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Reformen in der Ukraine "Nach meinen Informationen wurden Parlamentssitze gekauft"

Zuviel Rücksicht auf korrupte Seilschaften: Der Investmentbanker Tomas Fiala, Chef der Europäischen Wirtschaftsvereinigung in der Ukraine, rechnet mit der angeblichen Reformregierung in Kiew ab.
Tomas Fiala: Kritischer Beobachter seiner Wahlheimat

Tomas Fiala: Kritischer Beobachter seiner Wahlheimat

Foto: imago

Was passiert in der Ukraine? Setzt die Regierung nun endlich mutig Reformen um? Oder wird der Wandel verschleppt, wieder einmal, von den alten Eliten, den Oligarchen, korrupten Politikern? Die Antwort auf diese Fragen ist kompliziert. Sie lautet: Sowohl als auch.

Viele der korrupten Seilschaften sind weiter intakt. Der Kampf gegen Korruption in den Behörden geht schleppend voran. An anderen Stellen aber gibt es Fortschritte. Der chronisch korrupte Gasmarkt ist reformiert, in den Ministerien für Wirtschaft, Finanzen und bei der Zentralbank haben Profis das Ruder übernommen, praktisch zum ersten Mal, seit der Unabhängigkeit des Landes. Der Umbau der Polizei hat begonnen. Das Parlament hat ein neues Gesetz zur staatlichen Parteienfinanzierung in erster Lesung verabschiedet. Es wird den Einfluss der Oligarchen zurückdrängen, die sich bislang Parteien und Politiker kaufen konnten.

Tomas Fiala, 41, kennt sich aus hinter den Kulissen des politischen Kiew. Er ist Gründer der Investmentbank Dragon Capital in Kiew und Chef der European Business Association in der Ukraine. Er wurde im tschechischen Brno geboren und lebt seit den Neunzigerjahren in Kiew. Das ukrainische Magazin "Fokus" hat sein Vermögen auf 180 Millionen Dollar taxiert. Fiala ist reich, aber kein Oligarch: Zu Kiews politischem Intrigenspiel hält er Distanz. Während der Revolution demonstrierte er auf dem Maidan. Die aktuelle Regierung hält Fiala einerseits für die beste, die das Land je hatte. Andererseits sei das noch immer nicht gut genug. Ein Gespräch über die gemischte Reformbilanz der Ukraine.

SPIEGEL ONLINE: Warum haben viele Top-Manager und Unternehmer die Revolution unterstützt?

Fiala: Ich kann da nur für mich sprechen. Die Ukraine stand davor, einen ähnlichen Weg einzuschlagen wie das autoritäre und isolierte Weißrussland. Ich bin Tscheche und im Sozialismus groß geworden. Dahin will ich nie wieder zurück. Ich will sagen können, was ich denke.

SPIEGEL ONLINE: Anfang des Jahres haben Sie die Führung um Premier Arsenij Jazenjuk und Präsident Poroschenko kritisiert. Sie sagten, dass "der Fisch vom Kopf stinkt" .

Fiala: Der Satz bezog sich auf die Korruption in der politischen Elite. Es ist seitdem etwas besser geworden. Im Parlament arbeitet eine Gruppe neuer, sauberer Politiker. Es sind vielleicht 60 Abgeordnete. Sie sind nicht in der Mehrheit, agieren aber effektiv. Sie drängen Lobbyisten zurück. Rund ein Drittel der Ministerien erweist sich als exzellent besetzt, vor allem die Bereiche Wirtschaft, Finanzen und Infrastruktur.

SPIEGEL ONLINE: Viele Bürger sind dennoch unzufrieden mit dem Stand der Korruptionsbekämpfung.

