinlichen Szenen: Denn dort saßen rund 30 ahnungslose Energieexperten der Bundesländer, Umwelt- und Wirtschaftsverbände im Arbeitskreis „EEG-Reform“ mit Altmaiers Beamten zusammen, um die Zukunft der Ökostrom-Förderung in Deutschland auszubaldowern.

Dass der Minister noch zur selben Stunde zu eben diesem Thema eine wichtige Ankündigung vor der Presse machen wollte, erfuhren die Experten erst kurz vorher über ihre Smartphones. Der Vorsitzende des ministeriellen Arbeitskreises, ein Referatsleiter, konnte auf erzürnte Nachfragen nur mit hilflosem Schulterzucken antworten.

Schnell schickte man Boten zur Bundespressekonferenz am Schiffbauerdamm, die dort belauschen sollten, was der eigene Minister in Sachen Energiewende denn eigentlich so vorhabe. Das Gesamtpaket, das Altmaier dort präsentierte, schockierte die politisch bislang verhätschelte Ökostrom-Lobby und irritierte die Oppositionsparteien.

Betreiber von Windkraft- und Solaranlagen sollten nun mitzahlen für die Energiewende, die energieintensive Industrie soll Privilegien aufgeben. Die EEG-Umlage, mit der die Verbraucher den Ökostrom subventionieren, will Altmaier für zwei Jahre einfrieren. Die Reaktion der völlig überraschten deutschen Energiepolitiker war ein Stimmengewirr, das vor allem eins zeigt: Ein echtes Alternativkonzept haben sie alle nicht.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP)

„Altmaiers Pläne gehen leider nicht weit genug. Wir brauchen den großen Wurf.“

Die Kritik des Wirtschaftsministers unterschlägt, dass sein Rivale Altmaier den „großen Wurf“ ja ebenfalls längst vorbereitet. Im Bundesumweltministerium schnitzt eine „Plattform erneuerbare Energien“ seit knapp einem Jahr in mehreren Arbeitskreisen an einer Reform der Ökostrom-Förderung in Deutschland.

Mit dabei sind alle relevanten Akteure der Energiewirtschaft, also Vertreter von Ländern und Kommunen, Stadtwerken, Energieversorgern, Netzbetreibern, Wirtschaftsverbänden, Forschungsinstituten und Verbraucherschützern. Die dort erarbeiteten Vorschläge sollen noch vor der Bundestagswahl im Herbst öffentlich präsentiert und diskutiert werden.

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Schon jetzt zeichnet sich ab: Das alte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gilt den Fachleuten wegen seiner fehlenden Mengen- und Kostensteuerung als untauglich bei dem Versuch, die zweite Stufe der Energiewende zu zünden. Stattdessen könnte die Ökostrom-Förderung in Zukunft entweder nach einem „Bonusmodell“ oder nach einem „Ausschreibungsmodell“ organisiert werden.

Allerdings braucht es Zeit, den Systemwechsel gegen den zähen Widerstand der EEG-Profiteure und Subventionsempfänger durchzusetzen. Vor 2015 dürfte das nichts werden.

Bleibt es bis dahin bei einem ungebremsten Solarzubau von jährlich sieben oder acht Gigawatt, macht sich der Mangel an Stromspeichern, Netzen und Reservekraftwerken immer schmerzhafter bemerkbar, die Systemkosten der Energieversorgung steigen immer weiter, und damit auch die Strompreise für den Endverbraucher.

Großer Wurf? Den braucht es auch. Das eine zu tun, heißt aber nicht, das andere zu lassen. Altmaiers Strompreisbremse hat den unschätzbaren Vorteil, dass sie schnell schon mal Wirksamkeit entfaltet, bevor dann in einigen Jahren ohnehin der große Systemwechsel kommt.

Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident Baden-Württemberg

„Wir können die selbst gesetzten Klimaschutzziele nicht erreichen, wenn wir jetzt auf einmal den Ausbau der Regenerativen verlangsamen.“

Das Erreichen der „selbst gesteckten Klimaschutzziele“ wäre überhaupt kein Problem, wenn die Politik mit der Atomkraft nicht die größte CO2-freie Stromquelle in Deutschland abgeschaltet hätte. In seiner Kritik an Altmaiers Vorschlägen tut Kretschmann gerade so, als hätte die Energiewende irgendetwas mit Klimaschutz zu tun.

