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Politik

Diener des Spottes

Die grausamen Taten der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ schüren die Angst in der Region. Eine Band im Libanon setzt sich mit einer ungewöhnlichen Waffe zur Wehr: blankem Hohn

Stromausfall, alles ist dunkel, auch das Keyboard geht nicht, mal wieder. So wie fast jeden Tag im Libanon, wo das öffentliche Stromnetz ständig überlastet ist, weil viel zu viele Menschen auf viel zu engem Raum ihre Klimaanlagen, Kühlschränke und Fernsehgeräte an die Steckdosen hängen.

Khaled, Naim und Sandy nehmen es gelassen. Zigaretten und Whisky, wer hat noch nicht? Die Mitglieder der Band „al-Rahil al-Kabir“ („Der große Verstorbene“) blasen Rauchwolken in den Proberaum, bald schon tanzen rot glimmende Punkte in der Dunkelheit, Gläser klirren. Und dann tun sie das, wofür sie gekommen sind; die Oud, die arabische Gitarre, erklingt – ohne Verbindung zur Steckdose. Beim Refrain ihres größten Hits, der „Hymne auf den Kalifen“, kommen sie in Stimmung, singen sich in Rage: „Meister Baghdadi! Du wirst die Diener Gottes führen, und zwar in ein noch nie da gewesenes Desaster.“

Das Desaster, das die jungen Libanesen beschwören, sind die Gräueltaten der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS), angeführt vom selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi. Die Dschihadisten sind auf dem Vormarsch im Irak und Syrien, das Terrorregime bedroht auch den Libanon. Während der Westen von den friedliebenden Muslimen Märsche gegen den IS-Terror einfordert, hat die Band in Beirut ein anderes Mittel des Protests gewählt: Sie machen sich in ihren Liedern lustig über die Steinzeit-Islamisten, die sich selbst so furchtbar ernst nehmen.

Auf ihren Konzerten werden die sechs Musiker von „al-Rahil al-Kabir“ dafür gefeiert; die Fans sind begeistert von diesem Hohn als Ventil für ihre wachsende Furcht. Seit jeher war es im Libanon so: Je grausamer die Diktatur, also je machtloser der Einzelne, desto schärfer wurden die Witze. Die Pointe gehört „al-Rahil al-Kabir“. Sie provozieren die Extremisten mit dem, was diese so verachten: mit Kunst, mit Kultur, mit Errungenschaften der Zivilisation.

Die liberale arabische Presse feiert die Band frenetisch, erhöht sie schon zur Stimme einer ganzen Generation. Einer Generation kriegsmüder junger Menschen freilich, die eigentlich nur eines will: unbeschwert leben. Ohne Bomben, ohne religiöse Auseinandersetzungen, ohne Angst. „Jeder, der hier lebt, hat schon Freunde oder Verwandte an den Bombenterror oder den Krieg verloren“, sagt Khaled. Er schreibt die bitterbösen Texte für die Lieder. Krieg und religiös aufgeladene Auseinandersetzungen, das sind seine Themen. Er lässt sich auf seinem Weg nicht beirren, nicht einschüchtern. „Wir spielen abends, selbst wenn am Morgen eine Bombe in Beirut explodiert ist“, sagt er.

Es bräuchte die neue Bedrohung aus dem Irak und Syrien gar nicht, das Leid im Libanon ist auch so allgegenwärtig. Die Narben des Krieges, der von 1975 bis 1990 das kleine Land erschütterte, sind noch immer nicht verheilt. In der Beiruter Innenstadt stehen ausgebombte Häuser neben Bauruinen, für deren Fertigstellung den Auftraggebern das Geld ausgegangen ist. In diesem urbanen Elend muss sich eine Jugend zurechtfinden, die politisiert und frei ist, wie in kaum einem anderen arabischen Land.

Die Erfahrung von Krieg und Terror hat sich dennoch tief in das Bewusstsein der jungen Leute eingebrannt. „So tief, dass viele sich in den Extremismus flüchten“, sagt Khaled. Die Band wendet sich deshalb nicht nur gegen die Islamisten in den Nachbarstaaten, sondern auch gegen die politischen Figuren und Vorgänge im eigenen Land. Die sektiererischen Spannungen im Libanon halten an: Christen gegen Muslime, Schiiten gegen Sunniten; Spannungen, die ganz bewusst auch aus dem Ausland geschürt werden. Die Hintergründe des Attentats auf den einstigen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri 2005 sind bis heute nicht geklärt, obwohl die Berichte der Vereinten Nationen klar auf eine Verwicklung des syrischen und libanesischen Geheimdienstes hindeuten. „Unsere Träume sind zu Albträumen geworden, uns bleiben nur Untergang, Vernichtung und Dummköpfe“, dichtet Khaled für seine Band.

