Im Juni 1939 erwarb das Wien Museum über den Kunstverlag Wolfrum diese Büste ("Die Einfalt im höchsten Grade", Wvz Nr. 79) von Franz Xaver Messerschmidt. Sie stammt vermutlich aus der Sammlung Anton Loews.

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Zwei Messerschmidt-Büsten zierten den Kaminsims im Salon, bei der linken dürfte es sich um "Die Einfalt im höchsten Grade" handeln ...

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... wie ein Vergleich mit der Profilansicht des Alabasterkopfes aus dem Bestand des Wien Museums zeigt.

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Laut Angaben der Familie Loew-Felsövanyi besaß man einst sechs Charakterköpfe aus Marmor. Das einzig erhaltene "Dokument" ist die von Armin Horowitz gemalte Interieuransicht des Salons im Palais Loew.

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Bislang in der Sammlung Emil Zuckerkandls verortete Metallbüsten von Franz Xaver Messerschmidt, befanden sich tatsächlich in der Kollektion seines Bruders Viktor. Sie wurden 1916 in Wien versteigert.

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Seine Zeitgenossen hielten Franz Xaver Messerschmidt für verschroben, wenn auch talentiert. 1755 war der gebürtige Schwabe nach Wien gekommen und machte hier Karriere. Berühmt wurde er jedoch weniger als Porträtist der Wiener Aristokratie oder für seine im Auftrag des Kaiserhauses geschaffenen Porträts und monumentalen Statuen, sondern für die Gruppe der ursprünglich 69 "Kopf-Stükhe", wie er sie selbst nannte.

Diese "Charakterköpfe" zeigen ein ins Groteske abdriftendes Panoptikum menschlicher Mimik, in dem geschrien, gegähnt und gelacht wurde wie in der Geschichte der Kunst kaum je zuvor. Dass sie im 19. Jahrhundert trivialisiert und im Jahrmarktumfeld präsentiert wurden, mag nur rückwirkend verwundern.

Die Begeisterung für diese Meisterwerke war bis in das 20. Jahrhundert ein lokales Phänomen und setzte sich international erst spät durch. Einen Anteil daran hatte Maria Pötzl-Malikovas 1982 im Verlag Jugend und Volk veröffentlichte Monografie samt Werkverzeichnis, die jahrelang vergriffen war. In der Reihe "Belvedere Werkverzeichnisse" erschien jetzt eine Neuauflage. Mit 18 Köpfen (Alabaster, Metall, Holz inklusive Variationen) hält das Haus immerhin den umfangreichsten Bestand weltweit. 18 weitere sind auf internationale Museen verteilt, neun befinden sich in Privatbesitz, und zwölf gelten als verschollen.

Im Vorwort bedankt sich Belvedere-Direktorin Agnes Husslein-Arco als Herausgeberin bei Pötzl-Malikova für die "akribisch recherchierte" Bearbeitung. Aus kunsthistorischer Sicht mag das zutreffen, jedoch weniger, wenn es um Provenienzen geht, wie STANDARD-Recherchen belegen. Im Gegenteil: Teils wurden historische Quellen falsch interpretiert oder ignoriert, anderes wurde gar nicht erst überprüft.

Das ist insofern erstaunlich, als eine Herkunftschronik gerade vor dem Hintergrund in der NS-Zeit entzogener Kulturgüter von Relevanz sein sollte und für den Aspekt der Authentizität seit jeher war. Anders formuliert: Einstige Besitzer sind ebenso ein Teil der Biografie von Kunstwerken wie die Ausstellungsvita.

Über Auktion filetiert

Eine Zäsur in der Geschichte der Messerschmidt-Serie datiert auf das Jahr 1889, als im April Gemälde und Antiquitäten aus dem Nachlass von J. C. Klinkosch bei Miethke zur Versteigerung gelangten. Darunter eine Gruppe von 47 Charakterköpfen (Marmor, Blei), die nun filetiert worden war. Eine Ergebnisliste hat sich nicht erhalten, ein Bericht in der Österreichischen Kunst-Chronik vom 20. April 1889 zitiert auszugsweise und nennt bei den Köpfen einen Gesamterlös von 800 Gulden.

