Großbritannien wählt Ausland? No, thanks!

Im Wahlkampf genügt die Insel sich selbst: Großbritannien diskutiert über seine Wirtschaft, Sozialleistungen und Eigenheime, nicht aber über die weltweiten Krisen. Damit punktet Premier David Cameron nicht bei allen.

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London Der Konflikt mit Russland in der Ukraine, die Griechenland-Krise, der Krieg in Syrien und im Jemen, der Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat – das alles spielt bei den Briten kurz vor den Unterhauswahlen keine Rolle. Ungewöhnlich ist es nicht, dass in den Wahlkämpfen auf der Insel innenpolitische Themen im Vordergrund stehen. Doch selten hat es vor einer Unterhauswahl so wenig außenpolitische Debatten gegeben wie vor dieser Abstimmung am 7. Mai.

Dabei hängt möglicherweise die EU-Mitgliedschaft des Landes vom Ausgang der Wahl ab. Und auch die Rolle, die das ehemalige Empire in der Welt spielen soll, ist eine offene Frage, die kaum angesprochen wurde. Im Mittelpunkt des Streits der Wahlkämpfer stehen Themen wie die Staatsverschuldung, der klamme staatliche Gesundheitsdienst und die Einwanderungspolitik.

„Während es scheint, dass ein Großteil der Welt den Bach runtergeht, wird wenig über die internationale Rolle und Verantwortung Großbritanniens gesprochen“, klagt etwa der ehemalige EU-Kommissar und letzte Gouverneur von Hongkong, Chris Patten.

„Das Vereinigte Königreich war früher berühmt dafür, in der Weltpolitik sein Gewicht in die Waagschale zu werfen – aber vielleicht ist das Land nicht mehr wichtig – und sei es nur deshalb, weil es nicht wichtig sein will“, sagt der ehemalige konservative Parteichef.

Wie beschränkt auf innenpolitische Themen der Wahlkampf verläuft, zeigte sich auch in den TV-Debatten der Spitzenkandidaten. Auch in den Wahlprogrammen der großen Parteien dreht sich alles um Innenpolitik. Der Labour-Chef verspricht eine fairere Wirtschaftspolitik.

Vor allem bemüht er sich, die skeptischen Landsleute davon zu überzeugen, dass die Finanzen bei seiner Partei in den besseren Händen sind. Premierminister Cameron verspricht Finanzhilfen für die sozial Schwächeren. Mehr Geringverdiener sollen von Steuern befreit und beim Kauf eines Eigenheims unterstützt werden.

Einzig das Thema EU-Mitgliedschaft fand den Weg in die Debatte. Cameron hat zugesagt, bei einem Wahlsieg für 2017 eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft anzusetzen. Miliband lehnt dies ab, solange nicht mehr Machtbefugnisse an Brüssel abgetreten werden.


Rückzug von der weltpolitischen Bühne

„Die Entscheidung für einen Austritt würde viel über uns aussagen und nichts Gutes“, sagt der frühere Labour-Premier Tony Blair. Herausforderungen in der Welt verlangten eine starke und klare Führung, sagt Blair, der in seiner Regierungszeit 1997 bis 2007 mehrere Militärinterventionen Großbritanniens verantwortete. „Anstelle zu sagen, 'hier sollte es langgehen', sagen wir, ,rechnet nicht mit uns'.“

Der Knackpunkt für den Rückzug von der weltpolitischen Bühne liegt nach Einschätzung einiger Diplomaten in der Weigerung des Unterhauses im August 2013, Cameron die Vollmacht für Luftangriffe in Syrien zu geben. „Seither ist es nicht mehr ganz so wie zuvor“, sagt ein Diplomat. Zwar beteiligt sich Großbritannien an Angriffen auf die IS-Miliz im Irak, aber erst nach dem Einstieg Frankreichs und nach Einschätzung des Unterhaus-Verteidigungsausschusses auch nur mit gebremster Kraft.

Auch im Ukraine-Konflikt überließ Cameron Deutschland und Frankreich die führende Rolle. Einem besorgten Abgeordneten antwortete Cameron: „Wir sollten es nicht zu wichtig nehmen, nicht an jeder Verhandlung beteiligt zu sein.“ Es sei sinnlos, „sich geradezu zwanghaft zu fragen, ob man mit im Raum ist“.

Cameron kann mit dieser Haltung auf Sympathie bei seinen Landsleuten hoffen. Seit den weitgehend erfolglosen Kriegen Blairs an der Seite der USA in Afghanistan und im Irak stehen die Briten weiteren Auslandseinsätzen sehr skeptisch gegenüber.

In der EU macht man sich angesichts dieser Lage Sorgen: „Was ist nur mit der britischen Außenpolitik los?“ klagt etwa ein Diplomat. „Sie wird an allen Ecken und Enden vermisst.“

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