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  4. Domspatzen: Weißer Ring soll Missbrauchsvorwürfe klären

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„Tiefe Scham“ über Missbrauch bei den Domspatzen

Generalvikar Michael Fuchs (l.) vom Bistum Regensburg und Domspatzen-Kapellmeister Roland Büchner arbeiten jetzt mit der Opferorganisation Weißer Ring zusammen Generalvikar Michael Fuchs (l.) vom Bistum Regensburg und Domspatzen-Kapellmeister Roland Büchner arbeiten jetzt mit der Opferorganisation Weißer Ring zusammen
Generalvikar Michael Fuchs (l.) vom Bistum Regensburg und Domspatzen-Kapellmeister Roland Büchner arbeiten jetzt mit der Opferorganisation Weißer Ring zusammen
Quelle: dpa
Das Bistum Regensburg kooperiert mit der Opferorganisation Weißer Ring, um körperlichen und sexuellen Missbrauch beim Domspatzen-Chor aufzuklären. „Sehr viele“ weitere Opfer hätten sich gemeldet.

Der Chor der Regensburger Domspatzen will Vorwürfe sexuellen und körperlichen Missbrauchs mithilfe der Opferorganisation Weißer Ring aufklären lassen. Der Verwaltungschef des Bistums Regensburg, Generalvikar Michael Fuchs, sagte: „Wir haben nun den Weißen Ring gebeten, uns einen Anwalt ihres Vertrauens zu empfehlen, der diese Arbeit vornehmen kann.“ Opferanwalt Ulrich Weber soll nun die Vorgänge bei den Domspatzen von den 50er-Jahren bis in die jüngste Vergangenheit recherchieren und aufklären. Man werde den Untersuchungsbericht veröffentlichen, „sobald wir den Eindruck haben, dass die meisten Meldungen berücksichtigt sind“, sagte Fuchs.

Ich springe in ein kaltes Wasser in ein Becken, dessen Tiefe ich nicht kenne
Ulrich Weber, Anwalt von Missbrauchsopfern

Günther Perottoni vom Weißen Ring begrüßte die Entscheidung des Bistums. „Uns wurde zugesagt, dass die Vorgehensweise bei der Aufklärung nicht beeinflusst wird.“ Anwalt Weber hatte sich in drei Vorgesprächen mit dem Bistum davon überzeugt, und „es wurde auch vertraglich festgeschrieben, dass ich mir selbst ein Schema der Aufklärung unabhängig erarbeiten kann unter Einblick aller verfügbaren Unterlagen“, sagte Weber. „Mir werden Personalakten und Geheimarchive zur Verfügung gestellt – auch dies ist vertraglich fixiert.“

Und: Selbst „zur Verschwiegenheit verpflichtete Personen werden von dieser Verschwiegenheit mir gegenüber entbunden“. Zunächst werde der Anwalt Gespräche mit Betroffenen und Beteiligten führen. „Ich springe in ein kaltes Wasser in ein Becken, dessen Tiefe ich nicht kenne“, sagte Weber. Opfer von Missbräuchen bei den Domspatzen können sich bundesweit an den Weißen Ring wenden, „auch unabhängig von der strafrechtlichen Verjährung der Vorwürfe“. Der Weiße Ring schaltete eine eigene Website für Missbrauchsopfer bei den Domspatzen frei. Webers Bericht soll unter Berücksichtigung des Datenschutzes sowie der kirchenrechtlichen Bestimmungen veröffentlicht werden. Vorlegen will er ihn „in etwa einem Jahr“.

Nach ersten Berichten meldeten sich „sehr viele Opfer“

Im Februar hatte Generalvikar Fuchs zusammen mit einer Psychologin und einem Rechtsanwalt einen Zwischenbericht über körperlichen Missbrauch von Kindern in der Grundschule der Domspatzen vorgestellt, die im wenige Kilometer von Regensburg entfernten Etterzhausen untergebracht war. Bis 1992 kam es dort zu schweren Prügelstrafen und Demütigungen; teilweise wurden die Kinder so hart geschlagen, dass sie zu Boden gingen.

72 Berichte von körperlichen Züchtigungen wurden dem Bistum bis Februar 2015 in der Grundschule der Domspatzen bekannt. Nach Medienberichten über die Vorgänge meldeten sich nochmals zahlreiche Opfer. Das Bistum kündigte an, diesen Opfern je 2500 Euro Schmerzensgeld zu überweisen. „Die entsprechenden Anerkennungsleistungen werden seit März überwiesen“, sagte Fuchs. Über die bislang 72 bekannten Fälle hinaus machte Fuchs keine weiteren Angaben. „Aber es haben sich nochmals sehr viele Opfer an uns gewandt.“ Er gestand ein, „dass wir in der Vergangenheit bei der Aufklärung an unsere Grenzen gestoßen sind. Wir versuchen, ein Stück Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.“

Regensburgs Bischof Rudolf Voderholzer treibt die Aufklärung des Missbrauchs bei den Domspatzen stärker voran als sein Vorgänger
Regensburgs Bischof Rudolf Voderholzer treibt die Aufklärung des Missbrauchs bei den Domspatzen stärker voran als sein Vorgänger
Quelle: picture alliance / Michael Debet

Nachdem die ersten Vorwürfe sexuellen und körperlichen Missbrauchs 2010 bekannt geworden waren, unterband der damalige Regensburger Bischof und heutige Glaubenspräfekt Gerhard Ludwig Müller einen offensiven Umgang mit dem Skandal. Erst jetzt, unter Müllers Nachfolger Bischof Rudolf Voderholzer, hat sich das geändert.

Domkapellmeister Roland Büchner, der Nachfolger von Papstbruder Georg Ratzinger als musikalischer Leiter des Chors, entschuldigte sich bei allen Opfern, die von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern missbraucht worden sind. „Im Namen der Einrichtungen der Regensburger Domspatzen kann ich die Opfer nur um Entschuldigung und Vergebung bitten“, sagte Büchner. Er spreche diese Entschuldigung in „tiefer Scham“ aus, so Büchner.

Gleichzeitig kritisierte er eine pauschale Verurteilung der Domspatzen durch die Medien. Zwar kündigte der Domkapellmeister unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte auch der Täter öffentliche Transparenz an. Zugleich beklagte er aber, dass „Berichte über Fälle der 60er- und 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts manchmal mit Bildern und Filmen der Domspatzen aus der Gegenwart illustriert“ würden.

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