Glauben ist für mich so etwas wie ein kultiviertes Urvertrauen. So wie ein Baby Urvertrauen zu seiner Mutter hat, weil es sich bewährt hat, weil es den Charakter einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung hat, weil es seine beste Chance ist. Das gilt selbst dann, wenn dieses Vertrauen nicht in jedem Einzelfall berechtigt ist.

Es gibt Menschen, die ein solches Urvertrauen von Natur aus haben. Auch Atheisten und Agnostiker sehe ich darunter. Solche Naturtalente brauchen keinen ausformulierten Glauben, aber alle anderen fahren besser mit einer soliden und reifen Religion.

Ich habe mich auf einem langen Weg weit weg vom Christentum bewegt. Den Eindruck, dass alle großen Religionen letztlich um die gleichen Themen kreisen, hatte ich schon als Jugendlicher. Bertrand Russells "Warum ich kein Christ bin" fand ich sehr überzeugend, zumal Russell authentisch nachwies, dass Humanität nicht auf das Christentum angewiesen ist.

Die vermeintliche Pflicht, an Wunder zu glauben, Dinge für wahr zu erklären, die nicht wahr sein können, weil sie grob gegen einen gesicherten Wissensstand verstoßen, war für mich immer peinlich. Eine Zumutung, die mit ethischen Standards nicht in Einklang zu bringen ist. Was kann eine Religion taugen, wenn sie mit einer Lüge beginnt?

Ich habe eine Rundreise durch verschiedene Philosophien und Religionen unternommen, mich mit Sokrates, Seneca, Buddha, Mohammed, Maimonides, Meister Eckhart, Castaneda, dem Dalai Lama, Gandhi und einigen anderen beschäftigt. Von fast allen habe ich etwas Gutes mitgenommen. Das einmalige Erlebnis einer Art Bewusstseinserweiterung, völlig drogenfrei und spontan übrigens, hat mich immer davon überzeugt bleiben lassen, dass gute Religionen eine Ahnung von einer umfassenderen Wirklichkeit haben und vermitteln können.

Letztlich für das Christentum am Haken gehalten hat mich zweimal Dietrich Bonhoeffer. Das eine Mal während meines Ingenieurstudiums, als ich eine kurze Biografie von Eberhard Bethge über ihn gelesen habe. Bonhoeffers Klarheit im Denken, seine Forderung nach intellektueller Redlichkeit in Kombination mit seinem Glauben und sein offensichtlich daraus resultierender Mut zum Widerstand haben mir imponiert. Zwanzig Jahre später habe ich die neuere Bonhoeffer-Biografie von Eric Metaxas gelesen und daraufhin begonnen, mich noch einmal mit Glaubensfragen auseinanderzusetzen. Durch Zufall und ausgerechnet in der katholischen Ecke, wo ich es nicht erwartet hätte, habe ich dann eine theologische Linie mit einer mich überzeugenden Kooperation von Glaube und Vernunft gefunden. Sie wird beispielsweise von Peter Knauer vertreten.

Seitdem habe ich mein religiöses Patchwork ausgemustert und versuche, Gott auf dem Weg über Jesus Christus auf die Spur zu kommen. Kultivierte Atheisten, also ausdrücklich nicht die etwas hysterische Krawallfraktion mit Leuten wie Richard Dawkins an der Spitze, sehe ich dabei als meine Verbündeten an. Sie nehmen mir die Arbeit ab, die vielen windschiefen Konstruktionen, die Theologien und Kirchen über lange Zeit aufgebaut haben und die heute mehr stören als nützen, nach und nach abzubrechen.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie Wer's glaubt. Wir freuen uns weiterhin auf Ihre Einsendungen – bitte per Email an leseraufruf@zeit.de, Betreff "Glaube". Unsere Social-Media-Aktivitäten zu diesem Thema bündeln wir unter dem Hashtag #wersglaubt.

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