Wer die Käufer waren, wurde vorerst nicht bekannt. 1893 erschien im Monatsblatt des Alterthums-Vereins zu Wien erstmals ein Hinweis: Demnach befand sich vier Jahre nach der Auktion ein Drittel dieser Gruppe "beim Antiquitätenhändler Fürst in Wien; einige Stücke soll der Wiener Universitätsprofessor Herr Dr. Zuckerkandl besitzen". 1894 findet sich dort die Notiz, wonach "in jüngster Zeit ein Theil" der Köpfe "für den öffentlichen Besitz gerettet" wurde, konkret von Camillo Sitte, der "die steinernen Köpfe für die Lehrmittelsammlung der k. k. Staatsgewerbeschule" erwarb.

Es sind dies die einzigen zeitnahen Quellen, die jedoch teils falsch interpretiert wurden. Für den Ankauf Sittes findet sich im Werkverzeichnis keine Jahresangabe, Ende 1893 oder Anfang 1894 gilt als wahrscheinlich. Allerdings waren es nicht, wie nun im aktuellen Werkverzeichnis angeführt, "zehn Alabasterköpfe" (2015, S. 126), sondern neun "Büsten aus Stein" (Inv.-Nr. 758-767) sowie eine aus "Holz mit Wachsüberzug" (Inv.-Nr. 768), wie ein Blick in das Aktenarchiv des Museums für angewandte Kunst verrät, das diesen Bestand 1908 übernahm. In weiterer Folge gelangten diese Exemplare in zwei Tranchen ans Belvedere.

Pötzl-Malikova erwähnt auch, dass Sitte privat zwei Köpfe besessen haben soll. Eine These, für die sie auf einen Ankauf des Getty Museum in Los Angeles 2008 verweist: "Der Verdrüssliche", den man, entgegen ihrer Angabe "Privatbesitz", über Vermittlung des Kunsthändlers Sascha Mehringer in München aus dem Besitz seines Kollegen Reinhold Hofstätter (1928-2013) in Wien erwarb. Laut Getty-Datenbank sei der Alabasterkopf seit den 1920ern im Besitz der Familie Hofstätter gewesen und davor in jener Sittes.

Trotz intensiver Recherche findet sich für diese Behauptung nicht der kleinste Beleg, auch nicht im Nachlass des 1903 verstorbenen Camillo Sitte, wie die Expertin auf Anfrage bestätigt. Während des NS-Regimes wurden auch Messerschmidt-Büsten entzogen, womit weitere Recherchen aus Sicht des Getty Museum wohl angebracht wären.

Viktor, nicht Emil Zuckerkandl

Aber um die Genauigkeit ist es dort nicht besser bestellt: 2010 beteiligte man sich an einer Messerschmidt-Retrospektive in der Neuen Galerie in New York, die 2011 in den Louvre nach Paris wanderte. Antonia Boström, bis 2013 Kuratorin im Getty Museum, lieferte dazu einen ausführlichen Katalogbeitrag.

In diesem baute die jüngst an das Victoria & Albert Museum in London berufene Kunsthistorikerin eine Interpretation im Werkverzeichnis von 1982 zu einem Fehler aus.

Angesichts des 1893 publizierten Hinweises "Universitätsprofessor Herr Dr. Zuckerkandl" ging man davon aus, es handle sich um "Emil". Das ist eine Vermutung, die auch Boström nicht überprüfte. Vielmehr argumentierte sie seitenweise über das erwiesene Kunstinteresse des Ehepaars Berta und Emil Zuckerkandl. Das ist verständlich, denn in der Retrospektive zeigte man die Zinnbüsten "Der Missmutige" (Museé du Louvre, Paris; 3,7 Mio. Euro) und "Der unfähige Fagottist" (Sammlung Etro, Mailand; 1,9 Mio. Euro). Sie waren 2005 bei Sotheby's in New York versteigert und davor vom Wien-Museum an die Erben nach Richard Beer-Hofmann restituiert worden.

