2. Juli 2016

Der Wildschütz – Pawel Poplawski.
Goethe-Theater Bad Lauchstädt.

14:30 Uhr, Galerie, Loge 3, Platz 12



Da hat sich der Herr Geheimrat aber einen putzigen Theaterstall ins Nirgendwo gesetzt. Die aktuellen Renovierungsarbeiten geben den Blick frei auf zweckdienliche Lehmziegel und Holzbalken, die noble Illusion der Putzfassade ist dem bäuerlichen Charme einer Scheune gewichen. Diese Offenlegung des Zweckbauskeletts ist nicht ohne Reiz, vervollkommnet sie doch im Verbund mit der im Anschluß an die Aufführung besuchten Hausführung den Eindruck, daß hier immer schon Inhaltliches vor Äußerlichkeiten kam. Ebenso amüsant wie lehrreich beispielsweise die Anekdote, daß das den Zuschauerraum beschirmende Deckensegel weniger der Referenz antiker Vorbilder, sondern in erster Linie der kostengünstigen Kaschierung der profanen Gewölbekonstruktion geschuldet ist. Irgendwie ziemlich sympathisch, dieser nett verpackte Pragmatismus.

Zumal das Ergebnis den Bauherren Recht gibt. Die Akustik ist vorzüglich, das kleine Orchester sehr präsent. Einzig die Streicher bzw. hautsächlich die Violinen sorgen bei mir für kurze Irritation, da sie auf meinem Platz deutlich von der rechten Seite zu vernehmen sind, obwohl sie brav auf der Linken Platz genommen haben – ein Kuriosum, daß vielleicht auf die tonnenförmige Decke zurückzuführen ist? Der Gesamteindruck erfährt durch diesen Umstand jedoch keinerlei Beeinträchtigung. Die Sänger sind meistenteils gut zu hören, wobei es hier natürlich auf die jeweiligen persönlichen Charakteristika der Stimmen ankommt.

Lortzings Wildschütz würde ich allen theaterhistorischen Meriten zum Trotz nicht unbedingt als Schwergewicht bezeichnen. Hab ich das Stück also auch mal gehört, anstatt nur in Opernführern und Co. darüber zu stolpern – Bildungslücke geschlossen, Thema erledigt. Die hier gezeigte Aufführung ist eine Produktion des Magdeburger Theaters, was insofern etwas schade war, da in dieser Inszenierung die historische Lauchstädter Bühnenmaschinerie logischerweise keine Verwendung findet. Zumindest konnte ich mir dessen Eingeweide bei besagter Führung kurz ansehen, was allerdings nur ein schwacher Ersatz für von Geisterhand bewegte Scherenwände und ähnliches ist, wie ich seit meinem Besuch des Theaters in Gotha weiß (Link).

Inhaltlich wie musikalisch ist Überforderung durch Stück und Umsetzung nicht zu befürchten – den größten Lacher des ersten Aktes landete man, indem eine Kuh-Attrappe durch gartenpumpenartiges Betätigen ihres Schwanzes gemolken wurde. Es wäre allerdings deutlich alberner gewesen, die leicht verdauliche Verwechslungskomödie mit bedeutungsschwangeren Metaebenen oder Zeitbezugs-Transplantationen zu befrachten. Die Magdeburger Inszenierung erzählt die kompliziert-einfache Geschichte mit leichter Hand und nicht ohne Selbstironie – wo wir beispielsweise wieder bei besagter Kuh wären. Überhaupt geben Bühnenbild und Ausstattung – abgesehen von den teilweise aufwändigen Kostümen – dem Ganzen einen bewusst attrappenartigen, übertrieben kulissenhaften Rahmen.

Niedliche Häuschen-Aufsteller, die von den Protagonisten durch einfache Luken betreten und verlassen werden, welche ihre Undreidimensionalität unterstreichen. Oder ein Interieur, das jeweils einzig aus typografisch angeordneten Begriffen den benannten Einrichtungsgegenstand bildet. Ein bisschen scheint es, als spiele sich die gesamte Handlung zwischen den Deckeln eines Buches ab. Gleich zu Beginn wird diese Assoziation mit dem als Buchtitel abgesetzten Namen des Stückes geweckt. Dazu passt irgendwie auch, dass die Darsteller sich mitunter eines regelrecht marionettenhaften Gestenrepertoires bedienen. Der Wildschütz oder die Stimme der Natur – also doch keine Personen aus Fleisch und Blut, sondern reine Fiktion?

Ich muss gestehen, dass ich mit diesen latent verklemmten Bäumchen-wechsel-Dich-Frivolitäten nicht viel anfangen kann. Dennoch würde ich behaupten, dass das Regieteam alles aus dem Stoff herausgeholt hat. Dazu trägt auch die offensichtliche Aktualisierung der Dialoge bei (Parsifal- und Tannhäuser-Bezugnahme, Begriffe wie „Schlampe!“ oder „Kapitalist!“ etc.), welche den wahrscheinlich arg ausgeblichenen Firnis des Original-Librettos hier und da ein wenig auffrischt. Das Magdeburger Ensemble und Orchester unter der lebendigen Stabführung Herrn Poplawskis garantieren musikalische Qualität fern jeglicher Provinzialität und stellen eindrucksvoll unter Beweis, dass das Lauchstädter Festival definitiv auch für Nicht-Goethe-Sentimentalisten eine Reise wert ist.

Fazit: Lortzing in Lauchstädt oder: auch schlichte Kost kann meisterhaft zubereitet sein.


Der Wildschütz – Albert Lortzing
Musikalische Leitung – Pawel Poplawski
Inszenierung – Aron Stiehl
Bühne – Simon Holdsworth
Kostüme – Dietlind Konold
Dramaturgie – Ulrike Schröder
Choreinstudierung – Martin Wagner

Graf von Eberbach – Roland Fenes
Die Gräfin, seine Gemahlin – Ks. Undine Dreißig
Baron Kronthal, Bruder der Gräfin – Ralf Simon
Baronin Freimann, Schwester des Grafen – Julie Marie du Theil
Nanette, ihr Kammermädchen – Jenny Stark
Baculus, Schulmeister – Johannes Stermann
Gretchen, seine Braut – Irma Mihelič
Pankratius, Haushofmeister – Peter Wittig
Bürgermeister – Thomas Matz
Tante Irmgard – Evelyn Nenow-Sambale

Opernchor des Theaters Magdeburg
Magdeburgische Philharmonie