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Stadtführungen in Schwäbisch mit Frau Schwätzele alias Claudia Burth sind der Hit.

Stuttgart - Samstags auf dem Marktplatz: "Do guck na", entfährt einem Herrn ein schwäbischer Ausruf des Erstaunens. Claudia Burth kennt solche Reaktionen schon, wenn sie in Kittelschurz, Kopftuch, bewaffnet mit Besen und Eimerle, unterwegs ist: Als Stadtführerin in der Rolle von Frau Schwätzele: "I han Kehrwoch'."

"Hen' Ihr scho Kehrwoch' g'macht?", begrüßt Claudia Burth alias Frau Schwätzele ihre Gruppe am Treffpunkt vor dem Wilhelmspalais, um dann gleich energisch die dortige Freitreppe zu fegen und den Putzfimmel auch am Denkmal von König Wilhelm II. auszulassen: "Der hot hier g'wohnt", erzählt sie und dass er 1918 der Gewalt der drohenden Revolution gewichen und beleidigt nach Bebenhausen gezogen sei: "Komm, Charlotte", habe er zu seiner Frau gesagt, "mir ganget." Samt den geliebten Spitzerhunden Ruby und Ali: Die hätten dem Opa seinerzeit "mal die Hos' verrissen". Was der Herr König mit generöser Münze wieder gutgemacht habe.

26 Damen und Herren haben sich eingefunden, um die "Stadt mal auf andere Weise kennenzulernen", wie Harald Schmitt erklärt. Daran, dass er das Putzeimerle für Frau Schwätzele samt Kehrblech und einer flüssigen Wegzehrung tragen darf, hat er wohl nicht gedacht, aber er macht es klaglos. Schmitt ist Stuttgarter wie die meisten Teilnehmer. Zum Beispiel Edgar Bächtle aus Vaihingen, dem die Tochter die Führung zum Geburtstag schenkte. Eine gute Idee, wie sich gleich herausstellt, denn weder er noch seine Frau Ilse waren bis dato jemals im Bohnenviertel und sind nun ganz begeistert von diesem Stadtquartier. Eine Ausnahme stellt von der Herkunft nur eine muntere Damenrunde dar, die sich ungeachtet drohender Verständigungsschwierigkeiten in dieses Vergnügen gestürzt hat: "Wir sind der Pfannekuchen-Club aus Dorsten", stellt Birgit Pichottka sich und ihre sieben Freundinnen vor, die ein Wochenende in Stuttgart verbringen und tief in die schwäbische Seele eindringen wollen. Und wo liegt Dorsten? "Zwischen Ruhrgebiet und Münsterland", klärt sie auf. Aha!

Das Wichtigste bei der Kehrwoche? Viel Lärm machen!

Ob ihre Gäste wüssten, was das Wichtigste bei der Kehrwoch' sei, fragt Frau Schwätzele besenschwingend: "Vor allem viel Lärm machen, damit die Nachbarn merken, die Frau Schwätzele macht ihr Kehrwoch'." Die Einheimischen nicken wissend.

Ach, die Kehrwoche. Hat das sein müssen, dass Stuttgart und vor allem die wackeren Schwäbinnen schon wieder mit dieser geheiligten Putzteufelei in Verbindung gebracht werden? In einer Werbung für die ZDF-Vorabend-Serie "Soko" ist den Machern auch nichts anderes eingefallen: "Die ,Soko' ohne mein Team", sagt die Stuttgarter Kommissarin, "das ist wie Stuttgart ohne - na, was wohl? "Ohne die Kehrwoch"', ergänzt ihr Kollege. Und seit OB Wolfgang Schuster die Aktion "Let's putz" ausrief und dafür bundesweit Spott und Hohn erntete, weiß man doch, wie sich der Rest der Republik darüber mokiert. Warum also wird hier wieder dieses Klischee bedient? Der gleiche Einwand sei auch von den Stadtführerinnen gebracht worden, als diese Idee bei Stuttgart-Marketing aufgekommen sei, bestätigt Claudia Burth.

Aber als sie das Script ihrer Kollegin Victoria Waltl gelesen habe, sei sie begeistert und sofort für diese Rolle bereit gewesen. Seit April schlüpfen nun fünf Damen regelmäßig ins Putzhäs und ernten uneingeschränkten Beifall: "Es ist vielleicht nicht die ganz anspruchsvolle kulturgeschichtliche Führung (die Stuttgart-Marketing natürlich auch im Programm hat), aber es macht Spaß, und die Leute lieben es", versichert Claudia Burth.

Kein Wunder, denn diese Stadtführung ist wie ein Stück perfekt inszeniertes Volkstheater, bei dem Stadtgeschichte als historischer Bilderbogen präsentiert wird. Farbig und lebendig durch Anekdoten und Scherze. In authentischem Schwäbisch obendrein ein Beitrag zu der aktuellen Diskussion um den identitätsstiftenden Wert der Mundart. Und Frau Schwätzele spielt ihre Rolle hinreißend: Vor der Traditionsweinstube Kiste erzählt sie, wie das Lokal zu seinem Namen kam und dass der Kutscher Ringwald vom König höchstpersönlich die Konzession dafür bekommen habe: "Mei Karle", verrät sie, "hot hier sein Stammtisch."

Viele Stuttgarter wissen nichts über ihre Stadt

In der Rosenstraße erfahren die Zuhörer, dass hier der Chaisenmacher Wilhelm Wipf gewohnt habe, bei dem Gottlieb Daimler eine Kutsche bestellt habe. Angeblich als Geschenk für die Ehefrau. Tatsächlich aber für den Einbau eines Motors. Im Garten vom Weinhaus Stetter weist sie auf die letzten Reste der Stadtmauer hin, und am Schellenturm holt sie ein Fläschle aus dem Eimer und serviert zu den Erklärungen über das ehemalige Gefängnis und die Gefangenen mit den Schellen an den Füßen ein Glas Most. Warum das Bohnenviertel so heißt, wissen die Bächtles jetzt endlich auch.

Das Leonhardsviertel lässt Frau Schwätzele links liegen. Nicht ohne einen deutlichen Hinweis: Die arme Mädle dort täten sie dauern, "immer uff dr Stroß".

Stattdessen schwenkt die Tour zum Marktplatz, macht noch halt in der Bärenstraße, wo Giacomo Casanova logierte, und endet im Hof des Alten Schlosses vor dem Denkmal des Grafen Eberhard im Barte. Denn der kann als Erfinder der Kehrwoch' gelten, seit er anno 1540 verfügte, jeder Bewohner möge seinen Mist einmal in der Woche aus der Stadt herauskarren.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Claudia Burth ihre Rolle so überzeugend spielt: Die Schwäbin ist als Musikantin (Klarinette und Alphorn) beim Cannstatter Bläserkreis und bei der Gruppe Trotzblech öffentliche Auftritte gewohnt. Und nachdem sie selbst vor 15 Jahren aus dem heimatlichen Hohenzollern mit längst abgelegten Vorurteilen nach Stuttgart gekommen sei, mache es ihr jetzt besonders Spaß, als nebenberufliche Stadtführerin seit zehn Jahren Besuchern von außerhalb oder auch Stuttgartern selbst die vielen reizvollen Seiten der Stadt zu zeigen: "Es ist erstaunlich, wie wenig viele Stuttgarter von ihrer Stadt wissen." Amüsanter konnten sie nicht dazu lernen. Und die Damen aus Dorsten? Haben sie alles verstanden? "Na ja", zögert Tanja Heidermann, "meistens entgeht mir die Pointe." Schade drum.