Auch im Dossier des Wien-Museums war "Emil" als Vorbesitzer angeführt. Das ist falsch, denn tatsächlich waren diese Köpfe einst in der Sammlung seines Bruders Viktor. Der Doktortitel war 1893 irrtümlich dem Anatomen statt dem Industriellen zugeordnet worden. Der Beleg findet sich in der Datenbank der Digitalisate der Universität Heidelberg: dem Katalog zur "Versteigerung der Kollektion Generaldirektor Dr. Viktor Zuckerkandl" bei C. J. Wawra im Oktober 1916.

Unter Nummer 257 waren "drei lebensgroße Bleibüsten" aus "der Serie der Temperamente" gelistet, zur Unterscheidung von Marmoririginalen als ein Guss "nach" Franz Xaver Messerschmidt bezeichnet. Laut einem Tageszeitungsbericht im Fremden-Blatt vom 29. Oktober 1916 erzielten die drei Köpfe den stattlichen Wert von 14.100 Kronen. Zwei davon gelangten in den Besitz Beer-Hofmanns und 1939 über den "Nazi-Kunsthändler Oskar Hamel um je RM 2.000" in den Bestand des Wien-Museums.

Anton Loews Messerschmidt-Sextett

Und dort befindet sich bis heute eine Alabasterbüste, die bereits 2010/11 Gegenstand eingehender Provenienzforschung war, wenngleich ohne nennenswertes Ergebnis. "Die Einfalt im höchsten Grade" stammt vermutlich aus der Sammlung des Sanatoriumsbesitzers Anton Loew, die über den Erbweg an seine Tochter Gertrud (verehelichte Felsövanyi) kam. Laut ihrem 2013 verstorbenen Sohn besaß man insgesamt sechs Steinköpfe von Messerschmidt. Jeweils zwei zierten den Kaminsims und die beiden Türkonsolen des Salons im Palais Loew, wo sie Anthony Felsovanyi im Juni 1938 zuletzt sah. Auch beim Rückstellungsverfahren 1947 wurden die "6 Büsten von Messerschmidt" erwähnt.

In historischen Quellen scheint nur ein Hinweis auf, im 1902 publizierten Handbuch der Kunstpflege in Österreich, in dem die Sammlung Loew über Künstlernamen skizziert wird: unter anderem "Messerschmidts" (Plural). Das ist eine Literaturangabe, die im aktuell vorliegenden Werkverzeichnis freilich fehlt.

Die der Vermögensanmeldung Gertrud Felsövanyis beigelegte Liste von Kunstwerken hat sich nicht erhalten, und der Verbleib der Sammlung (Bilder im Wert von RM 29.720, Antiquitäten und Gobelins im Wert von RM 18.240) ist bis heute ungewiss.

Kurz nach ihrer Flucht im April 1939 waren jedenfalls beim Kunstverlag Wolfrum Kunstwerke aufgetaucht und an Museen vermittelt worden. Darunter der damals fälschlich als "Der scharfe Geruch" bezeichnete Alabasterkopf, der im Juni für 1500 Reichsmark angekauft wurde. Das einzige in der Familie erhaltene Dokument ist eine von Armin Horovitz gemalte Gouache, die das Innere des Salons zeigt. Im Detail sind auf dem Kaminsims zwei Büsten erkennbar, bei der linken dürfte es sich um jene im Wien-Museum handeln.

Pötzl-Malikova verweigert wegen der "Ungenauigkeit des Aquarells" eine Identifizierung. Die Wiener Restitutionskommission urteilte daran anknüpfend, dass dies als Beweis nicht ausreichend sei.

Im aktuell vorliegenden Werkverzeichnis ersucht man immerhin um sachdienliche Hinweise, die zur Klärung beitragen sollen. Vielleicht bringt ja die Akribie von "Amateurforschern" mehr Licht ins Dunkel.(Olga Kronsteiner, 24.10.2015)