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Irak-Politik: Protest gegen Berlin und Paris

Foto: GREGORY SMITH/ AP

Zehn Jahre Irak-Krieg Unser standfestes Nein

George W. Bush hat ihm dieses Nein nicht verziehen: Kurz vor Beginn des Irak-Kriegs vor zehn Jahren stellte Gerhard Schröder noch einmal klar - keine militärische Unterstützung. Aus der verheerenden Bilanz des Waffengangs lassen sich auch für Deutschland wichtige Schlüsse ziehen.
Von Frank-Walter Steinmeier

"Wir sind zu Solidarität bereit. Aber dieses Land wird unter meiner Führung für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen."

In zwei kurzen Sätzen fasste Gerhard Schröder im Sommer 2002 seine Haltung zum Irak-Krieg zusammen. Und überschritt damit eine imaginäre rote Linie, die bis dahin für jede deutsche Nachkriegsregierung galt. Nie zuvor hatte ein Bundeskanzler so offen die amerikanische Führungsmacht kritisiert. Nie zuvor hatte ein Bundeskanzler für sich so deutlich eine eigene Beurteilungs- und Entscheidungskompetenz reklamiert. Entsprechend deutlich fielen die Reaktionen aus, im In- und im Ausland. Der damalige Verteidigungsminister der Bush-Regierung, Donald Rumsfeld, verweigerte seinem Amtskollegen Peter Struck den Handschlag. Die deutsche Oppositionsführerin Angela Merkel erklärte einer US-Zeitung: "Gerhard Schröder spricht nicht für alle Deutschen."

Wer die damaligen Auseinandersetzungen aus nächster Nähe erlebt hat, erinnert sich an Monate heftiger Diskussion, in den Medien, aber auch innerhalb der Bundesregierung. Manch altgedienter Diplomat warnte: "Das werdet ihr nicht durchhalten! Auf die Franzosen ist kein Verlass, am Ende wird Deutschland allein stehen."

Ohne Anlass waren solche Warnungen nicht. Das internationale Pressing gegen Deutschland und Frankreich hatte gerade erst begonnen. Mit seinem französischen Amtskollegen Jacques Chirac stand Schröder in diesen Tagen in fast täglichem Kontakt. Bis zuletzt wurde gemeinsam nach letzten Möglichkeiten zur Abwendung des Kriegs gesucht, während andere bereits unumkehrbar auf Intervention umgeschaltet hatten, begleitet vom Vorwurf mangelnder Bündnissolidarität gegen Berlin und Paris!

Das war weder gerechtfertigt, noch glaubwürdig, denn Gerhard Schröder hatte sich nach dem 11. September klar und deutlich an die Seite der USA gestellt und bei der Entscheidung über den Afghanistan-Einsatz sogar seine eigene Kanzlerschaft aufs Spiel gesetzt.

Alle Befürchtungen sind eingetreten

Der Irak war allerdings ein anderer Fall: Mit dem 11. September hatte er nichts zu tun. Der Beweis der Amerikaner über eine Zusammenarbeit zwischen Saddam Hussein und al-Qaida war nicht geführt. Nahostexperten weltweit bestritten dies sogar ausdrücklich! Eigene geheimdienstliche Expertisen sprachen zudem gegen die Behauptung von einsatzbereiten Massenvernichtungswaffen und Produktionsanlagen, die im Sicherheitsrat Dreh- und Angelpunkt der Interventionsbegründung war. Mit dem Angriff auf den Irak drohte die Destabilisierung der ganzen Region. Ein Bürgerkrieg, dessen Ende nicht absehbar war.

Saddam Hussein ist beseitigt, im Übrigen sind alle Befürchtungen eingetreten. Allein auf den Irak bezogen ist die Bilanz ernüchternd: mehr als 4000 US-Soldaten tot und 32.000 verwundet. Weit über 100.000 irakische Opfer. Der Traum von der Demokratisierung des Iraks nach dem Vorbild von Nachkriegs-Deutschland und Nachkriegs-Japan - ausgeträumt. Dramatisch sind die Konsequenzen für die Gesamtregion des Mittleren Ostens:

  • Ein Iran, der seinen Einfluss in der Region weiter ausgebaut hat
  • Ein Irak, dessen territoriale Integrität in Frage steht
  • Ein Nahost-Friedensprozess, der keinen Schritt vorangekommen ist
  • Mit Syrien ist ein weiterer blutiger Bürgerkrieg dazugekommen, in dem es nicht nur um die Ablösung des Assad-Regimes geht, sondern wo unterschiedliche religiöse Strömungen und ihre jeweiligen Schutzmächte um Macht und Einfluss, sogar um die Vorherrschaft in der muslimischen Welt streiten.

Was bedeutet das für uns, zehn Jahre danach? Drei kurze Anstriche dazu:

1. Mehr Forschung, mehr Debatte

Deutschland braucht die notwendige Expertise, um in einer zunehmend komplizierten Welt urteilsfähig zu sein. Dazu gehören ernsthafte außen- und sicherheitspolitische Analysen, nicht nur herausragende Think Tanks, sondern eine außen- und sicherheitspolitische Community, die sich keiner Erkenntnismöglichkeiten verschließt. Wer die offene und scharfe Debatte etwa in der US-amerikanischen Community verfolgt, den muss die Selbstgenügsamkeit der außen- und sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland beunruhigen. Und selbstverständlich gehört zur Expertise auch die Wissenschaft! Mit Sorge sehe ich, dass an deutschen Universitäten immer mehr regionalpolitische Lehrstühle dem Spardiktat zum Opfer fallen. In einer zunehmend vernetzten Welt dürfte das ein großer Fehler sein.

2. Weniger Schwarz-Weiß-Malerei

Wir müssen uns verabschieden von der Unsitte moralisch überhöhter Schwarz-Weiß-Malerei. Begriffe wie "Achse des Bösen" oder "Schurkenstaat" taugen schlecht als Kategorie für verantwortliche Außenpolitik. Veränderungen in vordemokratischen Gesellschaften brauchen Zeit. Sie lassen sich klug befördern, aber nicht von außen erzwingen. Und selbst da, wo sich - Stichwort "arabischer Frühling" - der Freiheitswille auf Straßen und Plätzen offen artikuliert, ist der Erfolg des demokratischen Aufbruchs alles andere als garantiert.

3. Schulterschluss bringt Durchschlagskraft

Auch wenn es wieder schick ist, vom gewachsenen politischen Gewicht Deutschlands zu fabulieren und uns mancher im Ausland mit solchem Gerede um den Bart geht - Deutschlands Gewicht in der Welt ist beschränkt. Und es wird angesichts des Aufstiegs neuer Gestaltungsmächte weiter abnehmen. Unser Nein im Irakkrieg bekam erst durch den engen Schulterschluss mit Frankreich die notwendige Durchschlagskraft. Gemeinsames Handeln ist deshalb gefragt. Egal ob "altes" oder "neues" Europa - nur gemeinsam werden wir gehört!

Ein letztes Wort zur Haltung. Gerhard Schröder hat vor zehn Jahren Mut und Standfestigkeit bewiesen. Allen wohl und niemandem weh, mag manchmal bequem für den politischen Alltag sein. Die Zukunft des Landes sichert man so nicht.