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  4. Computer: Hälfte deutscher Schüler vom Internet überfordert

Deutschland Computerkenntnisse

Internet überfordert viele deutsche Schüler maßlos

Internet ist für viele Kinder Neuland

Die Kanzlerin zog mit dem Spruch „Internet ist für uns alle Neuland“ Häme auf sich. Aber sie hat offenbar Recht: Forscher haben herausgefunden, dass viele Kinder kaum eine Webseite aufrufen können.

Quelle: Die Welt

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Die Hälfte der deutschen Achtklässler weiß nicht mal, wie man eine Internetadresse eingibt, haben Forscher herausgefunden. Mädchen liegen bei den Computerkenntnissen in allen Ländern vor Jungen.

Wer geglaubt hat, Kinder und Jugendliche würden durch das Aufwachsen mit Internet, Smartphones und Tablet-PCs automatisch zu kompetenten Nutzern digitaler Medien, sieht sich nun durch eine neue internationale Studie eines Besseren belehrt: Demnach ist gerade einmal die Hälfte der deutschen Achtklässler in der Lage, eine Internetadresse im Browser einzugeben und die gewünschte Seite aufzurufen. Im internationalen Vergleich landen deutsche Schüler nur im Mittelfeld, ergab die Schulleistungsstudie ICILS. Diese hat erstmals die Kompetenzen von zwölf- bis 13-jährigen Schülern im Umgang mit Computern und dem Internet in 21 Ländern gemessen.

Dabei ordneten die Wissenschaftler die Computerkenntnisse nach fünf Kompetenzstufen in einem Punktesystem ein: Stufe eins (weniger als 407 Punkte) beschreibt rudimentäre Kenntnisse, wie das Anklicken eines Links oder einer E-Mail. Die zweite Stufe (407 bis 491 Punkte) beschreibt grundlegendes Wissen, etwa die einfache Bearbeitung von Dokumenten mit den Funktionen Kopieren und Einfügen.

Stufe drei (492 bis 575 Punkte) beschreibt durchschnittliche Kenntnisse: Schülerinnen und Schüler können vom Lehrer angeleitet Informationen beschaffen, diese bearbeiten und einfache Dokumente erstellen. Danach folgen Stufe vier (567 bis 660 Punkte) mit fortgeschrittenen Kenntnissen – etwa das eigenständige Ermitteln von Informationen im Internet – und Kompetenzstufe fünf (über 661 Punkte): Schüler hier sind auf Expertenlevel.

Quelle: Infografik Die Welt

Etwa ein Drittel der Schüler der Jahrgangsstufe acht kommt in Deutschland über die untersten beiden Stufen nicht hinaus und verfügt damit nur über „rudimentäre“ beziehungsweise sehr grundlegende Fertigkeiten im Umgang mit den digitalen Technologien. Diese Schülergruppe werde es voraussichtlich schwer haben, erfolgreich am privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Leben im 21. Jahrhundert teilzuhaben, warnten die Studienleiter Wilfried Bos und Birgit Eickelmann. Die höchste Stufe fünf erreichten gerade einmal 1,5 Prozent der Schüler – hier gebe es Entwicklungsbedarf, mahnte Bos.

An vielen deutschen Schulen ist der „Computerraum“ gängig

Harsche Kritik übten die Forscher an Schule und Lehrern. Die Computerausstattung in den Schulen sei veraltet, Lehrer bräuchten Fortbildungsangebote und „pädagogischen Support“. „Hierzulande lernen Schüler den Umgang mit Computern trotz Schule“, sagte Bos. Rechnerisch teilen sich 11,5 Schüler einen PC – in Norwegen sind es dagegen nur 2,4 Schüler.

Das gängige Modell in Deutschland sei immer noch der „Computerraum“. In Dänemark etwa brächten dagegen vier Fünftel der Schüler ihren eigenen Computer mit in den Unterricht. Ohne eine konzeptionelle Verankerung digitaler Medien in den schulischen Lehrprozessen werde Deutschland auch künftig nicht über ein mittleres Leistungsniveau hinauskommen, warnten die Forscher.

