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Fotostrecke

Naturtouristen in China: Panda-Watching in den Qinling-Bergen

Foto: Wild Giant Panda

Panda-Watching in China Roulette für Ökotouristen

Mit ihren Kulleraugen und schwarzweißen Kugelköpfen sind Pandas die Lieblinge aller Zoobesucher. In freier Wildbahn gelingt die Beobachtung dagegen nur unter Mühen - dazu müssen sich Bärenfans schon tief in die Wälder Chinas begeben. Und viel Geduld mitbringen.
Von Ralf Bürglin

Drei grüne Eier - endlich. Neugierig drängen sich die Ökotouristen um sie herum. Schön sehen sie aus auf dem Waldboden: spinatgrün, mit glatter Oberfläche, deutlich sind die Bruchstücke von Bambusblättern zu erkennen. Gelegt hat sie ein Großer Panda. Bis zu 20 Kilogramm produziert ein erwachsenes Tier davon täglich. Die Touristen freuen sich über die frischen und trotzdem völlig geruchlosen Kotbollen, weil sie nun den Bären mit den drolligen Gesichtern ganz nahe sind.

Für die vier "Tracker" Mr. Li, Mr. He und zweimal Mr. Feng, die in den Qinling-Bergen mitten in China Touristen führen, geht die Arbeit jetzt erst richtig los. Die Spurensucher waren am Morgen bereits vor den Pandafans in die Haupttäler ausgeschwärmt. Entlang der Pfade achten sie auf Anzeichen der schwarzweißen, bis zu 160 Kilogramm schweren Bären: Tatzenabdrücke im Lehm, abgebissene Bambusstengel - und natürlich der Pandakot. Nur im Winter gibt es eine Chance die Pandas zu finden, im Sommer ziehen sie sich fürs große Bambusfressen fast unerreichbar weit in die Höhenlagen zurück.

Sind Tatzenabdrücke oder Kotbollen erst mal gefunden, gönnt man sich ein letztes Zigarettchen, zieht den Reißverschluss hoch und schlägt sich dann in den Bambusbusch. Für die Spurensucher ist das ein Knochenjob. Denn nicht nur ist die Topografie der bis zu 3767 Meter Qinling-Berge sehr fordernd; auch stehen im Bambusdschungel die Halme so dicht, dass man nur ein paar Meter weit sieht. Freies Gehen ist nicht möglich.

Die Männer arbeiten für die NGO Wild Giant Panda, die seit acht Jahren in dem Foping-Schutzgebiet Ökotourismus betreibt. Das Projekt soll auch der Bevölkerung zugute kommen, der es seit 1978 verboten ist, hier zu jagen. Einige der ehemaligen Jäger sind inzwischen zu Spähern geworden.

Flaschenwerfen in der Ökostation

Während Mr. He und Co. im Busch unterwegs sind, heißt es für die sechsköpfige Touristengruppe und Führer Rolph warten - und in der Zwischenzeit Vögel bestimmen und sich den Kot erklären lassen: Ist die Oberfläche klebrig, wurde er vor zwei bis drei Stunden abgesetzt, ist er warm, ist er höchsten zwei bis drei Minuten alt. Grobes Material hinterlassen alte Bären mit ihren abgenutzten Zähnen; Jungbären-Exkremente sind feiner gemahlen. 99 Prozent des Kots besteht aus grob verdautem Bambus.

Nach drei Stunden sind die Tracker zurück. Sie sind durchweicht von dem schmelzenden Schnee in den Bäumen und schütteln sich Bambusblattstückchen aus den Haaren. So wie sie dreinblicken, ist gleich klar, dass die Bären noch immer unentdeckt ihren Bambus kauen. Für heute ist die Panda-Suche bereits mittags beendet.

In der Sanguanmiao-Station, dem Naturschutzzentrum des Gebiets, tischt die Küchenfrau auf. Es gibt Reis und drei Schüsseln mit Gemüse. Das Essen in der Provinz Shaanxi ist scharf, dazu passt ein Tsingtao-Bier. Für Küche und Unterkünfte wird der Strom mittels Wasserkraft produziert, ein Solarmodul auf einem der Dächer heizt Wasser auf. Der Mann, der sonst für den Pferdetransport zur acht Kilometer entfernten, nächsten Straße zuständig ist, bereitet über einem Holzofen Heißwasser für die Gäste zu.

Nur die leeren Bierflaschen der Touristen werden gänzlich unökologisch entsorgt: Die junge Küchenfrau schiebt das Fenster auf und wirft das Glas durch das Fenster auf einen großen Scherbenhaufen hinter dem Haus. Die Einheimischen hingegen trinken traditionell Tee, da fällt noch nicht mal ein Teebeutel an.

