Freizeit und Reise

Im CNL-Schlafwagen der Bahn vergeht die Zeit wie im Flug. (Foto: www.lightwalk.de /Bernd Ritschel)

27.10.2015

Kleine Nachtmusik auf Schienen

Unterwegs mit der City Night Line: Ein Selbstversuch

Der Kurzurlaubstrip nach Hamburg steht vor der Tür. Selber Fahren? Staus ohne Ende auf der Autobahn. Früh mit dem ICE losfahren, damit wir abends ankommen? Der erste Urlaubstag ist jedenfalls verschenkt. Wir entscheiden uns tatsächlich für eine Bahnreise von München nach Hamburg. Aber mit der City Night Line (CNL), dem Nachtzug der Deutschen Bahn. Im Schlafwagen.
In Zeiten, in denen Billigflieger angeblich für ein Trinkgeld kreuz und quer durch Europa jetten, klingt das irgendwie hoffnungslos nostalgisch. Allerdings ist das Flugzeug in unserem Fall auch keine echte Alternative: Zu unserem Wunschtermin lässt es sich mit dem Billigflieger wahrlich nicht billig fliegen. Außerdem hätten wir bei dem frühen Abflugtermin gleich die ganze Nacht durchmachen können. Da liest sich doch der Fahrplan der CNL wesentlich nervenschonender. Abfahrt München HBF um 22:15 Uhr, alternativ München-Ost um 21:46, Ankunft in der Hansestadt um 7:55 Uhr – wohlgemerkt, am nächsten Morgen.
Zweifel bleiben: Kann man im Schlafwagen eigentlich schlafen? Ist das der Heilige Gral der „Urlaubs- oder Geschäftsreise von Anfang an?“ Mit jeder Menge Vorurteilen über Reisen mit der Bahn stehen wir am Bahnsteig. Das erste löst sich allerdings gleich bei der Abfahrt von CNL 1286. Der Nachtzug verlässt München HBF nämlich auf die Minute pünktlich.

Absolutes Rauchverbot

Auch Vorurteile zwei und drei überleben nicht lange, die Wagen sind weder verqualmt – in den Schlaf- und Liegewagen herrscht absolutes Rauchverbot – und Schlafwagenschaffner sind keineswegs mürrische, von chronischem Schlafmangel geplagte Zeitgenossen. Vielleicht liegt es ja auch daran, dass die nicht mehr Schlafwagenschaffner, sondern „Serviceteam-Mitarbeiter“ heißen, klingt ja auch irgendwie freundlicher.
Unser Serviceteam-Mitarbeiter ist ausgesprochen freundlich – was allerdings kein Einzelfall zu sein scheint, wie uns auch andere Reisende erzählen –, er nimmt sich die Zeit, die technischen Feinheiten unseres rollenden Hotelzimmers zu erläutern. Das ist auch dringend nötig, denn wir Schlafwagen-Neulinge stehen zunächst etwas hilflos in unserer neuen Bleibe. Gerade einmal die Bedienung des lichtundurchlässigen Rollos am Fenster – rauf-runter – erschließt sich intuitiv. Aber schon wird die Tür zum Nebenabteil mit der zum Waschraum verwechselt. Peinlich. Und die Bedienung der diversen Schalter für Nachtlicht, Hauptlicht, Leselicht – ungelogen, insgesamt zehn pro Abteil – ist zumindest für blutige Nachtzug-Novizen ebenfalls erklärungsbedürftig.
Es gibt Tasten zum Abstellen des automatischen Weckrufs, eine Ruftaste für den Serviceteam-Mitarbeiter, nur eine Taste, um das Bett zu machen, die gibt es nicht – und überhaupt – wo sind eigentlich die Betten? Die verbergen sich – linker- und rechter Hand, jeweils drei übereinander pro Abteil – hinter apricotfarbigen Wandpanelen, aus denen herausfordernd dicke Aluminiumgriffe ragen. Ein kräftiger Zug daran – und nichts passiert. Auch hier ist, zumindest auf der Jungfernfahrt, Beistand vom Profi gefragt. Ist die Sicherheitsverriegelung gelöst, lässt sich allerdings binnen Augenblicken ein frischbezogenes Bett aus der Wand ziehen, das verführerisch im gedämpften Licht der Leselampe leuchtet.
Einige Minuten dauert der Einführungslehrgang über die Schlafwagentechnik des 21. Jahrhunderts, der mit dem Notieren der gewünschten Zeit fürs Wecken und ob wir Kaffee oder Tee zum Frühstück möchten, endet. Wenn das mit jedem Fahrgast so geht, ist der Zug in Hamburg und der Mann hat keine Stimme mehr. Anscheinend aber sind wir an diesem Abend die Einzigen mit erhöhtem Erklärungsbedarf. Bei fast allen anderen Fahrgästen in den Nachbarabteilen scheint es sich um Stammgäste zu handeln, die sich bestens in ihrem Schlafgemach auf Schienen auskennen.

