Kommunaler Finanzausgleich: „Juristisches Debakel“

Die Anfang 2011 in Kraft getretene Kürzung im Kommunalen Finanzausgleich ist wegen eines Verfahrensfehlers verfassungswidrig. Der Hessische Staatsgerichtshof gab am Dienstag einer vom Städte- und Gemeindebund unterstützten Klage der Stadt Alsfeld statt. Nach dem Urteil der elf Verfassungsrichter hätte die Landesregierung vor der Reduzierung der Zuschüsse an Städte, Gemeinden und Kreise um 340 Millionen Euro den tatsächlichen Finanzbedarf der Kommunen ermitteln müssen, um eine nachvollziehbare Begründung für ihr Vorgehen zu haben. Das sei jedoch nicht geschehen und müsse deshalb spätestens für das Jahr 2016 nachgeholt werden. „Ein Mindestmaß“ an Zuwendungen Bis dahin könne die Mittelkürzung in Kraft bleiben. Eine rückwirkende Nichtigerklärung komme aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in Frage, und eine sofortige Aussetzung wäre unvereinbar mit einer geordneten Finanzpolitik, entschied das Gericht in Wiesbaden. Es sei zumindest nicht auszuschließen, dass eine Vielzahl hessischer Kommunen weniger Mittel erhielten als ihnen qua Verfassung zustünden, heißt es im Urteil des Staatsgerichtshofs. Städte, Gemeinden und Kreise benötigten nicht nur ausreichend Geld für die ihnen auferlegten Pflichtaufgaben, sondern darüber hinaus auch „ein Mindestmaß“ an Zuwendungen für freiwillige Angebote, wie Schwimmbäder, Bibliotheken, Sportplätze oder Kultur. Die hochverschuldete, 16.000 Einwohner zählende Stadt Alsfeld fühlt sich von der CDU/FDP-Landesregierung nicht ausreichend unterstützt, hält das für rechtswidrig und hatte deshalb geklagt. „Juristisches Debakel“ Der Alsfelder Bürgermeister Ralf Becker (SPD) wies gestern darauf hin, dass die Verfassung das Land verpflichte, den Städten und Gemeinden das zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötige Geld zur Verfügung zu stellen. Alsfeld habe aber schon bis an die Grenzen der Belastbarkeit gespart. „Wir können uns nicht totsparen“, sagte Becker. Nach seinen Angaben fehlen Alsfeld durch die Änderungen im Finanzausgleich jedes Jahr rund 400.000 Euro zusätzlich. Das hessische Finanzministerium hatte die Verringerung der Zuwendungen hingegen verteidigt und argumentiert, Alsfeld hätte seine Ausgaben noch stärker reduzieren oder Gebühren und Steuern erhöhen können. Der SPD-Landesvorsitzende und Fraktionschef im Landtag, Thorsten Schäfer-Gümbel, sprach von einem „juristischen Debakel“ für die CDU/FDP-Landesregierung. Das Gericht habe die „Selbstbedienungsmentalität“ und die „Finanzpolitik nach Gutsherrenart“ der schwarz-gelben Koalition beendet. Die Regierung stehe vor einem „selbstgeschaffenen Scherbenhaufen“, dessen Beseitigung auch einer möglichen rot-grünen Regierung unter seiner Führung schwer fallen werde. Aus Sicht von Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir haben CDU und FDP vom Staatsgerichtshof die „Quittung für ihre Arroganz“ erhalten. Die Koalition habe nicht die Kraft für die nötige grundlegende Reform des Kommunalen Finanzausgleichs gehabt und sich deshalb in pauschale, nicht nachzuvollziehende Kürzungen geflüchtet. Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) nannte das Urteil eine „interessante Entscheidung“. Jetzt gehe es darum, eine Berechnungsgrundlage für den kommunalen Finanzbedarf zu erstellen, die es in den vergangenen 60 Jahren nie gegeben habe. Ob am Ende das Land oder die Kommunen die Gewinner sein würden, lasse sich erst nach der vom Gericht geforderten Bedarfsanalyse sagen. Die Richter gaben zu, dass eine solche Einschätzung „schwierig und komplex“ sei, aber nicht unmöglich. Der Geschäftsführer des hessischen Städte- und Gemeindebundes, Karl-Christian Schelzke, sagte, er sei „relativ sicher“, dass viele Städte nach der Berechnung mehr Geld als bisher erhalten würden, denn die freiwilligen Leistungen seien schon „fast gegen null gefahren“.