Um 00:35 Uhr nahm das Unglück für den bis dahin führenden Toyota seinen Lauf. Während der ersten von drei Safety-Car-Phasen war das Auto mit der Startnummer #7 zum Auftanken an die Box gekommen. Nach dem Service wurde Kamui Kobyashi – wie in solchen Fällen üblich – von einem Streckenposten am Boxenausgang aufgehalten, weil sich ein Zug von Autos auf der Strecke näherte. Der Japaner musste warten, bis das Safety-Car mit dem Feld im Schlepptau vorbeigefahren war.
Daumen-hoch-Signal an Kobayashi
Doch dann passierte das Unglaubliche: Ein Mann näherte sich aus Richtung der Garagen und zeigte dem Toyota-Piloten den erhobenen Daumen (>> hier geht's zum Video). Kobayashi wertete die Geste als Signal zum Losfahren. Doch das Safety-Car hatte die Start-Ziel-Gerade noch gar nicht passiert. Und so gab es über Funk vom Kommandostand sofort wieder den Befehl zum Anhalten, was Kobayashi auch befolgte.
Die Szene klingt harmlos, hatte aber gravierende Auswirkungen. Weil der Toyota bereits aus der Boxengasse herausgerollt war, stellte die Software den Antrieb auf Normalmodus. Kobayashi fuhr nicht elektrisch, sondern mechanisch an. Das killte die Kupplung. Ohne die Möglichkeit einen Gang einzulegen versuchte sich der Trainingsschnellste noch im Elektro-Modus an die Box zurückretten. Doch um 01:08 Uhr war der Kampf beendet.
Wer gab dem Toyota das Signal?
Die große Frage lautete nach dem Rennen: Wer war die Person, die Kobayashi am Boxenausgang das verhängnisvolle Signal gab und den Japaner damit ins Verderben schickte? Auf den Video-Bildern ist zu erkennen, dass der Mann einen orangen Overall trug, der denen der Streckenposten nicht unüblich ist. Einige spekulierten deshalb, dass es sich um einen als Marshal verkleideten Fan handelte.
Doch ein genauerer Blick enthüllte, dass es sich um einen Rennoverall vom Algarve Pro Racing Teams handelte. Die Sponsoren auf dem Rücken sind gut trotz der schlechten Lichtverhältnisse in der Nacht gut zu erkennen. Außerdem zeigen die Bilder auch, dass die Person Handschuhe, einen Helm und den Nackenschutz „HANS“ trägt. Damit kam ein unglaublicher Verdacht auf: Handelte es sich etwa um einen anderen Fahrer?
Beim Abgleich des Helmdesigns mit denen der drei Piloten des LMP2-Teams löste sich das Rätsel dann auf. Es handelte sich bei dem Mann um Vincent Capillaire, einen 41-jährigen Franzosen, der direkt aus Le Mans stammt. Er war mit einem Ligier an den Start gegangen, den er sich mit zwei amerikanischen Piloten teilte. Aus dem Auto musste der Mann mit seinem orangen Rennoverall ausgesehen haben, wie ein Streckenposten.
Capillaire sieht Fehler ein
Über seine Facebook-Seite hat Capillaire mittlerweile zugegeben, dass er die Person war, die dem Toyota das Signal gegeben hat. „Ich habe am Samstagabend an der Box mit aufgesetztem Helm auf meinen Einsatz gewartet. Ich wollte dem Spitzenreiter im Rennen meine Unterstützung zeigen, der nur ein paar Meter vor meiner Box an der roten Ampel zum Halten kam. Das war eine spontane Geste zur Aufmunterung, wie es unter Piloten üblich ist.“
Die Rennleitung hatte bemerkt, dass sich Capillaire dem Toyota genähert hatte, was offenbar nicht üblich ist: „Ich habe von den Stewards eine Strafe bekommen. Und ich sehe mittlerweile ein, dass es unpassend war. Das bedauere ich.“ Laut Toyota habe sich der Franzose noch nicht persönlich beim Team für den folgenschweren Fehler entschuldigt.
Zweiter und dritter Toyota-Ausfall direkt in Folge
Der Kobayashi-Ausfall war der zweite von drei Schicksalsschlägen für Toyota. Das Auto mit der Startnummer 8 war schon früh mit einem Defekt im vorderen Hybrid-System aussichtslos zurückgefallen. Nur 6 Minuten nachdem Kobyashi sein Auto abgestellte hatte, erwischte es dann auch noch den dritten TS050 mit der Startnummer 9.
Beim Restart nach der Safety-Car-Phase wurde der Toyota von einem LMP2-Auto beim Anbremsen der Dunlop-Schikane hinten links getroffen. Der Stoß von Simon Trummer war hart genug, den Hinterreifen aufzuschlitzen und die Verkleidung zu zerfleddern. Die Fahrt ging nicht lange gut. Eine Hydraulikleitung war gebrochen. Es bahnte sich das gleiche Drama an wie im 7er Auto.
Das Getriebe steckte im fünften Gang. Weil sofort wieder das Safety Car auf die Strecke ging und der Reifen immer mehr Zerstörungen anrichtete, war der hohe Gang für das geringe Tempo zu hoch. Also wieder Umschalten auf Elektrokraft, diesmal immerhin vorne und hinten. Auch die war vor Erreichen der Boxengasse erschöpft. Ganze 300 Meter vor dem Ziel.