Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Bundestagswahl:: Kandidatur für das Grundeinkommen

Foto: SPIEGEL ONLINE

Ungewöhnliche Direktkandidaten Werben um die Erststimme fürs Grundeinkommen

Das bedingungslose Grundeinkommen wird seit Jahren diskutiert, von den meisten Parteien aber abgelehnt. Drei Hamburger möchten das Thema nun konkret wählbar machen - sie treten als parteilose Direktkandidaten bei der Bundestagswahl an.

Am Abend des Wahlsonntags werden sich die Anhänger der Parteien wieder in Parteizentralen und Wirtshäusern versammeln. Stefan Füsers, Joachim Fiedler und Wolfgang Heimann werden dann ihre eigene Wahlparty feiern: Die drei Hamburger treten bei der Bundestagswahl als Direktkandidaten an - ohne Partei im Rücken. Sie kämpfen nicht für schwarz, rot, grün oder gelb, sondern für ein Thema: Das bedingungslose Grundeinkommen.

Seit einigen Jahren engagieren sich die drei im Hamburger "Netzwerk Grundeinkommen". "Als ich erstmals vom Grundeinkommen gehört habe, fand ich das total einleuchtend - und war erstaunt, wie wenig darüber gesprochen wurde", sagt Stefan Füsers. Der 32-jährige Sozialwissenschaftler und Vater zweier kleiner Kinder tritt bei der Wahl in Hamburg-Mitte an. Warum gerade für das Grundeinkommen? "Es könnte aus Sicherheit Freiheit für alle schaffen", sagt er. Das Modell wird seit Jahren diskutiert - so könnte es aussehen: Jeder Bürger erhält monatlich eine Zahlung vom Staat, die ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglicht - also über dem sogenannten Existenzminimum. Das Geld muss nicht beantragt werden - es ersetzt Zahlungen wie Hartz IV, Kindergeld und die Rente. Befürworter sagen: Wenn die Menschen nicht mehr um ihre Existenz fürchten müssen, sind sie nicht mehr gezwungen, Arbeit zu machen, die sie nicht erfüllt. "Heute stecken wir in den Mühlen der Arbeit drin", sagt Joachim Fiedler, Kandidat in Hamburg-Altona.

Ein Einzug in den Bundestag liegt in weiter Ferne

Schon bei der Wahl 2009 sind bundesweit einige parteifreie Kandidaten unter dem Slogan "Bedingungsloses Grundeinkommen" angetreten. Der erfolgreichste Kandidat holte 1,8 Prozent der Stimmen im Wahlkreis Berlin-Mitte. Ein Einzug in den Bundestag liegt also in weiter Ferne - warum treten die drei Hamburger Aktivisten trotzdem an? "Wir wollen das Thema auf den Wahlzettel bringen, konkret wählbar machen", sagt Joachim Fiedler. Die Diskussion solle angeregt werden, insbesondere auch außerhalb der Parteien. Der Blog "Erststimme Grundeinkommen"  soll dabei helfen. Das Vertrauen in die Parteien hat Fiedler verloren. "In einer Partei geht es immer um ein Wir. Das Wir ist aber zweitrangig, wichtig müssten die Themen sein, für die jeder Einzelne steht."

Unter den größeren Parteien plädieren nur die Piraten für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Grünen und die Linke fordern die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zum Grundeinkommen im Bundestag. SPD, CDU und FDP lehnen das Grundeinkommen ab, auch weil sie die Finanzierung für unsicher halten. Die SPD sagt: Geld allein löse das Armutsproblem nicht, viel wichtiger sei die erfolgreiche Vermittlung von Arbeit.

Wer für den Bundestag kandidieren möchte, benötigt 200 Unterschriften von Wahlberechtigten in seinem Wahlkreis. Stefan Füsers ging in einem Park am Ufer der Elbe spazieren und sprach Passanten an. Die 200 Unterstützer hatte er schnell zusammen. "In St. Pauli leben viele Freiberufler und Kreative", sagt Füsers. "Denen ist der Gedanke eines Grundeinkommens natürlich sehr nahe." Der 53-jährige Landschaftsarchitekt Wolfgang Heimann, der im Wahlkreis Lauenburg-Storman Süd kandidiert, stieß auf mehr Widerstand. Ein Hauptargument der vielen Zweifler: Wenn jeder automatisch Geld bekommt, geht doch keiner mehr arbeiten.

Genau das bestreiten die Befürworter. Wolfgang Heimann setzt sich seit Jahren mit der Finanzierung eines Grundeinkommens auseinander. "Die meisten Leute können ja erst mal nicht glauben, wie das funktionieren soll." Das bekannteste Finanzierungsmodell hat der Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, entwickelt. Das Grundeinkommen soll sich aus dem bisherigen Sozialetat, dem Steuerfreibetrag und einer stark erhöhten Mehrwertsteuer speisen. Dafür sollen die meisten anderen Steuern entfallen - eine komplette Umwälzung des Steuersystems also. Der Anstieg der Preise soll überschaubar bleiben - weil schon heute viele Steuern versteckt in den Preisen enthalten seien.

Die Schweizer werden übers Grundeinkommen abstimmen

In Deutschland scheint eine baldige Einführung eines Grundeinkommens sehr unrealistisch. Die Schweizer dagegen werden wohl in den nächsten Jahren darüber abstimmen. Eine Bürgerinitiative hat dort über 130.000 Unterschriften gesammelt. Nur 100.000 wären nötig gewesen, um eine Volksabstimmung herbeizuführen. So viele Unterstützer hatte noch keine Schweizer Bürgerinitiative. Am 4. Oktober wird sie die Stimmen der Regierung übergeben. Im Gespräch ist ein Grundeinkommen in Höhe von 2500 Franken für jeden Erwachsenen.

Füsers und seine Mitstreiter möchten ihr Engagement bei der nächsten Bundestagswahl noch deutlich ausweiten, viele weitere Menschen motivieren, für das Grundeinkommen zu kandidieren. Sein Wunschtraum: Womöglich könnte ja eines Tages, wenn das Projekt "Erststimme Grundeinkommen" bekannt geworden sei, ein parteiloser Kandidat tatsächlich einen Wahlkreis gewinnen.

Für die Wahl am Sonntag haben die drei Kandidaten kein konkretes Stimmenziel. Ein wenig Wahlkampf betreiben sie trotzdem. Die Woche vor der Wahl ist die "Internationale Woche des Grundeinkommens". Füsers, Fiedler und Heimann haben einen Infostand in einer Fußgängerzone in Hamburg-Altona angemeldet. Auf dem Tisch haben sie Flyer und Broschüren ausgebreitet - und natürlich informieren sie die Passanten über ihre Kandidatur. Das Interesse ist allerdings überschaubar. Stefan Füsers steht im grünen Kapuzenpulli neben dem Stand und betrachtet das Treiben in der Einkaufsstraße. "Vielleicht könnte man das Grundeinkommen ja erst mal testweise nur in Altona einführen", sagt er mit einem Augenzwinkern. "Das wäre einfacher zu verwirklichen und den Leuten leichter zu vermitteln."

Mehr lesen über