Vielleicht hätte Peter das letzte Bier doch nicht mehr trinken sollen. Sein Handy jedenfalls ist dieser Meinung. Eben hat sein Weckerbrummen Peter aus dem Schlaf gerissen. Jetzt tastet er nach dem Gerät und schaut auf seine Mails. Dem Smartphone reicht das schon, um zu wissen, wie es seinem Besitzer geht.

Die ganze Nacht hat der winzige Bewegungssensor im Inneren des Handys beobachtet, wie oft sich Peter bewegt hat. Nicht so oft. Als er das Gerät nun in die Hand nimmt, registriert der Sensor auch, wie schnell und koordiniert Peter das tut. Nicht sehr schnell, und er zittert mehr als sonst. Die Kamera erfasst außerdem beim Lesen sein Gesicht, erkennt an den minimalen Farbveränderungen im Bereich der Arterien seinen Puls und beobachtet, wie seine Augen über das Display wandern. Eher zögerlich. Schließlich spürt der Touchscreen, dass Peter langsamer über ihn hinwegwischt als gewohnt. Verglichen mit den Daten der vergangenen Monate scheint klar: Peter hat ziemlich schlecht geschlafen. Und einen Kater hat er wohl auch.

Moderne Mobiltelefone sind kleine Computer mit enormer Rechenfähigkeit. Vor allem aber besitzen sie hochempfindliche Sinnesorgane. Smartphones stecken voller teils nur millimeterkleiner Sensoren, die unentwegt Daten sammeln. Mithilfe entsprechender Programme können sie sehen, hören und fühlen, was in ihrer Umgebung geschieht. Bislang nutzen die meisten Smartphones nur Bruchteile dieser Fähigkeiten. Was Peter an diesem Tag mit seinem Handy erlebt, wird deshalb noch niemandem genauso widerfahren. Möglich aber wäre es. Denn all dies funktioniert, Wissenschaftler haben es mit handelsüblichen Handysensoren erfolgreich getestet.

Zugleich aber werden Handys zu potenziellen Spionagestationen. Fast alle Handyhersteller haben schon einmal mitgeschnitten, wenn sich ihre Geräte in WLAN-Netzen und an Funkmasten meldeten. So wussten sie, wo das Handy gerade ist, und konnten speziell zugeschnittene Werbung verbreiten. Die neuen Sensoren lassen noch viel mehr zu. Jede App kann beispielsweise die Daten des Beschleunigungssensors anfordern, auswerten und versenden, ohne dass der Nutzer zustimmen muss. Wer ihn überwachen will, muss ihm also nur eine unverdächtig wirkende Software unterjubeln, beispielsweise eine Sport-App, und kann dann heimlich jeden seiner Schritte verfolgen.

Peter hat eilig gefrühstückt. Jetzt macht er sich auf zur U-Bahn. Sein Smartphone hat das längst gemerkt. Seit Monaten schon registriert das Gerät ständig Peters Position. Seine GPS-, WLAN- und Funkantennen sammeln ununterbrochen Daten darüber, wo er sich gerade befindet und wie schnell er sich fortbewegt. Es kennt auch die Abfahrtszeit der Bahn. Das ist wichtig, denn Peter ist spät dran. Als er die Treppe zum Bahnsteig hinunterstürzt, ist der Zug schon weg. Macht nichts – auf dem Handybildschirm erscheint schon die Abfahrtszeit des nächsten Zuges.

Japsend wartet Peter am Gleis, da erscheint eine neue Anzeige, mehr rot als grün: sein täglicher Fitnesscheck. In dem kurzen Moment, als er auf den Handy-Fahrplan schaut, hat die Kamera abermals seinen Puls gemessen. Der Beschleunigungssensor hat erkannt, dass er gerannt ist, und eine App registriert nun, wie schnell sich sein Puls wieder beruhigt. Um seine Kondition, so weiß sie jetzt, ist es schlecht bestellt. Also macht sie Vorschläge, was dagegen helfen könnte. Fahrradfahren zum Beispiel. Die ständigen Mahnungen nerven Peter zwar. Aber als er sich im Herbst einige Wochen an die Tipps gehalten hatte, waren tatsächlich die Verspannungen im Rücken verschwunden. Und abgenommen hat er auch etwas.