Heute ist Wybcke Meiers großer Tag, der wichtigste, seit die 46-Jährige vor rund acht Monaten zur Vorstandsvorsitzenden von TUI Cruises ernannt wurde. An diesem zweiten Freitag im Mai übernimmt die Kreuzfahrttochter des Touristikkonzerns TUI und der US-Kreuzfahrtreederei Royal Caribbean Cruises (RCCL) im finnischen Turku offiziell ihren jüngsten Flottenzuwachs: „Mein Schiff 4“ mit 1253 Kabinen für 2506 Gäste.
„Mein erstes Schiff“, sagt Meier stolz. Zwei Jahre hat die Meyer Turku Werft, der finnische Ableger der Papenburger Meyer Werft, an dem 500 Millionen Euro teuren Dampfer gebaut. Das Horn ertönt, über Lautsprecher gibt der Kapitän durch, dass die Verantwortung für das Schiff jetzt auf ihn und seine rund 1000 Mann starke Crew übergegangen ist.
„Das war mein teuerster Einkauf“, scherzt Meier. Die Anspielung eines Kollegen auf ihre in der Touristikbranche bekannte Vorliebe für exklusive Highheels („Überleg mal, wie viel Paar Schuhe Du dafür bekommen könntest.“) lächelt sie lässig-freundlich-souverän weg.
Studiert hat sie nicht, dafür kennt sie, wovon viele Topmanager wenig Schimmer haben: die Befindlichkeit der eigenen Kundschaft, „der angenehmen, wie der unangenehmen“, deren Wünsche, Träume und Enttäuschungen. „Reisen sind ein hoch emotionales Produkt“, sagt Wybcke Meier. Das sagen zwar alle Touristiker, aber sie sagt den Satz so, dass man ihn ihr abnimmt.
Jeden Monat auf dem Schiff
Kulturreisen mit Bestseller-Autoren an Bord, Genussreisen mit Spitzenköchen und Sushi-Kursen, Sportreisen mit Golftunieren oder Cycle-Camps und die legendären, immer binnen weniger Tage ausgebuchten Full-Metal-Cruises für Heavy-Metal-Fans sind schon heute im Programm der Reederei. Yoga-Fan Meier will „die unaufdringliche Vielfalt“ rund um die Themen Sport, Kunst und Kultur erweitern.
Anregungen holt sie sich, wenn sie – jeweils für ein paar Tage im Monat – auf einem der Schiffe mitfährt, mit Passagieren und Crew-Mitgliedern spricht oder einfach die Ohren offenhält: „Das Produkt kann nur gut für den Kunden sein, wenn es auch gut ist für die Mitarbeiter.“
Das Touristikgeschäft hat sie von der Pike auf gelernt. Auf Helgoland aufgewachsen, will Meier „etwas von der Welt sehen“ und heuert nach der Schulzeit als Reiseleiterin bei Fischer Reisen in Hamburg an, „im Sommer am Ballermann auf Mallorca, im Winter auf Lanzarote.“ Es folgt die Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau.
Wie TUI wachsen will
Bestand: 100
Betten: 87.400
Wachstumsziel: 3 bis 5 neue Hotels pro Jahr
Bestand: 108
Betten: 54.400
Wachstumsziel: bis zu 60 neue Hotels innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre
Bestand: 24
Betten: 13.600
Wachstumsziel: 16 neue Clubanlagen
Bestand: 3
Betten: 6.300
Wachstumsziel: 3 bis 5 neue Schiffe
Quelle: Unternehmensangaben
Was im Geschäft mit den schönsten Wochen des Jahres genauso wichtig ist: In den folgenden Jobs mit Marketing- und Vertriebsverantwortung entwickelt sie ein enges Verhältnis zu den Reisebüros, ohne die im deutschen Touristikmarkt nach wie vor nichts läuft: Mehr als 90 Prozent aller Pauschalreisen werden trotz Internet noch immer dort gebucht, bei Kreuzfahrten sogar noch mehr.
