Hitzewelle in den Alpen : Die Sonne heizt die Gipfel auf
- -Aktualisiert am
Der Normalweg zum Gipfel ist fürs Erste gesperrt: An der Goûter-Hütte am Mont Blanc Bild: Stephanie Geiger
Am Mont Blanc und am Matterhorn sind Aufstiege gesperrt, weil es wegen der Hitze zu Steinschlag kommt – Felsen, groß wie Häuser gehen nieder. Der Aufstieg: Russisches Roulette.
Die besorgten Rufe waren nicht zu überhören. „Pierre! Pierre!“, schrien französische Bergsteiger, als eine Seilschaft beim Abstieg vom Mont Blanc das Goûter-Couloir am späten Vormittag querte. Stein, Stein. Die beiden Bergsteiger beschleunigten ihren Schritt, versuchten, so gut es ging, durch die Schotterrinne zu laufen. Der Mann voraus, die Frau am Seil hinterher. Sie hatten es fast geschafft, da stolpert die Frau kurz vor dem Ende der gefährlichen Passage. „Alles in Ordnung bei euch?“, hörten sie die besorgten Rufe von der anderen Seite. Wurde die Frau vielleicht von einem Stein getroffen? „Alles o. k.“, kam die Antwort zurück.
Der Abschnitt in 3300 Meter Höhe, wenige Meter oberhalb der Tête-Rousse-Hütte, ist tückisch. „Couloir des Todes“ oder „Todeskorridor“ wird er auch genannt. Es ist der gefährlichste Abschnitt des Mont-Blanc-Normalweges, der von der Bahnstation Nid d’Aigle über Tête-Rousse- und Goûter-Hütte zum Gipfel führt. Wenn die Sonne die Felsen aufheizt und den Schnee zum Schmelzen bringt, dann donnern dort in unregelmäßigen Abständen Steine ins Tal. Es können kleine Trümmer sein; es sind aber auch fußballgroße Brocken dabei. Rund die Hälfte der Unfälle am Normalweg ereignet sich genau an dieser Stelle. Zwischen 1990 und 2011 hat die französische Alpinpolizei dort 291 Rettungseinsätze registriert. 74 Bergsteiger kamen ums Leben, 180 wurden verletzt. Im vergangenen Jahr riss eine Lawine dort zwei neun und elf Jahre alte Kinder mit.
Permanenter Steinschlag
In diesem Jahr ist der Abschnitt sogar noch gefährlicher. Normalerweise reicht es, das Couloir am frühen Morgen zu passieren, um der Gefahr zu entgehen. Dann sind die Steine in Schnee und Eis festgefroren. Weil aber die Frostgrenze laut Berechnungen des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos seit Anfang Juli überwiegend zwischen 4000 und 4800 Metern liegt, friert das Gemisch aus Eis und Fels im Goûter-Couloir über Nacht nicht mehr. Die Folge: Permanenter Steinschlag – unabhängig von der Tageszeit. Russisches Roulette. Einen 59 Jahre alten Bergsteiger traf es Mitte Juli schon um fünf Uhr. Tod durch Steinschlag. Für die Bergführer von Saint-Gervais war das genug. Sie stellten daraufhin die Besteigung des Mont Blanc über den Normalweg ein. Sie wollten sich dieser Gefahr nicht mehr aussetzen. Am 19. Juli zog schließlich der Bürgermeister von Saint-Gervais die Reißleine. Er sperrte per Dekret den Weg vorläufig komplett. Auch die Goûter-Hütte ist geschlossen.
Wie die Gefahr gebannt werden könnte und ob man den Normalweg überhaupt sicher machen kann und soll, darüber wird am Fuß des Mont Blanc schon seit Jahren nachgedacht. Eine Diskussion, so alt wie das touristische Bergsteigen: „Müssen Berge in Ketten gelegt werden?“, wurde gefragt, als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Klettersteige entstanden. Am Mont Blanc wurde quer über das Goûter-Couloir ein Stahlseil gespannt, an dem sich die Seilschaften mit einem Karabiner und einem langen Seil sichern können, damit sie – werden sie von einem Stein getroffen – nicht abstürzen. Vor Steinschlag selbst könnte aber nur ein Tunnel schützen. Die Bergführer im Talort Saint-Gervais haben den schon vor Jahren vorgeschlagen. Entschieden wurde darüber nicht.
