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Wirtschaft EU-Kommissar Oettinger

„Athen bezahlt seit Wochen keine Rechnungen mehr“

Der Euro wird auf einem Graffiti in Athen zu Grabe getragen: Griechenland steht kurz vor dem Staatsbankrott Der Euro wird auf einem Graffiti in Athen zu Grabe getragen: Griechenland steht kurz vor dem Staatsbankrott
Der Euro wird auf einem Graffiti in Athen zu Grabe getragen: Griechenland steht kurz vor dem Staatsbankrott
Quelle: dpa
Die Kasse der griechischen Regierung ist nach Einschätzung von EU-Kommissar Oettinger fast leer – Lieferanten und Handwerker würden nicht mehr bezahlt. Für Zugeständnisse stellt er aber Bedingungen.

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Die Verhandlungen mit Griechenland gehen in die entscheidende Woche. Der deutsche EU-Digitalkommissar Günther Oettinger erwartet zwar keinen Durchbruch bei einem Spitzentreffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Frankreichs Staatspräsident François Hollande am Montagabend in Berlin.

Doch eine Einigung noch in dieser Woche schließt er nicht aus. „Es wird Fortschritte auf der Arbeitsebene brauchen, um uns – vielleicht sogar bis Ende der Woche – auf eine Reformagenda zu verständigen, die die Auszahlung der letzten Tranche aus dem laufenden Hilfsprogramm einleitet“, sagte der EU-Kommissar der „Welt“.

Der Wunsch von Bundeskanzlerin Merkel dürfte groß sein, in den Verhandlungen mit Griechenland in den kommenden Tagen Fortschritte vorzuweisen. Am Sonntag wird sie auf Schloss Elmau die Staats- und Regierungschefs der in der Gruppe der G 7 vertretenen Industrienationen sowie Kommissionspräsident Juncker empfangen.

Im Zentrum stehen dabei eigentlich Themen wie der Klimaschutz sowie die bessere Bekämpfung von Epidemien wie Ebola. Doch US-Präsident Barack Obama, Japans Premier Shinzō Abe und Kanadas Regierungschef Stephen Harper werden von den Europäern sicher auch einen Sachstand zu den Gesprächen mit Griechenland hören wollen.

Positionen liegen noch weit auseinander

EU-Kommissar Günther Oettinger
EU-Kommissar Günther Oettinger
Quelle: dpa

Schon seit Monaten verhandeln Europäische Union, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) mit der neuen griechischen Regierung unter dem linksgerichteten Premier Alexis Tsipras. Ziel ist es, sich auf einen Spar- und Reformkatalog zu verständigen, der am Ende den Weg zur Auszahlung von neuen Krediten im Umfang von 7,2 Milliarden Euro ebnet.

Allerdings kamen die Gespräche inhaltlich bislang nur in wenigen Punkten voran. Die Einschätzung des griechischen Ministerpräsidenten Tsipras, eine Einigung stehe unmittelbar bevor, war vergangene Woche im Kreis seiner internationalen Verhandlungspartner dementiert worden. Noch am Sonntagabend wurde nach Angaben aus Athen weiterverhandelt.

Auch wenn sich das Gesprächsklima verbesserte, liegen die Positionen zum Teil noch immer weit auseinander. Zur letzten Verhandlungsrunde in Brüssel waren die Griechen mit Vorschlägen angereist, die im Kreis der mittlerweile „Institutionen“ genannten Troika aus EU, EZB und IWF als unzureichend bezeichnet wurden. „Es gibt Bewegung in den Verhandlungen, etwa bei der Reform der Mehrwertsteuer“, sagt Oettinger. „Aber bei zentralen Themen rund um Arbeitsmarkt und Pensionssystem sind die Gegensätze noch immer groß.“

Keiner weiß, wie viel Geld Athen noch hat

Viel Zeit bleibt den Gesprächspartnern nicht mehr, um einen Kompromiss zu finden. Am 30. Juni endet das Kreditangebot der internationalen Geldgeber. Um bis dahin den Weg für die Auszahlung zu ebnen, müssten mehrere Parlamente in den Mitgliedsstaaten konsultiert werden. Im Deutschen Bundestag müsste der Haushaltsausschuss angehört werden. Unter den Abgeordneten von CDU und CSU ist die Bereitschaft allerdings gering, Griechenland weitere Zugeständnisse zu machen.

Griechenland schuldet dem IWF insgesamt 21 Milliarden Euro, 2015 werden besonders viele Kredite fällig. Bei der EZB und dem Euro-Rettungsfonds hat sich Athen noch viel mehr Geld geliehen
Griechenland schuldet dem IWF insgesamt 21 Milliarden Euro, 2015 werden besonders viele Kredite fällig. Bei der EZB und dem Euro-Rettungsfonds hat sich Athen noch viel mehr Geld ge...liehen
Quelle: Infografik Die Welt

Es ist eine offene Frage, wie lange Athen noch ohne neue Finanzhilfen seinen Verpflichtungen nachkommen kann. Im Juni muss Griechenlands Finanzminister Janis Varoufakis in vier Raten insgesamt 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds überweisen. Die erste Zahlung ist für den 5. Juni vorgesehen.

