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Jakob Augstein

S.P.O.N. - Im Zweifel links Wir sind schuldig!

Jahrhunderthochwasser wälzen sich durch Süd- und Ostdeutschland. Jetzt ist Gelegenheit, die Leugner des Klimawandels auf die Deiche zu führen! Und die Wachstumsprediger nach Magdeburg. Aber sie würden nur sagen, dass sie nicht schuld sind. Und wir alle würden einstimmen!
Überflutung an der Elbe: Wer will schon gern Verantwortung übernehmen?

Überflutung an der Elbe: Wer will schon gern Verantwortung übernehmen?

Foto: Patrick Pleul/ dpa

In Magdeburg müssen Menschen mehrere Stadtteile verlassen. Mehr als 20.000 Bürger weichen vor der Flut zurück. Wenn das Umspannwerk versinkt, werden weite Teile der Stadt ohne Strom sein. Das ist keine Prognose, keine Studie zum Klimawandel. Darüber muss nicht auf einem paritätisch besetzten Panel gestritten werden. Das ist die Wirklichkeit.

Die Katastrophe klärt den Blick. Unsere Art zu leben kommt nicht ohne Kosten aus. Daran erinnert dieses Hochwasser - erneut. Es ist die zweite "Jahrhundertflut" in gut zehn Jahren. Ob dieses eine Hochwasser auf die von Menschen gemachte Erderwärmung zurückgeht, wird sich nicht beweisen lassen. Die Frage ist: Welchen Beweis brauchen die Klimawandelleugner, bevor ihnen die Augen aufgehen? Was muss geschehen, damit die Wachstumsprediger dazulernen? Keiner von ihnen wird später sagen können, er habe nichts gewusst.

Unter den Lemmingen gibt es immer welche, die vorauslaufen. Karl-Heinz Paqué ist so einer. Er ist Wirtschaftsprofessor und früherer Landesminister der FDP. Es ist vor allem ihm zu verdanken, dass der Bericht der Enquete-Kommission des Bundestags "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität", der in der vergangenen Woche vorgelegt wurde, zu einem Dokument des Scheiterns wurde. In dem 844-Seiten-Wälzer heißt es zwar: "Angesichts der globalen Überschreitung von kritischen Umweltraumgrenzen bedarf es in den kommenden Jahrzehnten einer absoluten Reduktion der Nutzung dieser Ressourcen." Das heißt, wir müssen mit weniger von vielem Vorlieb nehmen. Aber Paqué, von der FDP als Sachwalter der alten Ideologie in die Kommission entsandt, predigt unverdrossen Wachstum, Wachstum, Wachstum. Eifrig hat er daran mitgewirkt, dass das Bruttoinlandsprodukt nach wie vor der entscheidende Indikator zur Beurteilung von Erfolg und Misserfolg der Wirtschaftspolitik ist. Der Versuch, durch die Berücksichtigung anderer Faktoren, wie Gesundheit, Bildung, Artenvielfalt, Raum für ein anderes Denken zu schaffen, endete in einer Farce.

Die alte Ideologie und die wirtschaftlichen Interessen haben lautstarke Verteidiger. So wie die Journalisten Dirk Maxeiner und Michael Miersch. In einer Broschüre über den Klimawandel nannte das Umweltbundesamt die beiden neulich zurückhaltend "Klimawandelskeptiker" - in Wahrheit sind sie Ideologen der intellektuellen Stagnation. Sie füllen eine wöchentliche Kolumne in Springers "Welt", die in den rechten Ecken des Internets nachbereitet wird. Ihr Ziel: die Ergebnisse der Klimaforschung ins Lächerliche zu ziehen. Wahlweise rechnen die beiden mit statistischen Taschenspielertricks die menschengemachte Erderwärmung weg oder geben gleich der Sonne die Schuld. Und dabei haben sie nichts als Spott und Häme für jene Menschen übrig, die uns alle zur Umkehr mahnen. Das ist Auftragsjournalimus im Interesse der Wirtschaft, und das Umweltbundesamt hatte Recht, diese Form von Lobby-Journalismus bloßzustellen.

In der Krise gibt es einen Moment der Hellsichtigkeit

Die Wachstumsprediger und die Klimaleugner tappen in die Falle des Vulgär-Liberalismus: Sie verwechseln Freiheit mit Verantwortungslosigkeit. Aber wer will schon gerne Verantwortung übernehmen?

Erinnern Sie sich an die Stimmung vor zwei Jahren? In Fukushima war das Kernkraftwerk explodiert. Die Euro-Krise befand sich auf einem ihrer vielen Höhepunkte. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte hatte Milliarden an Werten und Millionen von Arbeitsplätzen vernichtet. Damals dämmerte den Leuten: Der Sozialismus ist pleitegegangen, als nächstes erwischt es den Kapitalismus. Eine Ahnung breitete sich aus: So kann es nicht weitergehen.

Aber was haben wir getan? Wir haben in ein System der Verschuldung noch mehr Geld hineingepumpt - und weiter gemacht wie bisher.

Und erinnern Sie sich an die Flut von 2002? Damals hatte eine Kommission empfohlen, der Elbe mindestens 12.000 Hektar Land freizumachen. Damit sie es nicht so eng habe in ihrem Bett und endlich Raum, schadlos über die Ufer zu treten. Man wusste schon damals, dass Extremwetterlagen zunehmen würden und dass erwärmte Luft mehr Wasser tragen kann.

Aber was geschah? Keine 20 Prozent dieser Fläche wurden realisiert. Zurückweichen kommt nicht in Frage. Das wäre doch gelacht, wenn wir dieses Flusses nicht Herr würden! An vielen Orten wurden die Deiche erhöht. Das war irre: Dadurch mussten die Wassermassen noch höher steigen, und die Flutwelle rast noch schneller stromabwärts.

In der Krise gibt es einen Moment der Hellsichtigkeit. Dann liegen das Problem und seine Ursachen klar vor uns. Dann entscheidet sich, ob wir lernen oder nicht. Meistens lernen wir nicht. In seinem Buch "Kollaps" hat der amerikanische Evolutionsbiologe Jared Diamond beschrieben, wie Kulturen untergehen: In der Krise geben sie sich noch mehr Mühe, das zu tun, was sie am besten können - Pech, wenn sie das immer tiefer in den Schlamassel lenkt. Wer unter neuen Lebensbedingungen alte Wege geht, endet im Aus. Das hat den Leuten auf den Osterinseln den Rest gegeben, den Wikingern auf Grönland und den Maya. Wenn wir die nächsten sind, sollten wir nicht überrascht sein.

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