Statt über den Normalweg ist am Mont Blanc der Aufstieg auch von der Aiguille du Midi über Mont Blanc du Tacul und Mont Maudit zu machen. Diese Route ist zwar länger, gilt aber grundsätzlich als der sicherere Weg. Doch auch er birgt in diesem Sommer erhebliche Risiken. Am 18. Juli schon war im Bulletin der „Fondation Montagne Sûre“ zu lesen, dass die Bedingungen auf der Drei-Gipfel-Route ebenfalls schlecht, aber für erfahrene Alpinisten zu meistern seien. Allerdings müssten sie mit Blankeis vom Mont Maudit hinauf zum Col du Brenva und einer teilweise sehr ausgesetzten Querung rechnen. Seither haben sich die Verhältnisse dort nicht verbessert.
Selbst erfahrene Bergsteiger sind beunruhigt
Wie brenzlig die Bedingungen zurzeit sein können, musste der Starnberger Extrembergsteiger David Göttler, der sogar schon im Winter am berüchtigten Nanga Parbat (8125 Meter) unterwegs war, in der vergangenen Woche ebenfalls im Mont-Blanc-Massiv erleben. Er war in der vergangenen Woche am „Intégrale de Peuterey“, dem mit 4500 Höhenmeter Kletterei längsten Grat der Alpen, mit Ziel Mont Blanc-Gipfel unterwegs. Kurz nachdem Göttler und sein Seilpartner Richard Heinz das Craveri-Biwak (3490 Meter) erreicht hatten, löste sich ein mehrere Häuser großes Felsstück. „Genau dort, wo wir nur eine Stunde zuvor geklettert waren“, schreibt Göttler auf Facebook. „Es war reines Glück, dass wir nicht an dieser Stelle waren, als es passiert ist.“
Auch am Matterhorn (4478 Meter), das in diesem Jahr wegen des 150. Jubiläums der Erstbesteigung im Fokus steht, sind die Möglichkeiten eingeschränkt. Wegen eines Felssturzes in 3000 Meter Höhe entschied der Präsident der Gemeinde Valtournenche auf der italienischen Seite des Berges, den Aufstieg am Lion-Grat zu sperren. Zeitweilig saßen 25 Bergsteiger in der Carrel-Hütte auf 3830 Metern fest. Auf der Schweizer Seite dagegen berichten Bergsteiger von besten Bedingungen. Der Hörnli-Grat, über den schon der Erstbesteiger Edward Whymper den Gipfel erreichte, sei ohne Steigeisen zu begehen, der Matterhorn-Gletscher bis auf etwa 3400 Meter ausgeapert, die Nordwand, sonst eine kombinierte Kletterei in Fels und Eis und nur für Spezialisten, in diesem Sommer fast schneefrei.
Warme Gipfel auch im Karakorum
Auch im Karakorum, wo üblicherweise im Juli die Erfolgschancen am besten sind, waren die Bedingungen in diesem Jahr extrem. Laut „Altitude Pakistan“ schafften es nur zwei Bergsteiger auf den Gipfel des Broad Peak (8051 Meter). Am Gasherbrum I (8080 Meter) waren es drei, unter ihnen der Deutsche Thomas Seidensticker. Am Gasherbrum II (8034 Meter) immerhin 14. Den Gipfel des K2 (8611 Meter) erreichte in dieser Saison kein einziger. Im vergangenen Jahr waren es am zweithöchsten Berg der Welt 49 Kletterer. Während die kommerziellen Expeditionen aus den Basislagern im Karakorum abgereist sind, versuchen Marek Holecek und Tomas Petrecek am Gasherbrum I eine neue Route auf den Gipfel zu eröffnen. Am 7. August starteten sie am Basislager. Läuft alles nach Plan, sollten sie in diesen Tagen auf dem Gipfel ankommen. Wieder zeigt sich: Ausschlaggebend für Erfolg am Berg ist das Wetter. Scheitern Expeditionen, dann liegt es zu 70 Prozent am Wetter. „Insgesamt war der Juli zwar niederschlagsärmer, er war aber auch deutlich wärmer“, resümiert der Innsbrucker Meteorologe Karl Gabl, der auch in diesem Jahr wieder für Expeditionen im Karakorum Prognosen geliefert hat. Laut Gabl lag im Juli die Null-Grad-Grenze tagsüber meist in etwa 6100 Meter Höhe. Die Temperaturen wiederum lagen in 7000 Metern oft bei minus zehn Grad und höher, sagt der Meteorologe. In 8000 Meter Höhe mussten Bergsteiger nur mit Temperaturen um minus 15 Grad rechnen. Das ist laut Gabl ungewöhnlich warm. (sgr.)