Fiala: Reformen anderer Länder zeigen, dass es ein klares Rezept für Erfolg gibt: Behörden müssen drastisch verkleinert und 90 Prozent der Beamten gefeuert werden. Die neuen Staatsdiener müssen dann so ordentlich bezahlt werden, dass sie nicht auf Bestechungsgelder angewiesen sind. Leider hat die Ukraine damit zu lange gewartet. Es hat mehr als ein Jahr gedauert, das neue Antikorruptionsbüro zu gründen. Stattdessen hätte man die Generalstaatsanwaltschaft reformieren müssen.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie konkret?

Fiala: Die Behörde ist 19.000 Mann stark. Statt Korruption zu bekämpfen, ist sie selbst darin verstrickt. In den Neunzigerjahren waren Mafiabanden in der Ukraine stark. Sie haben an Einfluss verloren, weil ihr Geschäft von Seilschaften im Innenministerium und der Staatsanwaltschaft übernommen wurde.

SPIEGEL ONLINE: Warum ist der Bruch mit dem alten System auch nach den Maidan-Protesten ausgeblieben?

Fiala: Nehmen Sie den Premierminister Arsenij Jazenjuk. Er ist selbst ein Produkt des alten Systems. Er vermittelt nicht den Eindruck, als würde er auf Veränderung brennen.

SPIEGEL ONLINE: Woran machen Sie das fest?

Fiala: Wo Behörden um die Hälfte gekürzt werden müssten, glaubt er, zehn Prozent reichen. Er versteht nicht, warum der Staatsdienst radikal umgebaut werden muss. Jazenjuk hat selbst immer im öffentlichen Bereich gearbeitet.

SPIEGEL ONLINE: Waren Sie enttäuscht, welche Kandidaten unter Jazenjuk und Poroschenko ins Parlament einzogen?

Fiala: Auf den vorderen Plätzen haben sie gute Kandidaten aufgestellt: Kriegshelden und Aktivisten mit gutem Leumund. Weiter hinten auf den Wahllisten folgten aber viele Geschäftsleute. Nach meinen Informationen wurden Parlamentssitze gekauft, für Preise zwischen drei und zehn Millionen Dollar pro Mandat. Klar, das hat es in der Ukraine immer gegeben. Ich hätte mir gewünscht, dass es nach dem Maidan endet.

SPIEGEL ONLINE: Wer kauft sich Mandate?

Fiala: Geschäftsleute, die im Parlament ihre Interessen lobbyieren wollen. Für sie ist das ein Investment.

SPIEGEL ONLINE: Warum haben sich Premier und Präsident darauf eingelassen?

Fiala: Um ihren Wahlkampf zu finanzieren. Jazenjuk fehlte das eigene Geld. Poroschenko hält sein Vermögen gern zusammen. Sie haben sich damit selbst zu Geiseln des alten Systems gemacht. Die Reform-Verfechter haben Schwierigkeiten: Überall treffen sie jetzt auf Leute, die ihnen sagen: Eure Vorhaben sind prima, aber reformiert doch bitte erstmal woanders, nicht bei mir.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es Beweise für diese Behauptungen?

Fiala: Das sind in der Ukraine wohlbekannte Fakten, die in privaten Diskussionen von beiden Seiten eingeräumt werden, von den Käufern genauso wie von den Parteiführern. Wäre die Generalstaatsanwaltschaft wirklich unabhängig von politischem Einfluss, dann wäre es nicht schwer, diese Vorwürfe zu untersuchen.

SPIEGEL ONLINE: Warum sollte der Westen der Ukraine trotz Korruption weiter helfen?

Fiala: Weil das ein gutes Investment ist. Die Bürger hier müssen nicht mehr von der Notwendigkeit des Wandels überzeugt werden. Sie sind bereit, zu leiden. Die Gastarife wurden um ein Mehrfaches erhöht, ohne dass es nennenswerte Proteste gab. Hinzu kommt: Die Ukraine wird auf Jahre abhängig sein von westlichen Krediten. Das gibt dem Ausland Hebel in die Hand. Geld nur nach Erfüllung von Reformvorgaben, das muss die Devise sein.

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