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Regenwürmer
Invasion der Wühlbrigaden

In Nordamerika machen Regenwürmer als exotische Einwanderer von sich reden. Sie unterwandern die Wälder und krempeln das Ökosystem um. Wie die angestammte Tier- und Pflanzenwelt mit der Invasion umgeht, beschäftigte auch die Experten auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Ökologie.

Von Volker Mrasek | 10.09.2014
    Regenwürmer haben eigentlich ein gutes Image. Sie durchlüften den Boden, machen ihn fruchtbarer, sind beliebt bei Gärtnern und Landwirten. Ganz anders denken Förster und Ökologen in Nordamerika über die Wühlbrigaden im Untergrund:
    "Es wird teilweise auch als Krebs des Waldes dort bezeichnet. Wenn man Regenwürmer einmal in einem Wald hat, wird man sie eigentlich nicht mehr los."
    Von einer regelrechten Invasion der Tiere in Nordamerika sprechen Experten wie Nico Eisenhauer, Bodenökologe und Professor am noch jungen Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig. Rund um die großen Seen, an der Grenze zwischen Kanada und den USA, unterwandern Regenwürmer-Horden Ahorn-, Pappel- und andere Laubwälder. Es sind eingeschleppte Arten, die dort eigentlich nicht hingehören, so Eisenhauer:
    "Schätzungsweise 20 europäische. Auch ein paar asiatische Arten sind mittlerweile dabei. Es gibt richtige Invasionswellen. Also, es sind Dichten und Biomassen von Regenwürmern, die wir hier in Europa gar nicht gewöhnt sind. Die Welle schwappt durch diesen Wald durch und hinterlässt ein ganz anderes Ökosystem."
    Eisenhauer und 16 andere Forscher haben sie jetzt alle bisher vorliegenden Studien über dieses Phänomen ausgewertet.
    Dort, wo die fremden Regenwürmer einfallen, lichtet sich demnach das Unterholz. Die Zahl der Baum-Keimlinge geht zurück, einheimische Sträucher verschwinden. Den Waldboden bedecken nun vor allem Gräser, wie der US-Forstökologe Dylan Craven in Hildesheim berichtete. Auch er arbeitet inzwischen am Leipziger Zentrum für Biodiversitätsforschung:
    Es gibt verschiedene Hypothesen, wodurch Regenwürmer die Ausbreitung von Gräsern begünstigen. Der Waldboden wird trockener, weil Wasser durch die Gänge der Würmer nach unten abfließt, und damit kommen Gräser grundsätzlich besser klar als andere Pflanzen. Gräser produzieren sehr viele Samen - vielleicht mehr, als die Regenwürmer fressen können. Eine weitere Idee ist, dass Gräser besser auskeimen können, weil Regenwürmer die Bodenstreu zersetzen.
    Der Startschuss für die schleichende Invasion der Aliens fiel schon vor Jahrhunderten. Da brachten die europäischen Einwanderer Regenwürmer aus ihrer Heimat mit. Unter anderem als Köder zum Fische fangen in den Großen Seen. Achtlos weggeworfene Tiere vermehrten sich und begannen irgendwann, Laubwälder zu unterwandern - wenn auch nur in Zeitlupe. Allerdings werfen auch heute noch viele Angler überzählige Regenwürmer einfach ins Gras.
    Konkurrierende Arten kamen den Einwanderern nie in die Quere. Man geht davon aus, dass die letzte Eiszeit heimischen Regenwürmern im nördlichen Nordamerika den Garaus machte.
    Bodenökologe Eisenhauer muss feststellen, "dass nach der Invasion so gut wie jeder Wald gleich aussieht. Also, es findet eine Homogenisierung statt. Man findet dann überall die gleichen Arten im Unterwuchs. Es ist insofern schlimm, als dass lokale Biodiversität eben verloren geht."
    Betroffen sind nicht nur Kräuter und Sträucher in den unterwanderten Wäldern.
    "Auch unterirdische Nahrungsnetze, Bodenorganismen. Milben, Collembolen, also Springschwänze, einige Käferarten im Boden, Hundertfüßer, Tausendfüßer. Da haben wir sehr drastische Effekte gesehen. In diesen Invasionswellen ging die Diversität im Boden um über 80 Prozent zurück. Das Ganze erholt sich dann etwas. Aber es sind durchaus solche drastischen Effekte eben zu sehen."
    Die Regenwürmer scheinen dabei auch noch weiteren exotischen Arten den Weg zu ebnen:
    "Wir haben zum Beispiel in unseren Untersuchungsflächen sehr oft Löwenzahn gefunden. Aber auch Kleearten und auch verschiedene Grasarten, die eben bei uns sehr häufig sind und in Nordamerika gerade einwandern."
    Warum das so ist, wollen die Forscher jetzt genauer untersuchen.
    Stoppen kann man den weiteren Vormarsch der eingeschleppten Regenwürmer sicher nicht. Wie sollte das gehen? Dylan Craven fürchtet, dass die Exoten schon viel weiter verbreitet sind, als man heute weiß:
    "Die Forschung konzentriert sich auf den Nordosten Nordamerikas. Aber es ist anzunehmen, dass die exotischen Regenwürmer auch schon im Westen der USA angekommen sind."