Dem ist nicht so, es geht zunächst und vor allem um den Ersatz der Atomenergie. Das zeigt ein Blick auf die Zahlen: Nach Subventionen von rund 100 Milliarden Euro waren die deutschen Solar- und Windkraftanlagen im Jahre 2011 in der Lage, rund 73 Terawattstunden Strom zu erzeugen.

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Das ist nur etwas mehr als die Hälfte jener 135 Terawattstunden, die die deutschen Atomkraftwerke bislang jährlich klimaneutral produziert hatten. Deutschland muss also noch viele Windräder und Solarparks aufstellen, bis 2022 das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet wird. Und dann hat eine CO2-freie Stromquelle lediglich eine andere ersetzt: Der Netto-Effekt der Energiewende für den Klimaschutz ist gleich null.

Selbst wenn Altmaiers „Strompreisbremse“ auch zu einem gebremsten Ausbau der bislang völlig überförderten Solarkraft in Deutschland führen würde, wie Kretschmann unterstellt, wäre das dem Erfolg der Energiewende eher dienlich: Solange es an Netzen, Speichern und Reservekraftwerken fehlt, ist es wenig sinnvoll, weiterhin an jedem Bedarf vorbei und ohne regionale Steuerung überall Solar- und Windparks in die Gegend zu setzen.

Michael Kauch, umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion

„Zur Strompreisbremse gehört für uns auch eine Senkung der Stromsteuer.“

Wenn es in der Vergangenheit nicht stets die FDP gewesen wäre, die einen festen „Deckel“ auf die ausufernden Solarsubventionen verhindert hatte, wäre die Begeisterung ihres umweltpolitischen Sprechers für eine Strompreisbremse glaubwürdiger.

Auch hat sich die FDP stets stark für finanzielle Privilegien der Industrie eingesetzt, die zu steigenden Energiekosten für die übrigen Verbraucher geführt haben. So aber trägt ausgerechnet die Anti-Subventions-Partei FDP eine gewisse Mitschuld an der gestiegenen Kostenbelastung.

Altmaiers Strompreisbremse jetzt dafür zu kritisieren, dass sie keine Senkung der Stromsteuer beinhaltet, kommt ein bisschen wohlfeil daher: Mit einem Aufkommen von rund sieben Milliarden Euro trägt die Stromsteuer nicht wenig dazu bei, dass die Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr erstmals seit langer Zeit wieder gegen null sinkt. Das Problem steigender Systemkosten der Energieversorgung lindert zudem auch eine niedrigere Stromsteuer nicht: Sie kaschiert es lediglich.

Hubertus Heil, stellvertretender SPD-Fraktionschef

„Seine Schnellschüsse sind weder mit seinem Koalitionspartner abgestimmt, noch unternimmt er den ernsthaften Versuch, auf die Bundesländer und die Opposition zuzugehen.“

Bei seiner Kritik an Altmaiers energiepolitischem Vorstoß vergisst der SPD-Fraktionsvize, dass es in den vergangenen Jahren der Regierungskoalition eher wenig gebracht hat, „auf die Bundesländer und die Opposition zuzugehen“. So scheiterte das geplante Gebäudesanierungsprogramm, eines der effizientesten und sinnvollsten Projekte der Energiewende überhaupt, stets an der Blockade der sozialdemokratisch regierten „A-Länder“ im Bundesrat.

Anstatt sinnvolle Regierungsprojekte zu unterstützen beschäftigen sich die Ministerpräsidenten aller Bundesländer lieber damit, ihre eigene kleinen Energiewenden zu planen, die hinten und vorne nicht zusammenpassen. So will Schleswig-Holstein seine Windstrom-Exporte vervielfachen, obwohl Bayern die eigene Energie-Autarkie anstrebt und die norddeutsche Ökoenergie gar nicht haben will.