Anderntags wecken die Rufe der Rotschnabel-Schweifkittas, Krähenvögel mit schwarzem Kopf, weißem Bauch und langen blauen Schwanzfedern. Um acht Uhr gibt's Reissuppe, Gemüse und eine Dampfnudel. Auf einer Fensterbank der Station liegt der Tagesproviant aus: Cracker, Wurst in rosa Pelle, bunte Bonbons und ein gekochtes Ei. Die nächste Panda-Pirsch steht an. Nur etwa einen Kilometer von der Station entfernt, entdeckt Rolph einen Tatzenabdruck. Ein französischer Gast meint: "Das ist doch zumindest ein Hinweis darauf, dass der Touristenrummel die Tiere nicht vertreibt."

Stative in Stellung

Die Tracker, die andernorts gesucht hatten, werden per Funk herbeigerufen. Und dann heißt es wieder warten: eine Stunde lang, eine Stunde, die natürlich nicht reichen kann, all die Vögel im Wald zu bestimmen, die Goldfasane, Stummelscherenschwänze und Himalaja-Rotschwänze. Die Qinling-Berge sind ein Biodiversitäts-Hotspot: Auf ihren 55.000 Quadratkilometern - was der zusammengelegten Fläche von Baden-Württemberg und Hessen entspricht - sind phänomenale 228 Vogelarten nachgewiesen, so viele wie in ganz Deutschland.

Ein Funkruf. Die Gruppe soll zurück zu einer Lichtung, die sie schon passiert hat. Der Panda soll jetzt irgendwo oberhalb am Hang sein und genau vor ihnen auftauchen. Alle bereitet sich für den Moment der Momente vor. Einbeinstative werden ausgefahren; die Fotografen richten ihre mitgebrachten Kameras mit den Zoomobjektiven alle in die eine Richtung aus. So stehen sie fünf, zehn Minuten und dann - hüpft ein Blauschwanz durchs Geäst. Die Kameras schwenken. "Klick", macht der Erste. Die anderen klicken mit.

Keine Ahnung, ob es am wilden Foto-Geklicke gelegen hat - doch dann kommt ein neuer Funkspruch, den Rolph lächelnd übersetzt: "Der Bär hat es sich anders überlegt; er ist durch die Reihen der Spurensucher über den Rücken gestiegen und kommt auf der anderen Seite runter." So engagiert, wie er spricht, wird gleich klar, was er will: Rucksäcke auf, Höhenzug umlaufen. Es folgt der gefährlichste Teil der Tour. Der lehmige Pfad ist von den Packpferden ausgetreten; die Dielen, die an den schlimmsten Stellen ausgelegt sind, um tiefes Einsinken zu verhindern, sind schmierig. Erst stürzt ein Panda-Watcher, dann der nächste in einem Bachbett.

Nach einer halben Stunde stehen sie auf der anderen Seite. Rolph schart alle um sich. Flüsternd gibt er Anweisungen: "Stellt euch hier entlang des Weges auf. Alle zehn Meter einer. Ihr könnt den Panda hier auf dem Weg sehen oder hinter euch, wenn er ins Bachbett steigt." "Das ist Roulette für Ökotouristen", scherzt ein Franzose. Und er führt gleich aus, was er meint: "Auf wen trifft der Panda? Kommt er raus auf Position eins? Auf der zwei? Oder stößt er auf die ganz hinten?"

15 Sekunden Show

Wieder heißt es warten. Zootiere gucken kann ja jeder. Bis zum nächsten Funkspruch: "Panda über den Grad zurückgewechselt." Also macht die Truppe die Runde komplett und kommt dann wieder auf der Lichtung vom Morgen an. Und dort raschelt es im Bambuswald: "Ein Panda, ein anderer!", sagt Rolph. Jetzt muss er nur noch auf die Bühne, die Lichtung, treten. Doch noch eine Stunde später ist nichts passiert. Dann nähern sich ihm die Tracker und melden per Funk: "Der Bär ist eingeschlafen."

Der zweite Teil der Meldung, die uns Rolph flüsternd ins Englische übersetzt: "Wenn ihr wollt, könnt ihr jetzt einzeln in den Busch und einen Blick auf den schlafenden Bären werfen." Erst verwirrte Blicke, dann Lachen. Damit hat nun wirklich keiner gerechnet. Doch plötzlich ist er einfach da. Keine fünf Meter von ihnen entfernt, tritt der Panda ins Freie, weder schaut er zu seinen Fans rüber, noch zeigt er irgendwelche Zeichen von Aufgeregtheit. Er watschelt einfach über die freie Fläche, steigt ins Bachbett, ist dort einen Moment lang unentschlossen, wechselt noch mal die Richtung. Dann schließt sich der Bambusvorhang hinter ihm. Das war's.

15 Sekunden Bühnenauftritt für einen tapsenden Bären. Gemessen an Naturfilmspektakeln ist das unspektakulär. Es ist einfach nur ein Panda, der spazierengeht. Aber den Tiertouristen genügt das. Sie sind ausgelassen und vergnügt. Sie lachen. Und mit ihnen die Chinesen.

Und in der Gruppe kommt Hoffnung auf: Wenn die Chinesen lachen und sie durch die Pandas ein Auskommen haben, dann hat auch der schwarzweiße Bär eine Chance.