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„Es liegt an der griechischen Regierung zu entscheiden, ob sie einen Antrag auf Bündelung der Juni-Zahlungen an den Internationalen Währungsfonds stellt und damit einige Tage Zeit gewinnt“, sagte Oettinger. Die griechische Regierung betonte allerdings immer wieder, sie werde am Freitag die fällige Rate bezahlen.

Die Kassenlage des griechischen Staats ist nicht bekannt. Doch die internationalen Geldgeber gehen nicht davon aus, dass das Land noch lange ohne weitere Finanzhilfen durchhalten kann. „Die griechische Regierung bezahlt nach unserem Kenntnisstand seit Wochen keine fälligen Rechnungen mehr an Lieferanten und Handwerker, die im Auftrag des Staates arbeiten“, sagt Oettinger. „Der Rechnungsberg wird immer größer. Alle Kassen, die für den griechischen Staat zugänglich sind, sind weitgehend geleert.“

Griechenland hofft auf ein Einlenken

Die Kommission hat die Aufgabe, zu integrieren. Es wird auch von vielen Seiten erwartet, dass sie den Griechen eine Brücke baut.
Günther Oettinger, EU-Digitalkommissar

Der griechische Regierungschef Tsipras steht selbst unter Druck. Der linke Flügel der Regierungspartei Syriza spricht sich gegen weitere Zugeständnisse an die Geldgeber aus. „Die Europäische Union sollte solidarisch sein, hat eine so große Geschichte“, sagte der Wortführer der Parteilinken, Stathis Leoutsakos, am Wochenende der „Bild“-Zeitung. „Aber jetzt hält die EU uns einfach die Pistole an den Kopf und benimmt sich wie die Mafia: Entweder wir geben ihnen, was sie wollen, oder sie werden uns umbringen.“

Der Politiker verlangte, offen über einen Ausstieg aus dem Euro nachzudenken. „Griechenland existierte vor dem Euro und wird danach existieren. Eine Währung sollte gut für die Menschen sein. Wenn das nicht mehr der Fall ist, brauchen wir eine andere Lösung.“

Die griechische Seite hofft nun auf ein Einlenken der politischen Spitzen in Europa. Der griechische Radio- und Fernsehsender Skai bezeichnete es als möglich, dass Griechenlands Regierungschef Tsipras am Montag gar nach Berlin fliegen oder sich per Videokonferenz zuschalten werde, um mit Juncker, Merkel und Hollande zu sprechen. Die Bundesregierung erklärte, man könne keinen Besuch von Tsipras in Berlin bestätigen.

Oettinger zieht klare Grenzen

EU-Kommissar Oettinger erwartet jedoch nicht, dass es auf dem Treffen der drei Spitzenpolitiker, bei dem es eigentlich um die Digitalisierung in Europa gehen soll, einen Durchbruch geben wird. „Die Herausforderungen von Griechenland sind zu groß, als dass man sie en passant lösen könnte“, sagte er. Auch das Format des Treffens sei dafür nicht geeignet.

„Jeder Tag ist entscheidend“

Bei seinem Besuch in Portugal äußerte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier auch zu den Verhandlungen mit Griechenland. Dabei sei jeder Tag entscheidend, um rechtzeitig eine Lösung zu finden.

Quelle: Reuters

Der Kommissar betonte erneut die Bereitschaft zu Zugeständnissen an Griechenland, zog aber gleichwohl Grenzen. „Wir können über die Schwerpunkte der Reformmaßnahmen sprechen“, sagte er. „Aber einen Rabatt im eigentlichen Sinne zu bieten wäre falsch. Es muss sichergestellt werden, dass Griechenland seine Schulden auch abbezahlen kann.“ Wichtig ist dem CDU-Politiker, dass die Griechen verlässliche Haushaltsüberschüsse erwirtschaften. „Man sollte die Messlatte nicht zu tief hängen. Ein Prozent Primärüberschuss für die kommenden Jahre halte ich für zu wenig.“

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Der Kommissar verteidigte auch die Europäische Kommission. Im Umfeld der anderen Verhandlungsteilnehmer wird immer wieder kritisiert, dass sie zu weiche Positionen vertrete und damit den Griechen Hoffnung auf Zugeständnisse mache. „Die Kommission hat die Aufgabe zu integrieren“, sagt Oettinger. „Es wird auch von vielen Seiten erwartet, dass sie den Griechen eine Brücke baut.“

Zur Eile in den Verhandlungen mahnte unterdessen auch der für Wirtschaft und Währung zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis. „Die Zeit läuft ab“, sagte er der griechischen Zeitung „Kathimerini“. „Wir brauchen ein umfassendes und glaubwürdiges Bündel von Reformen, zu deren Umsetzung die griechische Regierung bereit ist.“ Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone schloss Dombrovskis aus. „Das einzige Szenario, mit dem wir uns befassen“, sagt er, „ist der Verbleib Griechenlands im Euro.“

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