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Antrag bei der Uno Russland will den Nordpol

Russland will sich die Rechte für 1,2 Millionen Quadratkilometer Meeresboden in der Arktis sichern - der nördlichste Punkt der Erde soll auch dazu gehören. Kanada und Dänemark beanspruchen den Pol allerdings auch für sich. Was nun?
Eisbär unweit des Nordpols (im April 2015): 1.191.347 Quadratkilometer Meeresboden sollen russisch werden

Eisbär unweit des Nordpols (im April 2015): 1.191.347 Quadratkilometer Meeresboden sollen russisch werden

Foto: AFP/ NTB Scanpix

Jeder kennt diesen einen Pensionär aus Hannover, der ganz besonders gut Freund mit Russlands Führung ist. Ganz anders als mit dem betreffenden Altkanzler Gerhard Schröder verhalten sich die Dinge allerdings mit Karl Hinz. Er ist auch Rentner, lebt ebenfalls in der niedersächsischen Landeshauptstadt - aber er hat die mächtigen Männer im Kreml auf Jahre so richtig verärgert.

Das war Anfang des Jahrtausends, der Geophysiker Hinz war damals Mitglied einer wenig bekannten, aber durchaus entscheidenden Expertengruppe der Vereinten Nationen. Die sogenannte Festlandsockel-Grenzkommission entscheidet darüber, ob Staaten sich riesige Flächen in den Weltmeeren aneignen können, die bisher zum gemeinsamen Erbe der Menschheit gehörten.

Mit einem Antrag bei dieser Kommission wollte sich Russland ein riesiges Gebiet in der Arktis sichern. Doch Hinz wusste das zu verhindern: "Ich gehörte zu den wenigen, die das abgeschossen haben", erinnerte er sich später. Schuld waren nicht politische, sondern wissenschaftliche Gründe.

Die Sache war nämlich so: Um seinen Antrag zu belegen, musste Russland Messdaten zum wenig erforschten Meeresboden der Arktis abliefern. Das klappte soweit auch - nur wollten die Russen nichts zur Quelle ihrer Daten sagen, wohl um die Geheimnisse ihrer Atom-U-Boot-Flotte zu bewahren.

Hinz wollte da nicht mitspielen, zumal ihn auch die Qualität der Daten nicht überzeugte. Die Kommission lehnte den Antrag auf sein Betreiben hin vorläufig ab - und schickte die Russen zum Nacharbeiten. Das haben sie bis jetzt mit zahlreichen Expeditionen getan. Anfang dieser Woche haben sie ihren neuen Antrag bei der Uno abgegeben. Widerworte aus Deutschland müssen sie nicht mehr fürchten: Karl Hinz sitzt schon längst nicht mehr in der Kommission, sein von der Bundesregierung nominierter Nachfolger schaffte den Sprung in das Gremium nicht.

Moskaus neuer Antrag umfasst nun genau 1.191.347 Quadratkilometer. Für diesen Bereich will Russland die exklusiven Rechte für Ressourcen am Meeresboden und darunter. Das ist eine Fläche rund drei Mal so groß wie Deutschland.

In einer 36-seitigen Zusammenfassung , die kompletten Dokumente sind üblicherweise nicht zugänglich, ist nachzulesen, welchen Aufwand die Russen diesmal betrieben haben: Forschungsschiffe haben entlang von Tausende Kilometer langen Linien den Untergrund des Arktischen Ozeans vermessen. Wie eine Art Schachbrett sieht die Landkarte aus, auf der die seismischen Erkundungsstrecken eingezeichnet sind.

Die Festlandsockel-Grenzkommission wird im kommenden Frühjahr anfangen, sich mit dem russischen Antrag zu befassen. Eine Entscheidung könnte sich über Jahre hinziehen.

"Normaler Teil des Prozesses"

Moskau will vor allem eines klar machen: Zwei unterseeische Gebirgszüge, der Lomonossow- und der Mendelejew-Rücken sind gewissermaßen eine Fortsetzung des russischen Festlands unter dem Meer. Das ist die Voraussetzung dafür, einen Antrag bei der Uno stellen zu dürfen. Nicht allen Experten gefällt, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt. So beklagt der Völkerrechtler Uwe Jenisch von der Universität Kiel eine "Überdehnung des Seerechts" durch die Ansprüche.

Ein weiteres Problem an der Sache: Die russischen Forderungen überschneiden sich am Nordpol mit denen von Dänemark, das die außenpolitischen Interessen von Grönland vertritt, sowie mit denen von Kanada. Denn auch diese Staaten argumentieren mit wissenschaftlichen Gutachten, wonach die Gegend um den Pol geologisch mit ihrem Staatsgebiet verbunden ist.

Die Dänen haben ihren Antrag auf den Pol im vergangenen Jahr schon bei der Uno abgegeben. Kanada muss sich noch entscheiden, welche Gebiete es genau einfordern will. Premierminister Stephen Harper legt allerdings großen Wert darauf, dass der Nordpol auf jeden Fall dazugehört.

Ein Problem sehen die Staaten in den überlappenden Forderungen zunächst nicht. Es sei "ein normaler Teil des Prozesses", dass sich diese auch mal überschnitten, heißt aus dem kanadischen Außenministerium in Ottawa auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Man kenne bisher den genauen Umfang dieser Überschneidungen noch nicht. Auch aus dem dänischen Außenministerium kommen beruhigende Töne: Man stehe am Beginn eines langen Verhandlungsprozesses, es sei vollkommen normal, dass es Überlappungen gebe.

Die Uno-Kommission hat kein Mandat, sich um diese Problemfälle zu kümmern, das müssen die Staaten unter sich klären. Das kann Jahrzehnte dauern, ist aber durchaus möglich. Das zeigt ein Deal aus dem Jahr 2010 zwischen Russland und Norwegen in der Barentssee.

Dieser Vertrag ist für die Rohstoffsuche in der Arktis übrigens deutlich interessanter als der Nordpol oder der Großteil der Gebiete, die Russland nun beantragt hat. Dort ist das Wasser zum Teil Kilometer tief, viel spannender für die Öl- und Gasförderung sind die flachen Gewässer vor den Küsten der Arktisstaaten - doch die gehören diesen sowieso schon.

Umweltschützer sind trotzdem wenig begeistert von dem neuen russischen Antrag. Länder wie Russland oder Norwegen wollten die Arktis in "das nächste Saudi-Arabien verwandeln", klagt Wladimir Tschuprow von Greenpeace. Man müsse befürchten, dass der hohe Norden mit Ölbohrlöchern und Fischfangflotten zugepflastert werde. "Wir haben die für eine Generation einmalige Chance, die Dinge anders zu machen", wirbt der russische Öko-Aktivist. "Millionen von Menschen fordern ein geschütztes Gebiet in der unbewohnten Gegend um den Nordpol, wo die Natur wild bleiben kann", so Tschuprow.

So eine Entscheidung, so argumentiert er, würde die souveränen Rechte der betreffenden Staaten nicht beeinträchtigen, wäre aber ein einmaliger Akt der Kooperation zwischen den politischen Führern der Region. Immerhin haben sich die Arktis-Anrainer vor rund drei Wochen auf eine Sache geeinigt: Sie wollen in einem 2,8-Millionen-Quadratkilometer-Gebiet im Nordpolar keinen kommerziellen Fischfang betreiben. Vorerst jedenfalls.