Den Kontakt zu den meist kleinen, den großen Reisekonzernen oft misstrauisch gegenüberstehenden Vermittlern hat Meier außerdem durch ihr Engagement im Deutschen Reiseverband (DRV) gepflegt und vertieft: Bis zum Amtsantritt bei TUI Cruises war sie dort Vorstandsmitglied der Gruppe mittelständischer Reiseveranstalter. Bei den Vertriebspartnern genießt sie seitdem einen Vertrauensvorschuss, der ihr den Job bei der schnell wachsenden TUI-Beteiligung erleichtern dürfte. Damit die Reisebüros wissen, was sie verkaufen sollen, hat Meier vor der offiziellen Jungfernfahrt der „Mein Schiff 4“ im Juni mehrere Kurzkreuzfahrten nur für Expedienten angesetzt.
Wachstum aus der Nische
2000 wechselt sie zum Reiseshopping-Kanal „Via 1 Schöner Reisen“, zwei Jahre später zum Türkei-Reiseveranstalter Öger Tours, wo Meier in die Geschäftsführung aufsteigt und zur Prokuristin ernannt wird – wieder mit Verantwortung für Marketing und Vertrieb. Als Inhaber Vural Öger 2004 als SPD-Abgeordneter ins Europa-Parlament einzieht, übernimmt sie gemeinsam mit Ögers Tochter Nina de facto die Alleinleitung des damaligen Marktführers für Türkei-Reisen.
Während ihrer Zeit bei Öger setzt sie Akzente, mit dem der Veranstalter sein Billig-Image abstreift: Meier erweitert das Angebot für anspruchsvollere Kunden, die vorher nicht zur Zielgruppe zählten, für sie werden kleine, luxuriöse Boutique-Hotels ins Programm aufgenommen. Als Öger sich dazu entschließt, an Thomas Cook zu verkaufen, fädelt seine Prokuristin den Millionen-Deal ein.
Dass Wybcke Meier auch mit Investoren gut kann, beweist sie schließlich als Geschäftsführerin von Windrose Finest Travel: Sie organisiert den Verkauf des Luxus-Reiseveranstalters, der einem Private-Equity-Unternehmen gehört, an die Raiffeisen Touristik Group. Vorher hat sie mit einer breit angelegten Marketing-Kampagne das etwas angestaubte Image des 40 Jahre alten Spezialisten aufpoliert. „Da hat sie Unternehmergeist gezeigt und Freiräume genutzt“, lobt Sebastian Ebel, der im TUI-Konzernvorstand für das Kreuzfahrtgeschäft zuständig ist und ihr den Spitzenjob dort antrug.
Bei Öger hat die TUI-Cruises-Chefin aber noch etwas gelernt: den Umgang mit Alpha-Tieren. „Vieles musste sehr mühsam und umständlich vorbereitet werden, um keinen vor den Kopf zu stoßen – den Kollegen musste die Chance gelassen werden, ihr Gesicht zu wahren“, erzählt sie.
Blondes kurzes Haar mit kleinen Strähnchen, dezent geschminkt, sandfarbene Jeans und schwarzes Leinensakko: Das amerikanische „Smart-Casual“ beschreibt Meiers Outfit am besten. Ob im Interview mit dem finnischen Fernsehen, im Gespräch mit Bankern oder beim Smalltalk mit einem Kellner in einer der Schiffsrestaurants: Meier hört geduldig zu und vermittelt ihrem Gegenüber so das Gefühl, als gäbe es gerade nichts wichtigeres als ihn.
Das Geschäft wird härter
Nicht nur gemessen daran ist sie der Gegenentwurf zu ihrem Vorgänger Richard Vogel. Je nach Laune ließ der gern mal den Macho raushängen, dem es schnell langweilig wird. Der Miterfinder der Aida-Clubschiff-Idee war der Richtige für die Startphase der erst 2008 gegründeten TUI-Kreuzfahrtsparte. Sein All-Inklusive-Konzept für „Mein Schiff“ mit gutem Essen und viel Service, aber ohne Smoking und Abendkleid ist so erfolgreich, dass die rund 6500 Betten auf den bisher drei Schiffen immer komplett ausgebucht sind – bei einem Durchschnittspreis von fast 180 Euro pro Nacht und Person, doppelt so viel wie bei normalen Urlaubsreisen an Land.
