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Hamburger Millionenprojekt Vertraulicher Bericht nennt Schuldige des Elbphilharmonie-Desasters

"Täuschung, Chaos, fehlendes Fachwissen": Der neue Abschlussbericht zum Millionendesaster bei der Hamburger Elbphilharmonie listet Dutzende Mängel auf. Das Papier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, benennt klar die Verantwortlichen.
Elbphilharmonie (Archivbild): Selbstherrlichkeit und Inkompetenz führten ins Desaster

Elbphilharmonie (Archivbild): Selbstherrlichkeit und Inkompetenz führten ins Desaster

Foto: Daniel Reinhardt/ dpa

Hamburg - Die Ursachen für das Planungsdesaster um die Hamburger Elbphilharmonie lassen sich auf einen kurzen Nenner bringen: Eine ganz große Interessenkoalition, die das Prestigeprojekt Elbphilharmonie unbedingt umgesetzt sehen wollte, aber sich zugleich scheute, dem Bürger die wahren Kosten zu offenbaren. Eine überforderte Projektkoordination, eine überhastete Ausschreibung, ein chaotisches Nebeneinander von Bauunternehmer und Architekt auf der Baustelle - und ein Erster Bürgermeister (damals Ole von Beust, CDU), der sich viel zu spät um die Details kümmerte.

So die Ultrakurzfassung des zweiten Entwurfs zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses Elbphilharmonie der Hamburger Bürgerschaft, dem Landesparlament der Hansestadt. Der vertrauliche Entwurf, der SPIEGEL ONLINE exklusiv vorliegt, listet auf 724 Seiten eine schier endlose Kette von Pleiten, Pech und Pannen auf, die in der Summe dazu führten, dass sich die Kosten des Gebäudes für den Steuerzahler auf knapp 800 Millionen Euro vervielfachten. Und fertig ist das Konzerthaus noch lange nicht.

Es handelt sich bei dem Bericht bereits um den zweiten Versuch des Untersuchungsausschusses, seine Arbeit zum Abschluss zu bringen. Ein erster, im Sommer 2013 vorgelegter Entwurf war von den Abgeordneten zurückgewiesen worden. Allzu einseitig sei darin versucht worden, dem damaligen CDU-Senat die Schuld am Planungsdesaster in die Schuhe zu schieben, kritisierten Abgeordnete. Was daran liegen mag, dass die SPD in dem Ausschuss wie auch in der gesamten Bürgerschaft die absolute Mehrheit hat. Schließlich hätten neben der CDU auch die meisten übrigen Parteien das Projekt euphorisch unterstützt. Auch fehle ein kritischer Blick auf den Baukonzern Hochtief und auf die beteiligten Architekten. Und schließlich sei der erste Berichtsentwurf derart unstrukturiert, dass sich kaum politische Schlüsse aus ihm ziehen ließen.

Luxushotel, subventioniert mit Steuergeld

Das ist beim zweiten Entwurf nun anders. Fast schmerzhaft lesen sich die nach jedem Kapitel eingeschobenen Schlussfolgerungen, weil sie den Leser förmlich spüren lassen, wie mit jedem Versuch, die Elbphilharmonie aus dem Planungsmorast zu befreien, das Projekt noch tiefer in den Dreck gefahren wurde. Die wichtigsten Fehler waren dabei:

