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SPIEGEL ONLINE

Trauer um Chávez in Venezuela "Ich habe ihn geliebt wie einen Vater"

Venezuela nimmt Abschied von Hugo Chávez. Millionen Anhänger drängen sich am Sarg des verstorbenen Linksnationalisten, auch Staatschefs wie Irans Ahmadinedschad und der Weißrusse Lukaschenko kamen. Schon kurz nach seinem Tod wird Chávez zum Mythos.

Die Welt nimmt Abschied von Hugo Chávez. Delegationen aus mehr als 50 Staaten haben am Freitag dem verstorbenen venezolanischen Präsidenten die letzte Ehre erwiesen. Zum Staatsbegräbnis in der Militärakademie Fuerte Tiuna in Caracas waren die Staatschefs aus Lateinamerika nahezu geschlossen angereist. Vor den Toren der Akademie harrten mehrere tausend Menschen trotz Temperaturen von rund 30 Grad aus, um sich von ihrem verstorbenen Idol zu verabschieden. Sie konnten auf Großleinwänden die Trauerfeier in der Militärakademie verfolgen. Die Anhänger warteten zum Teil seit der Nacht vor der Akademie.

Der Linksnationalist Chávez war am Dienstag im Alter von 58 Jahren einem Krebsleiden erlegen. Im Anschluss an die Trauerfeiern soll Vizepräsident Nicolás Maduro als Übergangspräsident vereidigt werden.

Die Trauerfeier begann mit einer Stunde Verspätung um 12 Uhr Ortszeit mit der Nationalhymne. Der Sarg mit dem Leichnam von Chávez war bedeckt mit der venezolanischen Flagge. In einer bewegten Rede würdigte Maduro das Werk von Hugo Chávez, den er als "Vater" und "Führer" bezeichnete. "Wir durchleben in diesem Moment den tragischsten Moment des 21. Jahrhunderts", sagte Maduro mit brechender Stimme. "Im größten Schmerz sind wir hier vereint, Comandante".

Der amtierende Staatschef nutzte die Gelegenheit auch dazu, gegen die Gegner von Chávez auszuteilen. "Nie in 200 Jahren ist so sehr über einen Menschen gelogen worden". Immer wieder hörte man von draußen Rufe: "Chávez vive, la lucha sigue" - "Chávez lebt, der Kampf geht weiter."

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Abschied von Hugo Chavez: Trauer am gläsernen Sarg

Foto: LUIS ACOSTA/ AFP

Auch die Präsidenten und Verbündeten von Chávez, Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad und Alexander Lukaschenko aus Weißrussland, waren nach Venezuela gekommen. Die USA sandten lediglich zwei demokratische Kongress-Abgeordnete. Chávez hatte in den 14 Jahren seiner Präsidentschaft einen scharfen antiamerikanischen Diskurs gepflegt und die USA zum Erzfeind erklärt. Dennoch war US-Schauspieler Sean Penn nach Venezuela gekommen, um an der Trauerfeier teilzunehmen.

Zwei Millionen Menschen am Sarg

Der Leichnam des venezolanischen Präsidenten war am Dienstagabend in der Militärakademie aufgebahrt worden. Seither sind mehr als zwei Millionen Menschen an seinem Sarg vorbeidefiliert. In kilometerlangen Schlangen warteten die Menschen Tag und Nacht, um einen letzten Blick auf Chávez zu werfen. Sein Leichnam wurde in einem Sarg mit gläsernem Deckel aufgebahrt. Der verstorbene Präsident trägt eine Militäruniform und die rote Mütze, mit der er beim gescheiterten Putsch 1992 bekannt wurde. Die Trauernden hatten sich mit Hemden mit dem Konterfei ihres Idols ausstaffiert, einige hatten Bilder oder alte Wahlkampfplakate von Chávez mitgebracht. Einige Frauen trugen Ohrringe mit seinem Foto. Fast jeder, der am Sarg vorbeidefilierte, brach in Tränen aus. María Elena Porras, eine junge Frau aus Caracas, sagte anschließend: "Ein furchtbares Bild. Ich kann es nicht glauben, ich habe ihn geliebt wie einen Vater."

