Verhaltensökonomie:Lügen aus aller Welt

Wie ehrlich sind die Bürger unterschiedlicher Staaten? Ein Ökonom versucht diese Frage in Experimenten zu klären. Die Ergebnisse verblüffen: Japaner landeten zum Beispiel mal ganz oben in der Tabelle der Schummler, mal ganz unten.

Von Sebastian Herrmann

Verdrehen manche Nationalitäten stärker die Wahrheit als andere? Fragen wie diese führen tief ins Reich der Vorurteile. Der Ökonom David Hugh-Jones von der University of East Anglia wagt es trotzdem, sie zu stellen. Wie er berichtet, hat er Indizien dafür entdeckt, dass die Bürger verschiedener Staaten zumindest unter manchen Bedingungen stärker zu Unehrlichkeit neigen als andere: In einem Test schummelten Chinesen auf häufigsten, in einem anderen Türken. Was das aber aussagt, darauf weiß auch der Forscher keine Antwort.

An den Versuchen nahmen mehr als 1500 Probanden aus Brasilien, China, Griechenland, Japan, Russland, der Schweiz, Türkei, den USA, Argentinien, Dänemark, Großbritannien, Indien, Portugal, Südafrika und Südkorea teil. Jeder Teilnehmer warf unbeobachtet eine Münze, niemand konnte das Ergebnis kontrollieren. Bei Kopf gab es bis zu fünf US-Dollar, bei Zahl nichts. Es war also leicht zu schummeln, und das Ausmaß der Unehrlichkeit gut zu quantifizieren: Wenn 100 Teilnehmer einer Nationalität je einmal eine Münze werfen, sollten etwa 50 Mal Zahl und 50 Mal Kopf erscheinen. Die Abweichung von dieser Verteilung interpretierte Hugh-Jones als Maß der Unehrlichkeit. 70 Prozent der chinesischen Teilnehmer gaben als Ergebnis Kopf an. Demnach hätten also 20 Prozent der Chinesen mutmaßlich geschummelt. Am ehrlichsten waren die Briten, von denen wohl 3,4 Prozent mogelten.

Bei einem zweiten Test mussten Wissens-Fragen beantwortet werden. Dabei gab es Gelegenheit, die Lösung heimlich im Internet nachzuschlagen. Drei der Fragen waren so schwer, dass sie eigentlich nur sehr wenige hätten beantworten können - woraus Hugh-Jones ein Maß der Unehrlichkeit entwickelte. In diesem Test waren Teilnehmer aus Japan am ehrlichsten, die beim Münzwurf noch an Platz zwei der Schummeltabelle gestanden hatten. Türkische Probanden mogelten hier am häufigsten. Teilnehmer aus Griechenland lagen in beiden Tests jeweils im Mittelfeld. Sie fielen nur durch besonderen Pessimismus auf: Sie schätzten die Ehrlichkeit ihrer Landsleute am schlechtesten ein.

"Die Ergebnisse sind mit größter Vorsicht zu interpretieren", mahnt Hugh-Jones. Dass beim Münzwurf Asiaten besonders unehrlich waren, könne zum Beispiel kulturelle Gründe haben: Glücksspiel gelte dort ohnehin als unehrlich, da lasse man sich wohl auch leichter zum Schummeln hinreißen.

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