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Jede Stunde Blackout kostet 600 Millionen Euro

Wirtschaftsredakteur
Käme er zur Mittagszeit, würde ein einstündiger Blackout in ganz Deutschland 592,7 Millionen Euro kosten. Das haben Experten des Hamburger Weltwirtschafts-Institut errechnet Käme er zur Mittagszeit, würde ein einstündiger Blackout in ganz Deutschland 592,7 Millionen Euro kosten. Das haben Experten des Hamburger Weltwirtschafts-Institut errechnet
Käme er zur Mittagszeit, würde ein einstündiger Blackout in ganz Deutschland 592,7 Millionen Euro kosten. Das haben Experten des Hamburger Weltwirtschafts-Institut errechnet
Quelle: Infografik Die Welt
Die Gefahr des flächendeckenden Stromausfalls wächst, da die Energiewende die Netzstabilität weiter verschlechtert. Sollten die Lichter ausgehen, steht volkswirtschaftlich viel auf dem Spiel.

Das Risiko von Stromausfällen steigt nach Einschätzung des Hamburger Weltwirtschafts-Institut (HWWI) weiter an. „Deutschlands Umstieg auf erneuerbare Energien birgt ein wachsendes Risikopotenzial“, warnt HWWI-Energieexperte André Wolf im jüngsten Monatsbericht seines Instituts.

Der Experte verweist auf „gestiegene Erzeugungsvolatilität, zum Beispiel in Form von Veränderungen in der Netzspannung bei Starkwindeinspeisung“. Das Hamburger Institut nahm die wachsende Blackout-Gefahr zum Anlass, erstmals die potenziellen Schäden durch Stromausfälle für sämtliche deutsche Landkreise und Städte zu schätzen.

Das Ergebnis zeigt, welche Summen auf dem Spiel stehen, falls sich die Stabilität der deutschen Stromnetze durch die Energiewende weiter verschlechtern sollte.

Blackout in Berlin wäre am teuersten

Um Unsicherheiten in der Schätzung möglichst gering zu halten, hatten sich die Experten auf Stromausfälle von nicht mehr als einer Stunde Dauer beschränkt. Dabei geht die Berechnung vom sogenannten „Value of Lost Load“ (VoLL) aus: Diese Kennzahl beschreibt das Niveau an regionaler Wertschöpfung, das pro Kilowattstunde im Jahresdurchschnitt erzeugt wird.

Sie wird mit dem geschätzten Stromverbrauch in einer jeweiligen Stunde multipliziert, wobei „sektorspezifische Verbrauchsprofile“ einbezogen werden. Auch die Kosten auf Haushaltsebene wurden über Werte zur Erwerbstätigkeit und Arbeitszeit geschätzt.

Das Ergebnis zeigt, dass insbesondere in Kreisen mit hoher Bevölkerungszahl die Kosten eines Stromausfalls schnell über zehn Millionen Euro pro Stunde betragen können.

Spitzenreiter in der Tabelle ist Berlin: Hier würde ein einstündiger Blackout zur Mittagszeit Kosten von 22,74 Millionen Euro verursachen. Käme der Stromausfall morgens um sechs Uhr, lägen die Kosten in Berlin allerdings nur bei zehn Millionen Euro, vor allem weil die Produktionsausfälle vor dem allgemeinen Arbeitszeitbeginn entsprechend geringer wären.

Kosten je nach Uhrzeit unterschiedlich

In einer Pro-Kopf-Betrachtung haben nach Berechnungen des HWWI vor allem Industriezentren das höchste finanzielle Risiko bei einem Blackout. Wenn etwa im bayerischen Coburg oder Schweinfurt für eine Stunde der Strom wegbliebe, würde das pro Kopf der Bevölkerung mit Kosten von über 13 Euro zu Buche schlagen: Ein Spitzenwert in der Tabelle, der auf einem Niveau mit Düsseldorf oder Frankfurt am Main liegt.

Für die „Welt“ hat das HWWI zudem errechnet, wie hoch die Kosten eines einstündigen, flächendeckenden Stromausfalls in ganz Deutschland wären. Die Wissenschaftler kommen auf einen Wert von 274 Millionen Euro, wenn der Blackout sich morgens um 6.00 Uhr ereignen würde.

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Käme er zur Mittagszeit, lägen die Kosten eines einstündigen Blackouts bei 592,7 Millionen Euro. Dass in ganz Deutschland aufgrund unglücklicher Umstände im Netzbetrieb gleichzeitig die Lichter ausgehen, ist extrem unwahrscheinlich.