Der Versuch der Bundeskanzlerin, die Ministerpräsidenten der Länder für ein abgestimmtes Vorgehen bei der Energiewende an einen Tisch zu bringen, erwies sich im Herbst vergangenen Jahres als Fehlschlag: Nach allerlei Lippenbekenntnissen machen die Bundesländer nun weiter wie bisher, Schleswig-Holstein kündigte etwa im Alleingang die Verdreifachung seiner Windeignungsflächen an.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin

„Das ist der Versuch, den Markt für Ökostrom zu verunsichern, eine Branche mit 400.000 Arbeitnehmern.“

Wie bitte? Ein „Markt für Ökostrom“? Für Ökostrom besteht ein gesetzlicher Kaufzwang jedweder produzierten Menge zu gesetzlich festgelegten Preisen. Das ist die vollständige Abwesenheit von „Markt“. Trittins Kritik an Altmaiers Vorgehen basiert auf bizarren ordnungspolitischen Vorstellungen.

Wenn durch Altmaiers Strompreisbremse jemand verunsichert wird, sind das bestenfalls die deutschen Subventionsempfänger und vielleicht noch die chinesische Solarindustrie. Die deutschen EEG-Profiteure leben allerdings ohnehin schon längst in Unsicherheit, denn dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seinen staatlich garantierten Fixpreisen in dieser Form nicht mehr lange Bestand haben wird, dürfte inzwischen allen Beteiligten klar geworden sein.

Selbst in den Branchenverbänden der erneuerbaren Energien gibt man sich da keinen Illusionen mehr hin. Gefahr droht der Energiewende durch eine völlig ungezügelte Kostenentwicklung und ungesteuerten Kapazitätsausbau, der an allen regionalen Bedürfnissen vorbeigeht. Altmaier gibt Investoren nun die Sicherheit, dass die Bundesregierung dieser Entwicklung nicht mehr tatenlos zuschauen will, und das ist gut so.

Dorothée Menzner, energiepolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke

„Die Produzenten der erneuerbaren Energien werden in das nächste Investitionschaos geschickt, während die Pfründe der Großkonzerne der Energiewirtschaft praktisch unangetastet bleiben.“

Dass die Pfründe der Energiekonzerne unangetastet geblieben wären, ist ein Glaube, der mit der Realität so gut wie nichts zu tun hat. Abgesehen von den Braunkohle-Anlagen sind nahezu alle Kraftwerke der konventionellen Energiekonzerne und Stadtwerke in Deutschland unwirtschaftlich geworden.

Der Grund dafür liegt im gesetzlichen Einspeisevorrang des mit Subventionen erzeugten Ökostroms. Brennelemente-Steuer und staatlich angeordnete Abschaltung von Atomkraftwerken haben die Bilanzen der Unternehmen ebenfalls massiv belastet. E.on schrieb 2011 zum ersten Mal rote Zahlen. Bei RWE, EnBW und Vattenfall sieht die Lage kaum besser aus.

Die Aktienkurse der Unternehmen sind dramatisch eingebrochen. Die Mär von den großen, angeblich abzockenden Energiekonzernen als mächtige „Gegner der Energiewende“ glaubt außerhalb der Partei Die Linke niemand mehr, außer vielleicht die Buchautorin Claudia Kemfert.

E.on hat zwei seiner fünf deutschen Regionalgesellschaften verkauft, dazu nahezu alle Stadtwerksbeteiligungen, ein Fünftel seines deutschen Kraftwerksparks, das komplette Übertragungsnetz und das gesamte überregionale Gasnetz. Die angeblich mächtige E.on kommt derzeit noch auf einen deutschen Marktanteil von rund elf Prozent.

Vattenfalls Konzernstrategie ist vollständig auf Linie mit den ambitioniertesten Klimaschutzzielen Schwedens und Deutschlands, RWE ist größter deutscher Einzelinvestor in erneuerbare Energien, EnBW längst in der Hand der Grünen. Altmaiers Strompreisbremse zum Anlass zu nehmen, noch einmal die alten Feindbilder der 90er-Jahre aufleben zu lassen, hilft der Diskussion nicht weiter.

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