Wer Missstände anprangert, offen anklagt – bringt der sich nicht auch in Gefahr? Die Antwort gibt die Band lieber musikalisch: „Der erschrockene Sultan stand auf und jagte seine Hunde auf uns“, heißt es in einem der Lieder. Die Musiker sind nicht naiv, sie wissen, dass nicht allen im Libanon gefällt, was sie tun. Solange aber das Publikum laut und in aller Öffentlichkeit mit ihnen lache, solange machten sie sich noch keine Sorgen.

Die Lieder von „al-Rahil al-Kabir“ sind alles, was der „Islamische Staat“ nicht ist: tolerant, schlau und fröhlich. Und deshalb lassen sie die Islamisten Dinge sagen wie: „Weil der Islam so barmherzig ist, schlachten wir alle ab und verteilen ihr Fleisch. Und weil wir den Straßenverkehr reduzieren wollen, sprengen wir einfach Menschen in die Luft.“ Kahled spricht von „einer surrealen Phase der Menschheit“, in der man sich befinde.

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Weniger als hundert Kilometer von Beirut entfernt sterben die Menschen in Syrien. Deren Leid ist längst auch auf den Feiermeilen der libanesischen Hauptstadt angekommen. Bomben, Terror und Gewalt haben mehr als eine Million Syrer über die Grenze in den Libanon getrieben. Die Flüchtlingskrise ist auf den Straßen nicht zu übersehen, Kinder betteln, ihr üblicher Satz: „Ich bin aus Syrien. Ich habe Hunger.“

Noch ist es ruhig in weiten Teilen des Libanons. Aber vor etwa einem Monat brach der „Islamische Staat“ erstmals über die Grenze zu Syrien und setzte das Flüchtlingslager von Arsal in Brand. Als die libanesische Armee einschritt, gerieten mehr als 20 Soldaten in die Fänge der Islamisten. Zwei von ihnen wurden an Ort und Stelle geköpft, einige wenige frei gelassen. Mindestens neun Soldaten sind noch in den Händen der Islamisten. Um ihre Freilassung wird derzeit verhandelt. Dass den Terroristen des „Islamischen Staates“ egal ist, wen sie hinrichten, zeigt die Religionszugehörigkeit der beiden geköpften Soldaten. Abbad Medlej war ein Schiit aus Baalbek und Ali al-Sayyed ein Sunnit aus Akkar.

„Die Terroristen faseln, wie barmherzig Gott ist. Nur, um dann im nächsten Moment einen Menschen zu köpfen“, sagt Khaled. „Das ist doch absurd.“ Er habe keine Mittel, das zu stoppen. Die Band könne nur auf die Widersprüche hinweisen, damit sich das Virus nicht ausbreite. Selbst vor dem Koran machen sie dafür nicht halt. „Warum sollten wir?“, fragt Naim, der Sänger. Eine der Zeilen, für die sie bei den Konzerten besonders viel Applaus ernten, beginnt mit einem Zitat aus dem heiligen Buch der Muslime: „Im Glauben gibt es keinen Zwang“.

Sind die Bandmitglieder religiös? „Das ist doch egal, das interessiert hier keinen“, sagt Khaled, der eigentlich als Journalist sein Geld verdient. Religion spiele keine Rolle, zumindest nicht für die, die abends auf den Konzerten nach Zugaben verlangten. Dass die Sängerin Sandy hier ohne Kopftuch auftritt? Eine absurde Frage für junge, moderne Libanesen. „Wie denn sonst?“, fragt sie lachend zurück und nippt an ihrem Whisky-Glas.

„Die Freiheit, die wir hier genießen“, ergänzt Khaled, „müssen wir nutzen. Das ist unsere Pflicht.“ Deshalb singen sie gegen den „Islamischen Staat“, deswegen wagen sie sich aus der Deckung, wo viele andere es vorziehen zu schweigen. „Es darf darüber nur keiner vergessen“, fügt er an, „dass nicht allein der ‚Islamische Staat‘ unsere Freiheit bedroht.“ Das politische Führungspersonal der Region sei in diesem Punkt auch nicht viel besser.

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