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Kreta: Zwischen Alltag und Engpass

Foto: Corbis

Touristen auf Kreta Das Wechselgeld fehlt

Erste Engpässe an der Tankstelle, Probleme beim Bezahlen im Restaurant: Auf Kreta spüren Urlauber und Einheimische die Folgen der Bankenschließung. Noch sind die Ärgernisse überschaubar - doch das könnte sich ändern.

Es ist ein windiger Donnerstag in Paleochora, einem kleinen Ort an der Südwestküste von Kreta. So windig, dass die Touristen sich am Strand die Handtücher um den Körper wickeln als Schutz gegen die herumwirbelnden Sandkörner, die wie Nadelstiche auf der Haut pieksen.

Der Wind ist heute für die meisten Urlauber die größte Unannehmlichkeit hier im Land der Krise. Über das Schuldendesaster wird in den Bars und Cafénios diskutiert, aber viel zu spüren ist davon im Alltag noch nicht - jedenfalls nicht für die Urlauber.

Außer beim Geld: "Schon jetzt ist es ein Problem, dass die Bank in Paleochora nur noch 50 Euro auszahlt, weil die 20-Euro-Scheine ausgegangen sind", sagt Jörg Krüger, der seit 16 Jahren auf der Insel lebt und den Sender "Radio Kreta" betreibt. Als er im Restaurant sein Mittagessen mit einem 50-Euro-Schein bezahlen wollte, habe der Wirt kein Wechselgeld mehr gehabt - weil die meisten Gäste nur große Scheine dabei gehabt hätten. Und solange die Banken geschlossen seien, könnten die Geschäftsleute sich logischerweise keine Münzen oder kleinen Scheine beschaffen.

Krüger kann noch einige weitere Krisengeschichten erzählen: Das Toilettenpapier am Flughafen von Chania müssten die Reiseveranstalter bezahlen, und die Feuerwehr in Kandanos müsse erst Geld fürs Benzin sammeln, bevor sie ins 15 Kilometer entfernte Paleochora fahren könne.

Am Montag riefen die Autovermietungen die Urlauber auf der Insel an und empfahlen, die Wagen vollzutanken. Daraufhin bildeten sich vor den Tankstellen in Paleochora Schlangen, und mittags gab es kein Benzin mehr. Doch am nächsten Tag war wieder genug Sprit da.

Krüger befürchtet aber Engpässe für die Zukunft: "In zehn Tagen werden die importierten Lebensmittel knapp", prophezeit er. Vor allem die aus den Niederlanden importierten Tomaten und Gurken, die der örtliche Supermarkt verkaufe und die man für den griechischen Salat brauche.

Polydoros Markoulakis, der an der Promenade von Paleochora das Hotel Pal Beach betreibt, hält das Problem für weniger gravierend. Er zeigt auf die Treibhäuser am anderen Ende der Bucht: "Ich kaufe unsere Tomaten und Gurken von dort." Allerdings sei neu, dass seine Lieferanten nun in Cash bezahlt werden wollen. Von der Bank bekommt er aber kein Bargeld, die hat ja geschlossen.

"Wir haben eine Woche lang Sonntag", sagt er. Noch sei das für ihn kein Problem. "Aber wenn noch zwei bis drei Wochen lang Sonntag ist, dann weiß ich auch nicht, was passiert. Mit Onlinebanking kann man nicht alles regeln."

Danke fürs Kommen

Zumindest momentan haben Touristen noch keine größeren Geldsorgen. "Ich habe am Flughafen noch spontan 500 Euro abgehoben", erzählt Andrea Völlering, eine Lehrerin aus Münster, die seit über 20 Jahren regelmäßig in Paleochora Urlaub macht. "Mittlerweile würde ich sagen: Das war völliger Quatsch. Man kommt auch so an Geld."

Und sowieso ist es in dem beschaulichen Urlaubsort eher schwierig, viel Geld auszugeben. Ein gutes Hauptgericht kostet sechs bis neun Euro, ein Liter lokales Olivenöl wird im Souvenirladen für sieben Euro verkauft. Ihr Mann Werner Völlering erzählt, der Vermieter habe sie "besonders herzlich begrüßt" und sich ausdrücklich bedankt, dass sie auch in diesem Sommer wieder nach Kreta gekommen seien. Denn einige Urlauber hätten kurzfristig ihre Pläne geändert.

Nicht bei Markoulakis, zumindest bisher. "Wir hatten noch keine Stornierungen", sagt er. Die ersten zwei Jahre der Krise seien schwierig gewesen, aber seit drei Jahren laufe es für sein Hotel besser und besser.

Die Folgen der Dauerkrise des Landes sind indes an jeder Straße zu besichtigen: Statt Leitplanken gibt es an der Straße von Paleochora ins Bergdorf Anidri nur orange bemalte Steine mit aufgeklebten Reflektoren. Seltsame oktopusartige Gebilde sind die Verteiler für die Wasserleitungen. Dort hängt an jedem Anschluss tatsächlich eine Wasseruhr. Die Wasserrechnung aber, erzählt ein Engländer, der seit Jahren auf Kreta seinen Ruhestand verlebt, die zahle hier niemand.

Der Hotelier Markoulakis ist unentschlossen, wie er bei dem Referendum abstimmen soll. Ihn würde die von der EU-Seite vorgeschlagene Hotelsteuer hart treffen: Sie könnte von 6,5 Prozent auf 23 Prozent steigen. "Die Reiseveranstalter werden das nicht bezahlen", sagt er, also werden es wohl die Urlauber bezahlen müssen. Das würde bedeuten, dass in der Hochsaison ein Doppelzimmer bei ihm mit Frühstück pro Nacht nicht mehr 80 Euro kostet, sondern 92 Euro. "Dann geht in diesem Land auch noch der Tourismus kaputt", sagt er.

Der Paleochora-Fan Werner Völlering - wie seine Frau Andrea Lehrer für Sozialwissenschaften - fordert dasselbe wie der Hotelbesitzer und der deutsche Radiojournalist: gezielte Investitionen, keine Geld-Gießkanne. "Griechenland braucht einen Marshallplan", sagt Völlering. "Man kann die Wirtschaft nicht mit Sparmaßnahmen erwürgen, das wissen schon die Schüler aus meinem Leistungskurs." Krüger schlägt vor, dass eine große Gruppe europäischer Wirtschaftsfachleute einen Weg aus der Krise erarbeitet, eine neue ökonomische Perspektive entwickelt, die über Tourismus, Landwirtschaft und "ein bisschen Aluminium" hinausgehe.

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"Wir brauchen keine neuen Programme", sagt Markoulakis, "wir brauchen Zeit, um die Programme endlich umzusetzen." Argentinien sei in fünf Jahren aus seiner schweren Wirtschaftskrise herausgekommen. "Ich verstehe nicht", sagt er, "warum wir das nicht geschafft haben."