Fernbusse:Boom mit Folgen

Streik der Lokführer

ZOB statt Hbf: Während des Bahnstreiks stiegen viele Fahrgäste auf Fernbusse um.

(Foto: dpa)

Fernbusse boomen: Die Zahl der Fahrten hat sich innerhalb von zwei Jahren mehr als verdoppelt. Doch der Preiskampf lässt langsam nach. Für die Kunden könnte es teurer werden.

Von Marco Völklein

Als Andreas Türk vor einigen Jahren bei Daimler in Mannheim anfing, da ahnte er nicht, dass er sich einmal so intensiv mit Toiletten beschäftigen würde. Mittlerweile kennt sich der Entwicklungsingenieur auch im Detail aus - und hat die Busse auf die neuen Anforderungen ausgerichtet. Die Wasserhähne sind nicht mehr aus Plastik, sondern aus robustem Metall. Die Papierhandtuchspender haben ein größeres Fassungsvermögen, auch in die Frisch- wie die Abwassertanks passt mehr rein.

Busse im Gelegenheitsverkehr halten öfter mal an Raststätten. Dort können sich die Mitglieder des Kegelklubs oder des Gartenbauvereins erleichtern. Im Fernbus-Einsatz gibt es weniger Pausen. Aufs Klo gehen müssen die Gäste meist während der Fahrt. Deshalb muss eine solche Bus-Toilette deutlich mehr bieten.

Erfahrungen wie diese zeigen, wie rasant sich der Markt für Fernbusse seit der Liberalisierung 2013 verändert hat. Bis dahin war es verboten, innerhalb Deutschlands zwei oder mehrere Städte mit einer Fernbuslinie zu verbinden. Dann fielen die Beschränkungen - und der Markt explodierte. Junge Start-ups wie der Berliner Anbieter Meinfernbus oder das Münchner Unternehmen Flixbus stiegen, mit potenten Geldgebern im Hintergrund, groß in den Markt ein.

Fernbusse: SZ-Grafik; Quelle: Bayerisches Rotes Kreuz

SZ-Grafik; Quelle: Bayerisches Rotes Kreuz

Der ADAC und die Deutsche Post taten sich zusammen und kurvten mit gelben Bussen durch die Gegend. So wuchs das Streckennetz stetig. Die Zahl der in Fernbussen transportierten Passagiere stieg laut Bundesverkehrsministerium von 8,2 Millionen im Jahr 2013 auf 19,6 Millionen im Jahr 2014.

Wie der Bus-Boom München betrifft

Auch München spürt den Boom deutlich: Am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) an der Hackerbrücke zählte Betriebsleiter Christian Rettenbacher im Jahr 2013 noch insgesamt 68 000 An- und Abfahrten; 2014 lag der Wert bereits bei 110 000. Für das laufende Jahr rechnet Rettenbacher mit 125 000 Bussen, die den ZOB ansteuern. "Das Wachstum wird schwächer", sagt er zwar. "Aber es ist nach wie vor Wachstum." Zuletzt hätten die mittlerweile neun Warnstreiks der Lokführergewerkschaft GDL viel Zulauf gebracht.

Immer wenn sich ein Ausstand abzeichnete, schnellten die Zugriffszahlen auf den Buchungsseiten der diversen Fernbusanbieter im Internet nach oben. Experten sprechen zudem vom "Klebeeffekt" - Bahnkunden, die wegen der Bahnstreiks auf die Busse umgestiegen sind, hätten gemerkt, wie problemlos und - zumindest auf kurzen Strecken - komfortabel das Reisen auf Reifen statt auf Stahlrädern sein kann. "Während der Streiks hat die Branche bewiesen, dass sie eine zuverlässige Alternative ist", sagt Daimler-Vertriebschef Axel Stokinger.

Diese Kunden könnten auf lange Sicht der Branche erhalten bleiben, auch wenn zum derzeitigen Zeitpunkt dies noch kaum ein Anbieter in konkrete Zahlen fassen will. "Natürlich haben wir von den Streiks profitiert", sagt auch Edward Hodgson nur, Manager beim britischen Fernbusanbieter Stagecoach. Zu dem Unternehmen gehört die Marke Megabus, die 2003 mit Fernbuslinien in Großbritannien angefangen hat und mittlerweile unter anderem auch in der Türkei und in Spanien unterwegs ist.

