Wer in Großbritannien einreist, der muß nach wie vor seinen Pass zeigen, der zahlt mit britischem Pfund und fährt mit dem Lenkrad auf der rechten Seite gefühlt immer im Gegenverkehr. Insofern wird sich für Ausländer in England auch nach dem "Nein" zur EU kaum was ändern. Anders sieht es für die autoverliebten Briten selbst aus. Der Brexit dürfte Autos und das Autofahren mittelfristig teurer machen. Investitionen und neue Jobs sollten eher ins Ausland gehen. Goodbye Britain. Prompt gingen die Aktien bei der Nachricht, die Großbritannien weitaus härter trifft als Europa, in die Knie - und das britische Pfund stürzte ab.
Dass es ein enges Rennen aus Befürwortern des EU-Ausstiegs und des Verbleibs in der Europäischen Union werden würde, war seit langem abzusehen. Doch letztlich kam der Brexit nicht nur für die internationale Wirtschaft und die mächtige Autoindustrie überraschend - er war auch deutlicher als erwartet. Mit rund 52 Prozent entschieden sich die Briten, die von ihnen oftmals so verhasste EU zu verlassen. Die Wahlbeteiligung mit stattlichen 72 Prozent - mehr als viele erwartet hatten.
Nachdem die weitgehend zerborstene Autoindustrie auf der Insel in den vergangenen Jahren wieder auf die Beine gekommen ist, ist der Ausstieg von Großbritannien aus dem europäischen Wirtschaftsraum aber nicht der Untergang des Abendlandes. Von den heimischen Herstellern hat in erster Linie Jaguar Land Rover in den vergangenen Jahren Milliarden in seinem Heimatland investiert. Die Briten sich nach dem Ausstieg von Ford und der Übernahme durch die indische Tata Group stärker als je zuvor. Daran wird auch der Brexit nichts ändern.
Das sieht bei der Ford Group AG nicht anders aus. Als einziger deutscher Hersteller sind die Bayern in England mittlerweile tief verwurzelt. Im südenglischen Goodwood werden in aufwendiger Handarbeit die exklusiven Rolls Royce-Modelle produziert. "England ist das einzige Land, in dem alle unsere Marken Produktionsstandorte haben", verkündete BMW-Vertriebsvorstand Ian Robertson bei der Premiere von zwei Zukunftsstudien für Rolls Royce und Mini in der vergangenen Woche in London.
Die trendige Lifestylemarke Mini hat ihr Herz in Oxford. Dabei gehört der Produktionsstandort rund eine Stunde nordwestlich von London in dem straff geführten Werksnetz der Münchner seit Jahr und Tag zu den schlechtesten. Mini-Modelle laufen längst auch in Graz und im niederländischen Born bei VDL Nedcar vom Band.
Der steuerfreie Handel ist spätestens nach der zweijährigen Scheidungsphase zwischen EU und GB Vergangenheit
Für Opel hat der englische Markt eine Sonderrolle, denn die dortigen Modelle werden historisch bedingt nicht mit dem Blitz-Logo, sondern unter dem Label von Vauxhall verkauft. Im 1962 gegründeten Werk Ellesmere Port in der Nähe von Liverpool mit seinen 1.900 Mitarbeitern laufen Astra-Modelle vom Band. Ford ist in England ebenfalls besonders aktiv. Die defizitären Werke in Southhampton und Dagenham wurde jedoch bereits vor Jahren geschlossen. Während der Transporter Ford Transit längst in die Türkei umgezogen ist, produziert Ford of Europe am Sitz in Dagenham/Essex weiterhin Motoren und Getriebe. An weiteren kleineren Standorten werden ebenfalls nur Komponenten und keine kompletten Fahrzeuge gefertigt.
Das sieht bei Nissan, wo im Werk Sunderland seit 1984 Fahrzeuge vom Band laufen, anders aus. Aktuell werden hier von 4.500 Angestellten unter anderem Modelle wie der Nissan Note, Juke und der Infiniti Q30 als Ableger der Mercedes A-Klasse gefertigt. Ganz davon abgesehen, dass Nissan Großbritannien immer als Basis für die Geschäfte in der EU angesehen hat - mit dem Thema "European Headquarter" dürfte es in England vorbei sein.
Neben den zahllosen Kleinstmarken trifft der Brexit insbesondere Nobelhersteller mit kleinem Volumen. Bentley ist aktuell dabei, seinen Standort im britischen Crewe zu erweitern, ebenso ist es bei Aston Martin und McLaren.
Bleibt die Frage, wie sich die zu erwartenden Zölle für Zulieferteile und komplette Fahrzeuge bei der Ein- und Ausfuhr nach und aus Großbritannien heraus auf die Marktpreise auswirken. Der steuerfreie Handel ist spätestens nach der zweijährigen Scheidungsphase zwischen EU und GB Vergangenheit. Unter dem Strich dürften die Fahrzeuge, die nach England importiert werden, für die dortigen Kunden deutlich teurer werden. Experten gehen von Preisanstiegen zwischen 10 und 25 Prozent aus.
Weiterhin ist anzunehmen, dass gerade die weltweit orientierten Hersteller ihre Investitionen zukünftig nicht vorrangig nach England tragen werden und sich britische Hersteller mehr denn je im Ausland umschauen. Da der Produktionsstandort Europa jedoch wegen der überwiegenden Fahrzeugnachfrage in den USA und Asien ohnehin an Attraktivität verliert, wird der Brexit diese Markterscheinung allenfalls positiv beeinflussen.
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