Zum Inhalt springen

EU-Ministerrat Deutsche Beamte bremsen Europas Datenschutz aus

Die neue EU-Datenschutzverordnung droht sich um Jahre zu verzögern. Im Rat der Mitgliedstaaten geht kaum etwas voran. Vertrauliche Protokolle legen nahe, dass deutsche Spitzenbeamte die Reform verwässern und verzögern.
Sitzung des Europäischen Parlaments: "Der ganze Prozess liegt auf Eis"

Sitzung des Europäischen Parlaments: "Der ganze Prozess liegt auf Eis"

Foto: Patrick Seeger/ dpa

Jan Philipp Albrecht ist sauer. Monatelang hat der Berichterstatter des Europaparlaments für die EU-Datenschutzreform gekämpft. Wieder und wieder hat der junge Grünen-Politiker den Entwurf von Justizkommissarin Viviane Reding durchgeackert, der einheitliche Datenschutz-Mindeststandards in Europa schaffen und eine Uralt-Richtlinie aus der Internet-Steinzeit ersetzen soll. Albrecht hat Lobbyistenscharen angehört, fast 4000 Änderungsanträge seiner Abgeordnetenkollegen geprüft, gemeinsam mit ihnen nächtelang einen Kompromiss ausbaldowert. Den hat das Parlament parteiübergreifend am 21. Oktober abgesegnet: rechtzeitig, um das Gesetzeswerk vor der Europawahl im Mai 2014 durchzubringen. "Wir haben uns so beeilt", ärgert sich Albrecht. "Aber jetzt liegt der ganze Prozess auf Eis."

Die große Reform droht an der letzten Hürde zu scheitern: Im Rat der Mitgliedstaaten herrsche "überall Blockade", berichten Insider. Es sei "kein politischer Wille" da, die Reform zügig durchzusetzen. Dies gelte gerade für die deutsche Delegation. "Viele hier haben den Eindruck, dass Deutschland die Verhandlungen bremst", sagt ein Teilnehmer der Rats-Arbeitsgruppe für die neue Datenschutzverordnung.

Wie vertrauliche Sitzungsdokumente der Gruppe, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, zeigen, verwässern und verzögern Spitzenbeamte des Bundesinnenministeriums seit Monaten die Reform:

  • So machten sich die deutschen Vertreter dafür stark, den öffentlichen Sektor weitgehend aus der Verordnung auszuklammern. Damit könnten die Behörden der Mitgliedstaaten künftig weiterhin umfangreich Daten über Bürger sammeln, ohne diese explizit um ihre Zustimmung zu bitten. Dutzende deutsche Spezialgesetze und -regeln, die den Staat hierzu ermächtigen, würden dann weiter gelten. Von den 28 EU-Nationen tritt nur das wenig datenschutzfreundliche Großbritannien ähnlich vehement für dieses Sonderprivileg ein wie Berlin.
  • Besonders strikt wehren sich die Unterhändler des Innenministeriums gegen jede Art von Bußgeldern für öffentliche Institutionen, die die Datenschutzverordnung verletzen. Derartige Strafen seien mit deutschem Recht nicht vereinbar, behaupten sie.
  • Gemeinsam mit Großbritannien, Dänemark und Schweden machte Berlin auch Front gegen die Datenportabilität: Das Recht des Verbrauchers, seine eigenen Daten beim Wechsel eines Internet-Dienstes möglichst einfach zum nächsten Anbieter mitzunehmen. Die Verordnung gesteht jedem Bürger das Recht zu, von seinem bisherigen Dienst eine elektronische Kopie der über ihn gespeicherten Daten zu erhalten. Zudem soll der Alt-Anbieter diesen Datensatz auf Antrag löschen müssen. Die deutsche Delegation sträubte sich dagegen, weil der Verwaltungsaufwand für die Anbieter angeblich zu hoch sei und ihnen Wettbewerbsnachteile drohen.
  • Dazu legen die Deutschen so oft wie kaum eine andere der 28 EU-Nationen so genannte Prüfvorbehalte ein. Diese verhindern, dass sich der Rat zu einzelnen Artikeln der Verordnung schnell einigt.

"Man hat in den Verhandlungen das Gefühl, dass Deutschland gerade einiges dran setzt, die Reform in die nächste Legislaturperiode zu verschleppen", sagt ein Teilnehmer der Rats-Arbeitsgruppe. Sowohl das jetzige EU-Parlament als auch Kommissarin Reding sind Verfechter eines strengen Datenschutzes.

Deutsche Abgesandte stehen oft auf Seiten der Briten

Angela Merkel jedenfalls hat es gar nicht eilig mit der Reform. Noch im Sommer hatte die Bundeskanzlerin angesichts des NSA-Skandals eine "einheitliche europäische Regelung" für den Datenschutz gefordert und versprochen, die Bundesregierung werde sich "mit Nachdruck" dafür einsetzen. Doch auf dem EU-Gipfel im Oktober kippte die Kanzlerin, Merkel stellte sich nicht hinter die Forderung Frankreichs, Italiens und Polens, die Reform bis 2014 abzuschließen.

In der Abschlusserklärung des Gipfels war nur noch vage von einer "raschen" Verabschiedung die Rede. So wollte es der Brite David Cameron, engster Verbündeter der USA in Europa. Merkel braucht Cameron für das von ihr angestrebte No-Spy-Abkommen mit Washington. Auch in den ratsinternen Verhandlungen stehen die deutschen Abgesandten den Protokollen zufolge auffällig oft auf derselben Seite wie die Briten.

Ohne Deutschland ist eine schnelle Verabschiedung nicht möglich

Brüsseler Bürgerrechtler sind entsetzt. "Es darf einfach nicht sein, dass Deutschland jetzt die intransparente Arbeitsweise des Rats missbraucht, um die Verordnung weiter hinauszuzögern", sagt Kirsten Fiedler von European Digital Rights (EDRi). "Gerade die letzten Monate haben gezeigt, wie wichtig effiziente, harmonisierte Datenschutzregeln sind."

Jan Philipp Albrecht bangt bereits um die gesamte Reform: "Wenn die Verordnung nicht vor der Europawahl durchkommt, kann die Silicon-Valley-Lobby Brüssel anderthalb Jahre länger überrollen. Dann wird der Datenschutz hier richtig plattgemacht." Der Verhandlungsführer des Parlaments hofft auf das Treffen von Europas Justiz- und Innenministern am Donnerstag und Freitag dieser Woche. "Das ist vielleicht die letzte Chance für einen Durchbruch vor der Wahl", sagt Albrecht. Doch auch er weiß genau: Ohne den politischen Willen Deutschlands wird daraus nichts.

Update: Das Innenministerium weist den Vorwurf zurück, die Bundesregierung würde die Arbeiten an der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung verwässern. Ein Sprecher sagt: "Es ist aus Sicht der Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch viel handwerkliche Arbeit nötig, um die Verordnung so auszugestalten, dass sie die hohen deutschen Datenschutzstandards widerspiegelt, praxistauglich ist und zugleich auf die Herausforderungen des Internetzeitalters vernünftige Antworten gibt." So wolle man die in Deutschland geltende Grundlage beibehalten, dass staatliche Stellen bei der Datenverarbeitung stets eine ausdrückliche Rechtsgrundlage brauchen. Was nicht per Gesetz erlaubt ist, können auch Bürger nicht einfach so dem Staat erlauben.