  • Das Projekt Elbphilharmonie wurde 2006 überhastet ausgeschrieben, obwohl die Bauplanung noch nicht fertig war. Das führte dazu, dass es mit dem Konsortium um Hochtief nur ein einziges Angebot gab, das dann logischerweise auch den Zuschlag erhielt.
  • Weil die Bauplanung zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe noch nicht fertiggestellt war, übernahm nicht das Hochtief-Konsortium die Ausführungsplanung. Sie verblieb vielmehr bei den Generalplanern um das Architekturbüro Herzog & de Meuron. Mit dem Ergebnis der "chaotischen Situation einer aufwendigeren Planung parallel zum Bau". Zudem widersprachen sich die Pläne für die Konzertsäle und den ebenfalls im Gebäude geplanten kommerziellen Bereich in vielen Punkten.
  • Die Kosten für den Steuerzahler sollten ursprünglich durch die kommerziellen Bereiche des Gebäudes quersubventioniert werden - Hotel, Parkhaus, Gewerbeflächen. Doch auch für diesen kommerziellen Part stiegen die Kosten infolge des Baustellenchaos derart an, dass er vom Gewinn- zum Verlustbringer wurde. "Die Stadt ist folglich in die abwegige Situation geraten, in Millionenhöhe ein Luxushotel aus Steuermitteln zu subventionieren", kritisiert der Bericht.
  • Während des Baus erhob das Baukonsortium Hochtief ständig Nachforderungen, die aus der veränderten Planung resultierten und eigentlich von der Stadt hätten geprüft werden müssen. Doch die dafür zuständige städtische Realisierungsgesellschaft (ReGe) war mit dieser Aufgabe überfordert: "Die ReGe hat insbesondere ab Baubeginn die in dieser Phase rasant ansteigenden Bauherrenaufgaben mit dem vorhandenen Personal nicht mehr sachgerecht bewältigen können". Dennoch sei der Bürgerschaft mit Hilfe von "Täuschung" und Maßnahmen mit "manipulativem" Charakter vorgegaukelt worden, die ReGe habe alles im Griff.
  • Dass die ReGe unter ihren wechselnden Geschäftsführern dabei ein erhebliches Eigenleben entwickeln konnte, lag vor allem an der mangelnden Aufsicht durch den Senat.

Die spannende Frage: Wer ist schuld?

Womit wir bei den schuldigen Personen wären. Den wichtigsten Akteuren des Elbphilharmonie-Desasters widmet der Untersuchungsbericht eigene Kapitel. Schlecht weg kommt dabei neben Ole von Beust, dem vor allem Desinteresse an unbequemen Details attestiert wird, Volkmar Schön, unter Beust Staatsrat in der Senatskanzlei und Aufsichtsratsvorsitzender der ReGe: "Dieser Verantwortung (...) ist Herr Dr. Schön nicht gerecht geworden." Die ehemalige Kultursenatorin Karin von Welck habe die Bürgerschaft nicht rechtzeitig über Kostensteigerungen informiert.

Hartmut Wegner, bis 2008 Geschäftsführer der ReGe, attestiert der Bericht eine Mischung aus Unfähigkeit ("ohne entsprechendes eigenes Fachwissen") und Selbstherrlichkeit ("ungebrochen selbstbewusstes Auftreten"). Heribert Leutner, Projektleiter und später Geschäftsführer der ReGe, versuchte laut Bericht mit nachträglich frisierten Unterlagen die Bürgerschaft über den Bearbeitungsstau bei den Nachforderungen von Hochtief zu täuschen. Wenig hilfreich sei auch die beratende Rechtsanwältin der ReGe, Ute Jasper, gewesen, die sich wesentliche Teile des Vertragswerks mit dem Hochtief-Konsortium gar nicht richtig angesehen habe.

Was Hochtief angeht, äußert der Bericht eine naheliegende Vermutung: Der Baukonzern habe den Angebotspreis von Anfang an unrealistisch niedrig kalkuliert, indem er die Kostenrisiken durch die halbfertige Planung ausblendete. Und machte sich anschließend das Chaos zunutze, um die ReGe mit einer Flut von lediglich teilweise berechtigten Nachforderungen zu bombardieren. Den Architekten um Herzog & de Meuron attestiert der Bericht, dass sie mehrfach Planungsfristen nicht eingehalten und so das Chaos auf der Baustelle vergrößert haben.

Die Regentschaft des jetzigen Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz haben die Abgeordneten übrigens nicht bewertet - sie gehörte nicht mehr zum Untersuchungsauftrag des Ausschusses.

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