Meier soll dafür sorgen, dass das so bleibt. Denn das Geschäft wird härter, seitdem Seereisen massenkompatibel geworden sind. Deutschland ist mittlerweile mit knapp zwei Millionen Hochseepassagieren im Jahr der zweitgrößte Kreuzfahrtmarkt der Welt, gilt aber immer noch als Wachstumsmarkt. Aber die Kapazität wächst schnell: Marktführer Aida baut gerade zwei neue Megaschiffe für jeweils 2500 Passagiere, zwei weitere, noch größere Schiffe sind bestellt. Wettbewerber wie die italienische Costa Crociere oder die schweizerisch-italienische MSC zählen Deutschland zu ihren Hauptmärkten, und auch die US-Reedereien buhlen inzwischen um die Gunst deutscher Kunden. „Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten und in Zukunft vor allem solche Kunden gewinnen, die noch nie eine Seereise gemacht haben“, sagt Meier.
Die Urlaubs-Trends 2015
Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK hat die Bedeutung von Katalogen leicht abgenommen. Demnach nutzen nur noch gut ein Drittel der Urlauber Reisekataloge, um sich über Angebote zu informieren. Das Internet ist für 45 Prozent das Urlaubs-Recherche-Tool. Glaubt man einer Analyse von Google und TUI, gilt das sogar für satte 80 Prozent aller Reisebuchungen.
Ganz persönlich auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten - so wollen immer mehr Deutsche urlauben, so das Ergebnis der GfK-Umfrage. Demnach sind Zusatzleistungen wie der Privattransfer zum Hotel, individuelle Ausflugserlebnisse oder die Wahl zwischen verschiedenen Flugklassen für Reisende immer wichtiger und werden häufiger nachgefragt.
Auch wenn Individualität von vielen geschätzt wird, so machen es setzen die Deutschen trotzdem gerne auf eines: die All-Inclusive-Reisen. Laut GfK wuchs diese Urlaubsform weiter leicht - damit wird ein Trend der vergangenen Jahre fortgesetzt. Mittlerweile seien 24 Prozent aller Flug- und Autoreisen, die über ein Reisebüro oder einen Reiseveranstalter gebucht wurden, All-Inclusive-Reisen, so der Bericht.
Familien sind mehr unterwegs - ob mit dem Auto oder dem Flugzeug. Laut GfK ist der Familienanteil bei beiden Reisetypen, die über ein Reisebüro oder einen Reiseveranstalter gebucht wurde, überproportional gestiegen. Allein im Vergleich zur vergangenen Saison 2013/14 stieg die Zahl der Buchungen um 20 Prozent an.
Reisen im Luxussegment werden ebenfalls höher nachgefragt, so die GfK. Demnach werden besonders hohe Zuwächse bei Haushalten mit höherem Einkommen, sprich ein Haushaltsnettoeinkommen größer als 4000 Euro, mehr nachgefragt.
Meiers Job ist es, das Wachstum aus der Nische zu managen, in der TUI Cruises sich bisher kommod eingerichtet hatte: Mit der neuen „Mein Schiff 4“ kommen 2500 Betten hinzu, die baugleichen „Mein Schiff 5“ und „Mein Schiff 6“ folgen 2016 und 2017, "Mein Schiff 7" und "Mein Schiff 8" soll Meyer Turku in den beiden darauffolgenden Jahren ausliefern. Die Optionen für die Neubauten, die dann sukzessive die beiden kleineren und älteren "Mein Schiff 1" und "Mein Schiff 2" ablösen sollen, haben die Aufsichtsräte der Joint-Venture-Partner TUI und Royal Caribbean gerade in Festaufträge umgewandelt. Mittelfristiges Ziel ist ein Marktanteil von 25 Prozent.
Die Herausforderung besteht darin, trotz des schnellen Wachstums die Qualität zu halten. 30 Prozent der Mein-Schiff-Bucher sind Wiederholer – und die merken sofort, wenn es irgendwo hakt. Aber nicht nur die zusätzliche Kapazität will verkauft werden. In einem Markt mit wachsendem Angebot müssen auch genügend qualifizierte Arbeitskräfte angeheuert werden.
Waren Kinder und Familie jemals eine Option für die in einer Partnerschaft („Kein Touristiker!“) lebende Wahl-Hamburgerin? „Ja, zwei- oder dreimal, aber dann passte es doch nicht.“ Der Anfang März vom Bundestag beschlossenen Frauenquote für Großunternehmen steht Meier dennoch skeptisch gegenüber: „Das ist eher kontraproduktiv, wichtiger wäre ein Kulturwandel.“ Dann ein kurzes Zögern: „Andererseits habe ich es nicht geschafft, eine eigene Familie zu gründen, weil es mit der Arbeit nicht passte – vielleicht ist die Quote doch notwendig.“