Komfortables
Hotelzimmer auf Rädern


Es ist an der Zeit, sich im Abteil umzuschauen und ein weiteres Vorurteil über Bord zu werfen. Schlafwagen sind keine Relikte aus der Zeit, als bei der Bahn noch Dampfloks qualmten. Modernes Design, dezente, aufeinander abgestimmte Farben und eine geschickte Raumaufteilung machen das Abteil zu einem kleinen, aber äußerst komfortablen Hotelzimmer auf Rädern. In der Mitte die rundliche Kabine mit der Vakuum-Toilette, schwenkbarem Waschbecken und Dusche mit Chromarmaturen – aus denen übrigens Trinkwasser rauscht –, frische Handtücher, Seife und Mundwasser, sogar eine Flasche mit Haar-/Duschgel hängt am Haken.
Wir plauschen noch ein wenig mit unseren Abteil-Nachbarn. Wie sich herausstellt, alte Hasen in Sachen City Night Line. „Lange Strecken fahren wir nicht mehr selbst – da lassen wir uns fahren.“ Zeit fürs Bett. Das wartet schon ausgeklappt mit Daunendecke und Leselicht. CNL 1286 rollt durch die Nacht und die sanften Bewegungen des Zugs fangen an, ihre beruhigende Wirkung zu entfalten. Ob man wirklich nicht schlafen kann im Schlafwagen? Leise ist es hier: Nur gedämpft dringen Rollgeräusche selbst bei hohen Geschwindigkeiten ins Wageninnere – und mischen sich mit dem leisen Rauschen der Klimaanlage zur typischen kleinen Nachtmusik auf Schienen, die die Fahrgäste in den Schlaf säuselt.
Mit ihrem Schlafwagen-Konzept hat die Bahn die Renaissance des Nachtreisens eingeläutet. Dem Geschwindigkeitsvorteil des Flugzeugs setzt sie einen Klassiker im neuen Gewand entgegen – und das Argument, dass die Reise im Zug die Übernachtung unterwegs spart. Und den Sprit, die Maut, die Abnutzung – und Nerven. Staus? Tja, die gibt’s auf der Schiene ebensowenig.
Gebucht werden kann in zwei Kategorien. Denn der CNL führt neben Schlafwagen, deren Abteile entweder mit Waschgelegenheit oder mit Dusche und WC ausgestattet sind, auch Liegewagen mit.
Irgendwo im Kopf ertönt ein Weckton. Der Zug steht. Aus einem Bahnhofslautsprecher dringen hochdeutsche Laute ins Ohr. Seltsam. Auch die Tatsache, dass hinter dem Rollo unseres Abteilfensters offensichtlich langsam die Sonne aufgeht, stimmt verwunderlich. War die Nacht so kurz? Wir sind doch eben erst in München abgefahren. Das ist aber eindeutig der Bahnhof von Bremen. So schnell ist nicht einmal ein Flugzeug. Wir müssen doch tatsächlich kurz eingenickt sein...
Noch eben duschen, frühstücken und schon fahren wir langsam in den Hamburger Hauptbahnhof ein. Es ist 8:00 Uhr morgens.
Eine Fahrt mit der CNL kostet im Liegewagen ab 59 Euro pro Person und Strecke. In einem Abteil können bis zu sechs Personen gemeinsam verreisen. Neben Hamburg kommen Fahrgäste mit CNL über Nacht noch nach Berlin, Paris, Mailand, Rom und Venedig. (Frank Heinzl)

Kommentare (1)

  1. Nachtgiger am 03.12.2015
    Nachtzüge sind praktisch, sparsam, ökologisch und romantisch! Die bequeme Fahrt im Schlaf ist ein Alleinstellungsmerkmal der Bahn, das viel Potenzial für die Zukunft haben kann... Leider sind aber aktuell viele Verbindungen bedroht! Mehr zum Thema auf www.nachtzug-retten.de
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