Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Schanna Nemzowa: Flucht nach Westen

Foto: Pavel Golovkin/ AP/dpa

Erschossener Putin-Gegner Nemzows Tochter Schanna flieht nach Deutschland

Ihr Vater Boris Nemzow wurde erschossen, bald darauf bekam auch die Tochter des russischen Oppositionellen Todesdrohungen. Jetzt zieht die Journalistin nach Informationen von SPIEGEL ONLINE nach Deutschland.

Die Tochter des Ende Februar in Moskau erschossenen Oppositionellen Boris Nemzow wird künftig in Deutschland leben. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE hat die 31 Jahre alte Wirtschaftsjournalistin Schanna Nemzowa hierzulande auch beruflich eine neue Heimat gefunden: Sie bekommt eine eigene Sendung beim russischen Dienst der Deutschen Welle.

Ihr Vater, der prominente Regierungskritiker Boris Nemzow, war im Februar 2015 in der Nähe des Kremls erschossen worden. Nemzowa kritisiert seitdem die Ermittlungen der russischen Behörden als halbherzig. Sie glaubt, der Mord habe nicht ohne "die Duldung der Machtelite geschehen" können. Russischen Medien warf sie vor, eine gezielte Schmutzkampagne gegen ihren Vater zu betreiben. Nach massiven Morddrohungen hat Nemzowa Russland Anfang Juni verlassen. "Es war unmöglich für mich, in Russland zu bleiben", sagt Nemzowa. Sie werde bedroht und unter Druck gesetzt, den Mord an ihrem Vater nicht weiter zu untersuchen.

Vor ihrer Flucht nach Deutschland hatte Nemzowa als Journalistin beim auf Wirtschaftsnachrichten spezialisierten Spartensender RBK-TV gearbeitet, der dem Oligarchen Michail Prochorow gehört. Der Sender sei zwar nicht im strikten Sinne "Teil des putinschen Agitprop", schrieb Nemzowa neulich in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" . Allerdings herrsche auch dort keine Meinungsfreiheit.

Sie habe den Kanal verlassen, "weil ich mich nicht mehr an halboffizielle Absprachen halten wollte: in der Redaktion und vor der Kamera kein Wort über Politik". Nemzowa wollte nicht länger "Komplizin" des Putin-Regimes sein. Dem Präsidenten selbst könne sie zwar nicht die Schuld für den Tod ihres Vaters geben, er trage dafür allerdings die "politische Verantwortung".

In Deutschland will Nemzowa nun wieder als Journalistin tätig sein: für die Deutsche Welle. "Ich freue mich sehr, dass Schanna Nemzowa bei der Deutschen Welle arbeiten wird", sagt der Intendant des Senders, Peter Limbourg. "Sie wird mit ihrer klaren Haltung und ihrer Bekanntheit unser erfolgreiches russisches Angebot weiter verstärken."

Mutmaßliche Nemzow-Killer sollen aus Tschetschenien kommen

Im Mordfall Boris Nemzow sind derzeit fünf Tatverdächtige in Untersuchungshaft, alle stammen aus Tschetschenien. Die russische Staatsanwaltschaft fahndet nach zwei weiteren Verdächtigen. Einer von ihnen, Ruslan G., soll ein hochrangiger Offizier der Leibgarde von Ramsan Kadyrow gewesen sein, Wladimir Putins Statthalter in Tschetschenien.

Der Hauptverdächtige Saur D., ebenfalls ehemaliger Kadyrow-Gardist, macht bislang widersprüchliche Aussagen: Erst gestand er, Nemzow erschossen zu haben. Kurz darauf widerrief er das Geständnis und behauptete, in der Untersuchungshaft gefoltert worden zu sein. Vergangene Woche präsentierte die Verteidigung dann ein Alibi. Zum Tatzeitpunkt habe sich Saur D. in seiner Moskauer Wohnung aufgehalten und Computer gespielt, dies könnten drei Zeugen belegen.

Über die Motive der mutmaßlichen Täter gibt es keine Klarheit. In dem später widerrufenen Geständnis begründete Saur D. seine Tat mit religiösen Motiven: Nemzow habe Muslime beleidigt.

Nach dem islamistischen Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" im Januar hatte sich Nemzow mit der französischen Satirezeitschrift solidarisch erklärt und für die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen plädiert. In ihren Aussagen konnten allerdings weder Saur D. noch weitere Verdächtige konkrete Statements Nemzows nennen, die Muslime beleidigt haben sollen. Ermittler vermuten daher, dass sie von Dritten zu ihrer Tat angestiftet worden sind.

Nun soll ein psychologisches Gutachten die Motivation der Täter klären. Dass die Tatverdächtigen schuldfähig sind, haben Psychologen bereits attestiert - jetzt gehe es um die Frage, ob es sich bei den Verdächtigen um "religiöse Fanatiker" handelt.

Der Anwalt der Familie Nemzow, Wadim Prochorow, hat derweil eine internationale Kontrolle für die Ermittlungen im Mordfall des Oppositionspolitikers gefordert. Die Vereinten Nationen sowie die OSZE und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hätten entsprechende Instrumente. Sie seien etwa im Mordfall des libanesischen Premiers Rafik Hariri oder der pakistanischen Regierungschefin Benazir Bhutto zum Einsatz gekommen.