Auffallend ist, dass in allen untersuchten Ländern die Mädchen bei den Computerkenntnissen besser abschnitten als die Jungen. Bei den Aufgaben sei es nicht um rein technische Dinge gegangen, sondern um die Anwendung von Wissen, erläuterte Studienautorin Eickelmann von der Universität Paderborn.

Quelle: Infografik Die Welt

In Deutschland finden sich zudem deutlich mehr Mädchen als Jungen in der obersten Leistungsgruppe. Allerdings machten die Mädchen zu wenig aus ihren Kompetenzen, kritisierte Bos, der Professor an der Technischen Universität Dortmund ist. Er verwies auf die geringe Anzahl von Schülerinnen, die sich für ein Studium der sogenannten MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik entschieden.

Die deutschen Achtklässler erreichten bei dem Computertest 523 Punkte und liegen damit auf dem gleichen Niveau wie die Schüler aus der Schweiz, Russland und Hongkong. Spitzenreiter sind die Tschechen mit 553 Punkten, gefolgt von Kanada, Australien, Dänemark, Polen und Norwegen. Schlusslichter bei der Studie sind Thailand und die Türkei.

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Der größte Anteil der deutschen Schüler entfiel mit 45 Prozent auf die Kompetenzstufe drei. Diese Jugendlichen sind in der Lage, unter Anleitung Informationen zu ermitteln, Dokumente zu bearbeiten und einfache Informationsprodukte zu erstellen.

Lehrer stehen neuen Technologien skeptisch gegenüber

Deutliche Unterschiede gab es auch nach der Schulart: Während Gymnasiasten meist die vierte Stufe erreichten, schaffte die Hälfte der Schüler an anderen Schulformen es nur auf die dritte Kompetenzstufe. Ein Drittel der Nichtgymnasiasten konnte nur Basiskenntnisse der Stufe zwei nachweisen. Deutlich schlechter schnitten auch Schüler aus niedrigeren sozialen Schichten und Schüler mit Migrationshintergrund ab.

Die Studie untersuchte auch die Einstellung der Lehrer zum Einsatz von Computern im Unterricht. Danach sind die Lehrer mehrheitlich zwar positiv gegenüber dem Computereinsatz eingestellt. Es gibt aber auch erhebliche Skepsis: Drei Viertel haben Bedenken, weil das Internet zum Kopieren von Quellen animieren könnte. In keinem Teilnehmerland wird von Lehrern darüber so häufig geklagt wie in Deutschland.

Ein weiteres Drittel fürchtet, der Computereinsatz führe zu organisatorischen Problemen. Die Hälfte klagt, dass die Geräte an ihren Schulen veraltet seien und ein unzureichender Internetzugang den Computereinsatz im Unterricht einschränke. Und jeder vierte Lehrer ist der Meinung, Schüler würden durch digitale Medien vom Lernen abgehalten.

„Pflichtaufgabe des schulischen Bildungsauftrags“

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Sylvia Löhrmann (Grüne) aus Nordrhein-Westfalen, sagte: Medienbildung sei „Pflichtaufgabe des schulischen Bildungsauftrages“. Dies müsse auch bei der Ausbildung der Lehrer stärker berücksichtigt werden. Die Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium, Cornelia Quennet-Thielen, sagte: „Ich wünsche mir, dass die Studie den Ländern Impulse gibt, damit es an den Schulen zu dringend notwendigen Veränderungen und Verbesserungen kommt.“

Der grüne Bildungspolitiker Özcan Mutlu erinnerte an die Videobotschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vom September, in der sie die Vermittlung von Kenntnissen über Computer als „derzeit größte Herausforderung für die Schulen“ bezeichnet hatte. Nun sei die Zeit zum Handeln, sagte Mutlu. Leere Worthülsen reichten nicht aus. Digitale Grundbildung für alle müsse das Ziel sein. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete kritisierte, die riesigen Potenziale der neuen Technologien für die Förderung von Kindern und Jugendlichen blieben komplett ungenutzt.

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