Wie Megabus München von Feldkirchen aus erobern will

Vor einigen Jahren hat Megabus zudem den deutschen Markt für sich entdeckt - und versucht nun von Feldkirchen im Münchner Osten aus, diesen zu erobern. Fünf Millionen Euro hat Hodgson in elf neue Busse gesteckt, 50 Mitarbeiter sind für Megabus hierzulande unterwegs. Deutschland sei ein "entscheidender Markt" für das Unternehmen, mit enormen Wachstumsraten. Genaueres über konkrete Pläne allerdings lässt sich Hodgson nicht entlocken. Nur so viel: "Weitere Strecken und zusätzliche Ziele" seien in den nächsten Jahren geplant.

Dass das Unternehmen erst noch am Anfang steht, merkt, wer sich die Niederlassung von Megabus im Gewerbegebiet in Feldkirchen anschaut. Die Firma hat dort im Gebäude eines Bus-Service-Dienstleisters ein kleines Büro für zwei Mitarbeiter angemietet; daneben gibt es eine Teeküche, in der die Fahrer Pause machen und ihre mitgebrachte Brotzeit einnehmen können. Mehr nicht.

Wann es im ZOB eng wird

Geplant wird das Netz in London, sagt Hodgson. Dort lassen die Briten auch die deutsche Internetseite betreuen und die Tarife kalkulieren, die - wie bei allen anderen Fernbusanbietern - immer wieder variieren, je nach Nachfrage und Auslastung der Fahrzeuge. Auf dem Hof unten rangieren Fahrer einige Busse mit einem grinsenden Megabus-Männlein auf der Seite herum.

Ein Ende des Fernbus-Booms ist derzeit nicht in Sicht. ZOB-Manager Rettenbacher jedenfalls weiß zum Beispiel zum Oktoberfest oder in Ferienzeiten nicht mehr, wo er die vielen Busse noch abstellen soll. Auch mancher Anlieger in der Arnulfstraße klagt bereits über die Fahrzeuge, die über die Einfallstraße hereinbrausen. Oder die in den Seitenstraßen abgestellt werden und dort Parkplätze blockieren.

Was die Fusion von Busunternehmen für den Kunden bedeutet

Zuletzt hatten sich aber auch Anbieter wie der ADAC oder das Unternehmen City2City aus dem Markt zurückgezogen, die beiden größten Anbieter im Feld, Meinfernbus und der Münchner Konkurrent Flixbus, haben fusioniert. Das bekommen auch die Kunden zu spüren: Marktforscher wie Christoph Gipp vom Berliner IGES-Institut registrieren bereits leicht steigende Preise: Zahlten Buskunden Ende 2014 noch 8,6 Cent pro Kilometer, liegt der Wert nun über zehn Cent. "Das bisherige Tiefpreisniveau kann die Branche nicht durchhalten", glaubt Gipp. Dennoch werde "der Fernbus günstiger als Bahn oder Auto sein, weil dies sein Marktvorteil ist".

Auf die Daimler-Entwickler kommen indes neue Herausforderungen zu: So schreibt der Gesetzgeber von 2016 an den Fernbusbetreibern vor, dass neu zugelassene Fahrzeuge mindestens zwei Plätze für Rollstuhlfahrer bieten müssen. Insbesondere bei "Hochdecker"-Bussen müssen die Betreiber dann auch einen Hublift einbauen, damit die Rollstühle ins Fahrzeug kommen.

Bis zu 35 000 Euro Mehrkosten pro Bus kämen so auf die Unternehmer zu. Das Ein- und Aussteigen dauere länger, klagt Stockinger, mit zwei Rollstühlen an Bord fielen bis zu acht reguläre Sitzplätze weg. "Das kostet Umsatz." In den Zügen der Deutschen Bahn können Rollstuhlfahrer dagegen schon seit Jahren mitfahren.

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