Chávez wird nach der Trauerfeier mindestens sieben Tage in der Kapelle der Militärakademie Fuerte Tiuna aufgebahrt bleiben und nicht wie ursprünglich geplant nur bis Freitag. Dies entschied die Regierung angesichts der vielen Menschen, die dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen wollen.

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Von Lenin bis Kim Il Sung: Leichname für die Ewigkeit

Foto: SERGEI KARPUKHIN/ ASSOCIATED PRESS

Nach dem Willen der neuen venezolanischen Führung soll Chávez für die Ewigkeit erhalten bleiben und dafür einbalsamiert werden. Er werde in einem gläsernen Sarg im "Cuartel de la Montaña" liegen, sagte Maduro. "Wir haben das entschieden, damit unser 'Comandante Presidente' auf ewig für das Volk zugänglich ist." Das "Cuartel de la Montaña" ist die Kaserne in der Hauptstadt Caracas, von der aus Chávez 1994 seinen Putschversuch gegen Präsident Carlos Andrés Pérez orchestriert hatte. Chávez wollte die Kaserne zu Lebzeiten in ein Revolutionsmuseum verwandeln.

Mit der Entscheidung, Chávez einzubalsamieren, stellt die Übergangsregierung den Verstorbenen in eine Reihe mit historischen kommunistischen Führern, die ebenfalls präpariert und für die Nachwelt ausgestellt wurden. "So wie Ho Tschi-minh. So wie Lenin. So wie Mao Zedong", sagte Maduro. Damit treibt die venezolanische Führung den Personenkult um den verstorbenen Linksnationalisten auf die Spitze.

Wirtschaftskrise, marode Straßen, Lebensmittelknappheit

Laut Verfassung müssen nun binnen 30 Tagen Neuwahlen abgehalten werden. Bis zu den Neuwahlen übernimmt laut Verfassung der Parlamentspräsident die Amtsgeschäfte. Dementsprechend wäre jetzt Diosdado Cabello, der amtierende Parlamentspräsident, an der Reihe. Aber entgegen der Verfassung einigte sich die venezolanische Führung darauf, dass Vize-Präsident Maduro bis zu den Wahlen die Amtsgeschäfte führen soll. Maduro sollte noch am Freitagabend (Ortszeit) im Anschluss an die Trauerfeier für Chávez bei einer Sondersitzung des Parlaments als Übergangsstaatschef vereidigt werden. Der verstorbene Präsident selbst hatte Maduro vor seiner letzten Operation Mitte Dezember zu seinem Nachfolger auserkoren.

Bei Neuwahlen gilt Maduro als Favorit. Analysten zufolge wird er auf einer Woge der Solidarität ins Amt getragen werden - unabhängig davon, welcher Oppositionskandidat antritt. Der 50 Jahre alte Maduro ist der engste und älteste Vertraute des verstorbenen Staatschefs.

Dem neuen Präsidenten stehen schwere Aufgaben bevor. Venezuela durchlebt eine tiefe Wirtschaftskrise. Außer Öl produziert das südamerikanische Land kaum noch etwas. Aber das staatliche Ölunternehmen PDVSA ist hoch verschuldet. Basisprodukte wie Speiseöl, Mehl und Milch sind knapp. Erst vor kurzem wertete die Regierung die Währung Bolívar um 32 Prozent ab.

Aber es knirscht noch an anderen Stellen. Der Staatsapparat ist ineffektiv, trotz oder gerade wegen seiner Ausdehnung von 1,3 auf 2,4 Millionen Angestellte während der 14 Chávez-Jahre. Straßen sind löchrig, Brücken fallen zusammen. Chávez verstaatlichte Betriebe in Schlüsselsektoren wie der Bauwirtschaft, der Stahlproduktion und der Landwirtschaft. Aber die Staatsökonomie produzierte vor allem Mangel. Zwei Drittel der Nahrungsmittel müssen importiert werden. Selbst der einzig relevante Sektor der Wirtschaft, die Erdölförderung, stagniert. Mittlerweile muss Venezuela Sprit aus den USA einführen, da nicht mehr genügend Raffineriekapazität vorhanden ist.