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Wirtschaft (Print WAMS) Kopf der Woche: Michael O’Leary

Der Kampfflieger

Länger als jeder andere Chef einer Fluggesellschaft in Europa steuert Michael O’Leary seine Ryanair, immer mit markigen Sprüchen und hohem Tempo. Stößt er jetzt an seine Grenzen?

Der Mann ist Bauer. Bodenständig. Mehr als 400 Angus-Rinder und ein paar Rennpferde stehen in den Ställen auf seinem Landsitz. Der Ire Michael O’Leary lebt mit Frau und vier kleinen Kindern auf dem 250 Morgen großen Gut Gigginstown House bei Mullingar, eine Autostunde von Dublin entfernt. Daheim lässt sich der Sohn eines irischen Gutsbesitzers frischen Wind um die Nase blasen, gewinnt Distanz zu seinem stressigen Alltag als Chef von Ryanair, der größten und bislang erfolgreichsten europäischen Billigfluggesellschaft. Doch das Glück scheint den studierten Steuerberater zu verlassen. Noch im Frühjahr glänzte Ryanair mit großspurig verkündeten Wachstumsplänen, die O’Leary mit einer Riesenbestellung bei Boeing untermauerte. Wenig später ließ der Ire auf einer Investorenkonferenz verlauten, dass er seine Aktionäre mit Aktienrückkäufen und Sonderdividenden von insgesamt einer Milliarde Euro beglücken wolle. Jubel an der Börse.

Diese Woche kam das dicke Ende: eine Gewinnwarnung. Damit hatten Anleger und Analysten nicht gerechnet, der Aktienkurs brach um 15 Prozent ein. Gut eine Milliarde Euro an Firmenwert waren futsch, an nur einem Tag. Selbst nach den Anschlägen des 11. September war der Kursausschlag nicht so groß.

Michael O’Leary versuchte zu beruhigen. Ausschlaggebend für den schlechteren Ausblick seien das schwache Pfund und stärker werdende Konkurrenz. Die Wettbewerber hätten zwar die Preise gesenkt – Ryanair aber werde sich bei diesem Wettlauf nach unten an die Spitze setzen. Da blitzte der bekannte Kampfgeist kurz auf. Die Kunden können sich auf einen harten Preiskampf freuen.

Mit starken Sprüchen, enormer Energie, wilden Faxen vor jeder Kamera und eiserner Hand gegenüber aufmüpfigen Mitarbeitern macht O’Leary den Job seit fast 20 Jahren, unangefochten. Der Ire ist mittlerweile der am längsten amtierende Airlinechef in Europa. Für seine Aktionäre war der Manager mit seinem simplen Geschäftsmodell – die niedrigsten Kosten, die niedrigsten Preise und immer neue Flugzeuge – lange Jahre ein Garant für ordentliche Kursgewinne. Für die anderen Airlinechefs mutierte er mit seiner Strategie in den vergangenen zehn Jahren vom belächelten Enfant terrible zum bewunderten Vorbild – auch wenn das niemand öffentlich aussprach.

Aber genau das ist Teil der Probleme, mit denen Ryanair sich derzeit herumschlagen muss. Zwar machen die Chefs von Aer Lingus, Easyjet, Norwegian, Vueling, Wizz oder auch der Lufthansa-Tochter Germanwings keine Witzchen in der Öffentlichkeit, und sie denken auch nicht im Fernsehen über die Einführung einer Toilettengebühr zur Gewichtsreduktion nach. Aber sie sparen, wo es geht, kassieren extra für Gepäck und Catering und specken permanent ihre internen Geschäftsprozesse ab. All das ist heutzutage angesichts der Überkapazitäten in der europäischen Luftfahrt eine zwingende Voraussetzung, um überhaupt noch Geld verdienen zu können. Ryanair und der Lufthansa ist das in den letzten Jahren ganz gut gelungen, den meisten anderen nicht. Die Iren flogen hohe Gewinne ein und übertrafen die selbst gesteckten Ziele oftmals locker, während die einstigen Vorzeige-Airlines Air France-KLM und British Airways/Iberia harte Sanierungskurse einschlugen, um ihre Geschäfte wieder flottzukriegen. Und dabei haben sich auch die Chefs der alten Staatsairlines mittlerweile viel von O’Leary abgeschaut. Das bringt auch Ryanair immer mehr unter Druck: Die Kosten müssen noch weiter runter, und gleichzeitig müssen die Iren bei ihrem unbedingten Wachstumskurs auch für anspruchsvollere neue Kundengruppen wie Geschäftsreisende attraktiver werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass das Image angekratzt ist. Gleich mehrfach mussten Ryanair-Flugzeuge im vergangenen Jahr einen Notruf wegen Treibstoffmangels absetzen. Gewerkschaften in ganz Europa kritisieren den umtriebigen O’Leary zudem wegen der niedrigen Löhne, die er Mitarbeitern zahlt. Die Piloten haben sich jetzt erstmals in einer Gewerkschaft organisiert und kritisieren die Sicherheitskultur der Airline.

Und auch der Einstieg ins Langstreckengeschäft, mit dem O’Leary liebäugelt, rückt in weite Ferne. Die Beteiligung von 30 Prozent an der ehemaligen Staatsairline Aer Lingus muss O’Leary aus kartellrechtlichen Gründen wohl wieder abstoßen. Und gleichzeitig hat Norwegian angekündigt, dass sie mit ihren neuen Dreamlinern die Konkurrenten auf den Transatlantikstrecken angreifen will.

Es ist also angesichts des immer schwieriger werdenden Luftfahrtgeschäfts nicht unwahrscheinlich, dass O’Leary in den vergangenen Tagen hin und wieder darüber nachgedacht hat, eine seiner vollmundigen Ankündigungen demnächst doch wahr zu machen. In einem Gespräch mit der „Welt am Sonntag“ kündigte er vor einem Jahr an, dass er wohl noch zwei oder drei Jahre Chef bei Ryanair bleiben werde. Und dann? Lachend gab er den Reportern mit auf den Weg: „Ich werde als Bauer meine Rinderherde ausbauen, noch mehr Emissionen erzeugen und mir von den Idioten in Brüssel dafür Subventionen schicken lassen.“

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