Kein hypothetisches Zahlenspiel

Ganz auszuschließen ist die Gefahr jedoch nicht: Als der Netzbetreiber E.on im Jahre 2006 etwa eine wichtige Stromleitung über die Ems wegen einer Schiffspassage abklemmte, brach die Stromversorgung nicht nur in großen Teilen Deutschlands zusammen: Auch Teile von Frankreich, Belgien, Italien, Österreich, Spanien und selbst Marokko waren bis zu zwei Stunden ohne Stromversorgung.

Die Hamburger Wissenschaftler wollen ihre Berechnungen deshalb auch nicht als hypothetisches Zahlenspiel verstanden wissen: „Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse sehr anschaulich, welche Summen bei unzureichender Netzsicherheit auf dem Spiel stehen“, schreiben die Experten den Gestaltern der deutschen Energiewende ins Stammbuch.

Die Daten könnten auch dazu dienen, Kosten-Nutzen-Analysen bei Projekten des Stromnetzausbaus zu unterfüttern.

Bedarf an Reservekraftwerken wächst rasch

Die Bundesnetzagentur hält die Stromversorgung im kommenden Winter für sicher. „Ich bin zuversichtlich, dass wir nicht im Dunkeln sitzen müssen“, sagte der Präsident der Behörde, Jochen Homann, jüngst der „FAZ“: „Der Winter kann kommen.“

Weil wegen des Atomausstiegs in Süddeutschland Kraftwerke fehlen, hatte die Behörde den deutschen Netzbetreibern vorgeschrieben, für diesen Winter Reservekraftwerke mit 2540 Megawatt im In- und Ausland aufzutreiben und unter Vertrag zu nehmen.

Bis dato stehen davon zwar erst rund 2000 Megawatt zur Verfügung: so viel, wie umgerechnet zwei Großkraftwerke leisten.

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Aber in Kreisen der Netzbetreiber gibt man sich zuversichtlich, auch noch die fehlenden 20 Prozent der „Winterreserve“ bis Anfang November irgendwo anmieten zu können. Die Reserve ist nötig, weil der Stromverbrauch im Winter besonders hoch ist, die Importmöglichkeiten eingeschränkt sind und zugleich die Fotovoltaik als Stromlieferant fast vollständig wegfällt.

Fünf Großkraftwerke reanimieren

Dass es schwieriger wird, das deutsche Stromnetz bei immer größeren Anteilen schwankender Wind- und Solarkraft stabil zu halten, zeigen auch Berechnungen der Bundesnetzagentur. Die Behörde schätzt, dass sich der Bedarf an Reservekraftwerken im übernächsten Winter 2015/2016 noch einmal verdoppeln wird, auf dann 4800 Megawatt.

Um die vor allem in Süddeutschland drohende Gefahr von Stromknappheit zu beherrschen, müssen also umgerechnet fünf stillgelegte Großkraftwerke in Deutschland reanimiert werden – oder entsprechende Kapazitäten im Ausland angemietet werden. Die Zusatzkosten für diese „Winterreserve“ werden auf die Stromrechnungen der Verbraucher abgewälzt.

Als Grund für den zunehmenden Bedarf an Reservekraftwerken nennt Behördenpräsident Homann den schleppenden Netzausbau.

Insbesondere die Fertigstellung der „Thüringer Strombrücke“, die Windstrom und Braunkohlestrom aus den neuen Bundesländern nach Bayern transportieren soll, verzögert sich offenbar. Damit droht in Süddeutschland ein Versorgungsengpass, weil Ende 2015 laut Atomgesetz mit dem Reaktor Grafenrheinfeld eines der letzten bayerischen Kernkraftwerke abgeschaltet werden muss.

28 Kraftwerke zur Abschaltung angemeldet

Eine behördlich organisierte Kraftwerksreserve wird auch aus einem anderen Grund immer wichtiger: Immer mehr private Kraftwerksbetreiber wollen ihre fossil befeuerten, gut steuerbaren Anlagen stilllegen, weil sich der Betrieb gegen den Einspeisevorrang von subventioniertem Ökostrom nicht mehr rechnet.

Laut Bundesnetzagentur liegen derzeit Stilllegungsanträge für 28 Kraftwerksblöcke mit einer Leistung von 7000 Megawatt vor, davon acht Blöcke mit knapp 2000 Megawatt in Süddeutschland.

Um die Blackout-Gefahr in Deutschland zu minimieren, hatte die Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr angeordnet, dass Kraftwerksstilllegungen von den Betreibern ein Jahr im Voraus anzumelden sind. Dabei kann die Bundesnetzagentur den Weiterbetrieb von „systemrelevanten“ Kraftwerken anordnen, die zur Sicherung des Stromnetzes unverzichtbar sind.

Nach Angaben der Bundesnetzagentur werden vorläufig sieben Anlagen in Süddeutschland als systemrelevant eingeschätzt, die zur Abschaltung angemeldet wurden. Dabei gehe es um eine Leistung von 2000 Megawatt.

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