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Flagge zeigen. Mazedonier demonstrieren in Skopje gegen die Regierung von Premierminister Gruevski.

© dpa

Proteste gegen Regierung: Mazedonien: Aufstand der Hoffnungslosen

In Mazedonien eskaliert nach einem brutalen Überfall von Terroristen der Protest gegen die Regierung. Dabei verlaufen die Konfliktlinien jedoch nicht zwischen Mazedoniern und Albanern.

Ob es Krieg zwischen Albaniern und Mazedoniern geben wird? Statt einer Antwort holt Lazan sein Handy heraus und öffnet die Bildergalerie. „Schau!“, sagt er, „ist das nicht fantastisch?“ Er deutet auf seinen Handybildschirm. Zwei Männer sind darauf zu sehen, sie halten Fahnen in die Höhe: eine albanische und eine mazedonische. „Das ist das erste Mal, dass wir uns so nah sind“, sagt Lazan und legt zur Verdeutlichung seine rechte Hand in seine linke. „Ich habe mich den Albanern noch nie so verbunden gefühlt wie jetzt.“

Lazan sitzt unter einem Sonnenschirm vor einem Regierungsgebäude in Skopje. Hinter ihm stehen etwa fünfzig Zelte, fast alle von ihnen sind mit Fahnen behangen, von einer kleinen Bühne schallt Musik herüber. Nach der Großdemonstration der Opposition am Sonntagabend haben Lazan und andere Regierungsgegner hier ihre Zelte aufgeschlagen. An den Protesten gegen die Regierung beteiligen sich sowohl Albaner als auch Mazedonier. „Und wir bleiben hier, bis die Regierung zurückgetreten ist“, sagt der 20-Jährige. „Nur zum Duschen muss ich manchmal nach Hause. Sonst fange ich noch das Stinken an.“

Wie ist das mit dem ethnischen Konflikt, der angeblich in Mazedonien wieder hochgekocht ist? Haben sich nicht kürzlich Polizei und Militär zwei Tage lang Feuergefechte mit albanischen Terroristen geliefert? Auf den Straßen von Mazedoniens Hauptstadt Skopje ist von einem ethnischen Konflikt jedenfalls wenig zu spüren. Am Sonntagabend haben knapp 30 000 Menschen mit der Opposition für den Rücktritt von Regierungschef Gruevski demonstriert. Am Montag waren dann wieder etwa ebenso viele Menschen auf der Straße – um die Regierung zu feiern. Mazedonien ist gespalten. Aber die Konfliktlinien sind nicht ethnischer, sondern politischer Natur.

Es geht um das Regierungsbündnis VMRO-DPMNE und vor allem um Premier Nikola Gruevski. Er regiert Mazedonien seit 2006. In seine Regierungszeit fallen viele Privatisierungen, gleichzeitig stieg die Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst von 100 000 auf 180 000. Damit kaufe er sich Stimmen, heißt es von Kritikern, die Gruevski massive Wahlfälschungen vorwerfen. Seit der Wahl 2014 boykottiert die Opposition das Parlament und fordert Neuwahlen. Jetzt könnten sie damit Erfolg haben: Am Dienstag soll Oppositionsführer Zaev mit Nikola Gruevski in Brüssel über die Bildung einer „technischen Regierung“ verhandeln.

In Kumanovo, einer kleinen Stadt etwa eine Stunde von Skopje entfernt, steht Fuat Isufi im Haus seines Bruders und schiebt mit dem Fuß Scherben zur Seite. Das Dach ist zur Hälfte abgebrannt, der Boden mit Schutt übersät. Vor einer Woche hat es hier einen kleinen Krieg gegeben, mazedonische Polizisten und Militärs gegen albanische Terroristen, die Anschläge auf staatliche Einrichtungen geplant hatten. So lautet zumindest die offizielle Erklärung. Isufi sagt: „Die Regierung versucht, Hass zu säen zwischen Albanern und Mazedoniern. Deswegen haben sie Terroristen bezahlt, um hier einen Krieg zu inszenieren.“

Verschiedenste Theorien keimen gut auf dem Boden der Unsicherheit, der nach dem Vorfall geblieben ist. Manche glauben, die Regierung wolle von Problemen ablenken, andere halten die albanische UCK – die offiziell die Verantwortung übernommen hat – für schuldig. Und viele glauben gar an eine Intervention der CIA, da die USA ein russisches Pipeline-Projekt in der Region sabotieren wollen würden. Doch die Situation in Mazedonien war schon vor diesem Vorfall mehr als angespannt.

Eine Woche vor dem Angriff haben Proteste in der Hauptstadt Skopje begonnen, vor allem wegen der „Bomben“, die Oppositionschef Zoran Zaev in regelmäßigen Abständen veröffentlicht – abgehörten Regierungstelefonaten, in denen sich Regierungsmitglieder über Wahlfälschungen, Spionage und das Ausschalten politischer Gegner unterhalten. Regierungschef Gruevski hat die Echtheit der Telefonate nie wirklich bestritten, stattdessen wirft er Oppositionschef Zaev vor, sie von ausländischen Geheimdiensten erhalten zu haben. Manche Teile davon seien wahr, manche manipuliert, sagt Gruevski. Nach der Attacke in Kumanovo haben die Proteste kurzzeitig aufgehört, sind aber spätestens mit der Großdemonstration der Opposition am Sonntagabend wieder aufgeflammt. Kein Wunder: Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 30 Prozent, unter Gruevski ist das Land auf der internationalen Liste der Pressefreiheit von Platz 34 auf Platz 117 gefallen, die Korruption ist hoch. Fragt man zehn junge Leute nach ihren Plänen für die Zeit nach dem Studium, sagen zehn, sie wollten das Land im Anschluss verlassen.

Auch Lazan auf seiner Bank im Protestcamp vor dem Regierungsgebäude will nicht in Mazedonien bleiben. „Ich liebe mein Land“, sagt er. „Aber nach dem Studium werde ich trotzdem fortgehen.“

Laura Meschede

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