Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Buchverlage an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaft Wort nicht mehr beteiligt werden sollen. Künftig sollen nur noch Autorinnen und Autoren von der Ausschüttung profitieren. Erschreckend und kaum nachvollziehbar, wie kurzsichtig diese Entscheidung ist. Der BGH tut damit so, als wären die Arbeit von Verlagen und jene der Autoren zwei voneinander getrennte Bereiche, die man auch getrennt voneinander beurteilen könne. Das ist ein großer Irrtum, denn Verlage ermöglichen doch erst die Existenz und Weiterentwicklung von Autoren. Wo das BGH-Urteil auf Zustimmung stößt, da kann diese nur von denjenigen kommen, die blind sind für das, was die Arbeit von Verlagen ausmacht und bedeutet.

Nicht nur ist ein Verlag von der Ideenfindung über die Textarbeit bis hin zu Covergestaltung und Marketing wesentlich an der Entstehung eines Buches beteiligt. Gerade kleine und mittelgroße Verlage fällen viele Entscheidungen aus ästhetischen und intellektuellen Überzeugungen, nicht aus kommerziellen: Sie veröffentlichen also im Sinne eines kulturellen Bildungsauftrags Bücher, deren künstlerischen Wert sie hoch einschätzen, von denen sie allerdings wissen, dass sich dieser finanziell nicht rechnen wird.

Deshalb sind Verlage eben nicht nur auf unternehmerische, sondern auch auf kulturelle Institutionen angewiesen, auf Geld, wie jenes der VG Wort, das – das kommt noch hinzu – bei literarischen Werken lediglich bei 30 Prozent der Gesamtausschüttung liegt. Je kleiner ein Verlag ist, desto mehr aber macht diese Summe vom Anteil des Gesamtumsatzes aus und kann durchaus in den zweistelligen prozentualen Anteil gehen.

Irren tut übrigens mit Blick auf die VG-Wort-Ausschüttung auch, wer unbesehen mit einem extrem eingeschränkten Urheberverständnis argumentiert, wonach der Urheber nur der Schreibende selbst sein könne. Suggeriert wird auf diese Weise, dass den Autoren von den Verlagen durch die VG Wort Texthonorare streitig gemacht werden sollen. Das ist Unsinn. Das Geld von der VG Wort bezieht sich auf Urheberrechte, die anfallen, wenn Bücher und Texte nach der Erstveröffentlichung genutzt werden: etwa durch Bibliotheken, in Schulbüchern und Pressespiegeln oder durch Kopieren – auch Copyshops müssen deshalb eine Abgabe an die VG Wort zahlen. Im Grunde also sekundäre Urheberrechte, die nur  durch den Distributionsaufwand anfallen, den Verlage leisten.

Der künftige Wegfall dieser Summen, die das Weiterarbeiten von Verlagen – und damit eben immer auch die Förderung von Autoren – gewährleisten, wäre schon schlimm genug. Durch die sehr wahrscheinliche Pflicht, nach dem Urteil nun für zwei Jahre rückwirkend die gezahlten Ausschüttungen zurückzuerstatten, könnten einige Verlage unmittelbar in die Insolvenz gezwungen werden. Denn wer das Wirtschaften kleiner Verlage nur ein wenig kennt, der weiß, dass dieses ohnehin stets ein Prekäres ist, ein Jonglieren mit sehr wenig Geld und sehr viel Enthusiasmus für die Sache, in die der Urteilsspruch nun vollends verantwortungslos hineingrätscht.

Dass auf lange Sicht, auch wo Verlage weiterarbeiten können, das Urteil Auswirkungen auf Buchvorschüsse haben wird, steht zu vermuten. In diesem Fall wären all jene Autoren, die das Urteil begrüßen, einer grandiosen Milchmädchenrechnung erlegen: Was sie an VG-Wort-Ausschüttung mehr einnehmen, bräche ihnen dann, mindestens, an Verlagsvorschuss weg.

Womöglich liegt ein Teil des Zustandekommens dieses Urteils nicht zuletzt darin, dass Wissenschafts- und Literaturverlage darin gleichgesetzt werden. Der Großteil der Wissenschaftsverlage aber funktioniert tatsächlich grundlegend anders als ein literarischer Verlag. Während ein Literaturverlag Autorenpflege betreibt, Autoren entdeckt, Vorschüsse zahlt, wesentlich an der Entstehung eines Textes mitarbeitet, muss der Autor oder die Autorin in vielen Wissenschaftsverlagen noch Geld mitbringen, selbst die Redaktion des Textes übernehmen, bekommt also wirklich nicht mehr als eine basale Infrastruktur und eine ISBN gestellt.

Das Urteil passt jedenfalls zum Zeitgeist, der den Buchmarkt seit einer Weile erfasst hat: Unter dem Label Selfpublisher traten da selbsterklärte Autoren auf den Plan, die das Prinzip des klassischen Verlags – hier in der Rolle des bösen Systems – infrage stellen. Man kann sein Buch auch einfach selbst herstellen, ist das Credo, was unter dem Aspekt einer ganz basalen technischen Machbarkeit im digitalen Zeitalter durchaus stimmen mag.

Ärgerlich daran ist die hinter Selbsttätigkeit verschleierte Bequemlichkeit, die nicht allen, aber doch vielen eigen ist: Mit der Kritik an dem, was man da schreibend verfasst hat, muss man sich erst gar nicht auseinandersetzen. Auch nicht mit der Kränkung, dass das, was man da verfasst hat, womöglich doch nicht so brillant ist, wie man es gerne hätte und deshalb nicht für literaturfähig erachtet wird. Missachten kann diese Arbeit der Verlage nur, wer die Erfahrung der Entstehung eines inhaltlich und äußerlich substantiellen Buches nie gemacht hat. Dabei gibt es in der Bewertung von Kunst und Kultur Maßstäbe, die konstitutiv dafür sind, dass Kunst und Kultur überhaupt existieren und ihre Substanz bewahren.

Martin Vogel, Wissenschaftsautor und "Mitglied der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts", hat im Jahr 2011 den Prozess ins Laufen gebracht, der nun in so einem in seinen langfristigen Konsequenzen gar nicht auszumalenden Urteil gemündet ist. Und er hat sich durchgesetzt. Dass ein deutsches Gericht nicht in der Lage ist, den Entstehungsprozess von kulturellen Werken zu erfassen, stimmt mehr als bedenklich. Über die Frage, ob das Eingreifen der Politik in Fragen der Kunst legitim, verboten oder vielleicht sogar notwendig sei, ist mit Blick auf Jan Böhmermann in den vergangenen Wochen diskutiert worden. Während im Falle Böhmermann beinahe wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Richter im Sinne der Kunstfreiheit urteilen werden, muss man in Sachen VG Wort leider feststellen, dass das Gericht das Gegenteil getan hat.