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Azubis gesucht: Und wer soll jetzt den Tisch decken?

Foto: WorldSkills Germany/ Jörg Wehrmann

Lehrlingsmangel Tischlein, deck dich doch selbst

Badewannen einbauen, Tische abräumen, Schweinehälften verwursten - dazu haben immer weniger Jugendliche Lust. In manchen Branchen bleibt jeder vierte Ausbildungsplatz unbesetzt, von Gastronomie bis Klempnerhandwerk. Warum eigentlich?

Das Video, mit dem der Junge für seinen Beruf werben soll, beginnt mit den Worten "Heute geht's um die Wurst". Zum Beweis hält der Azubi verschiedene Würste in die Kamera. Die spanische Bratwurst sei die Spezialität des Hauses, sagt er. Die sei so lecker, die könne er jeden Tag essen.

Sebastian, 20, ist Teil einer Kampagne   des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Er soll junge Leute für eine Ausbildung als Fleischer begeistern. Keine leichte Aufgabe, denn auf der Liste der Ausbildungsberufe mit den meisten offenen Lehrstellen kommt Fleischer auf Platz zwei. Nur die Ausbildung zur Restaurantfachkraft ist noch unbeliebter. Laut Statistik des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) blieb im vergangenen Jahr fast jede dritte Lehrstelle für Restaurantfachleute in Deutschland leer.

Selbst das Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg hat Probleme, Azubis fürs Restaurantfach zu finden - obwohl das Interesse überdurchschnittlich hoch ist: Auf einen Ausbildungsplatz als Hotelfachmann, -kaufmann oder Koch kommen im Schnitt vier Bewerbungen. Doch von 55 Auszubildenden haben sich nur drei für das Restaurantfach entschieden.

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Foto: BIBB

Wie in dem Hamburger Luxushotel geht es auch insgesamt auf dem Ausbildungsmarkt zu: Hier die Wünsche, Anforderungen und Lücken der Unternehmen, dort die Interessen und Kenntnisse der Bewerber - oft wollen sie nicht zueinanderpassen. So kommt es, dass viele Schulabsolventen lange vergebens eine Lehrstelle suchen. Und Betriebe zugleich verzweifelt nach Bewerbern fahnden.

Gastronomie ist eher unbeliebt, aber für Tobias Becher, 21, ein Traum. Nach dem Abitur begann er im Vier Jahreszeiten seine Ausbildung zum Hotelfachmann und wechselte auf eigenen Wunsch ins Restaurantfach. "In der Schule haben mir viele den Vogel gezeigt, als sie gehört haben, was ich für eine Ausbildung machen will", erzählt er. "Wahrscheinlich könnte ich überall mehr verdienen. Aber das ist mir egal, ich will einen Beruf, der mir Spaß macht."

Geschirr abräumen, "das gehört einfach dazu"

Becher hat schon verschiedene Preise gewonnen, vor wenigen Wochen wurde er bei der Weltmeisterschaft der Berufe in Leipzig Zweiter. Sein Vorbild ist Ingo Peters, Direktor des Hamburger Fünf-Sterne-Hotels. Er hat Anfang der achtziger Jahre eine Ausbildung zum Restaurantfachmann absolviert.

"Das Image des Berufs hat sich über die Jahre deutlich verschlechtert", sagt Claudia Krüger, Personalleiterin im Vier Jahreszeiten. Viele setzten die Ausbildung mit einer Lehre zum Kellner gleich. Dabei seien in dem Job vor allem Führungsqualitäten gefragt: "Mit einem klassischen Oberkellner hat ein Restaurantleiter nicht mehr viel gemein."

Das kann Becher bestätigen. Bei der WM in Leipzig musste er unter anderem zehn verschiedende Spirituosen an Geruch und Farbe erkennen, die Rebsorten von Rot- und Weißweinen herausschmecken, einen Crêpe flambieren und ein Lachstartar zubereiten. Um das Abräumen des dreckigen Geschirrs kommt aber auch Becher nicht herum, "das gehört einfach dazu". Schlimm findet er's nicht: "Ich will später einmal eine Führungsposition, und Respekt von meinen Mitarbeitern kann ich doch nur erwarten, wenn ich weiß, wie es läuft."

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Um mehr Leute für Bechers Job zu begeistern, überlegt man jetzt in Hamburg sogar, den Ausbildungsberuf umzubenennen. Ähnliche Sorgen treiben auch andere Branchen um: Bei den Arbeitsagenturen sind noch 146.000 freie Plätze im Angebot, kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahrs. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag spricht von 100.000 unbesetzten Lehrstellen.

Zugleich berichten die Arbeitsagenturen jedoch von mehr als 200.000 jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen. Weitere 250.000 befinden sich in "Warteschleifen", vom Staat oder den Arbeitsagenturen finanzierte Nachqualifizierungen. Das Problem: Bei den Jugendlichen sind einige Berufe besonders beliebt, andere werden gemieden. Hoch im Kurs stehen laut Berufe-Webseite  des Instituts der deutschen Wirtschaft Mediengestalter, Landschaftsgärtner und Anlagemechaniker.

"Es bewirbt sich einfach niemand"

Manchmal ist gar nicht die Branche entscheidend. Anforderungen und Wünsche von Arbeitgebern und Arbeitsuchenden hätten sich weit auseinanderentwickelt, meint Martin Baethge. Der Sozialforscher analysiert seit Jahren für Bund und Länder im Bildungsbericht den Arbeitsmarkt. Der klassische Hauptschüler finde heute unmittelbar nach der Schule äußerst selten eine Lehrstelle, selbst mit Bestnoten.

Matthias Köfer, 21, Sanitär- und Heizungsinstallateur aus Mittelfranken, kann das nicht bestätigen: "Wer will, kriegt auch einen Ausbildungsplatz, egal, mit welchem Schulabschluss. Mein Betrieb sucht Lehrlinge ohne Ende, aber es bewirbt sich einfach niemand." Das bestätigt auch die BIBB-Statistik. Klempner ist dort nach Restaurantfachkraft und Fleischer der Beruf mit den meisten unbesetzten Lehrstellen.

Köfer versteht das nicht. Er liebt seinen Job, die Arbeit auf der Baustelle, den Zusammenhalt der Kollegen. Dabei wollte er eigentlich Elektriker werden. "Ich war damals froh, überhaupt einen Ausbildungsplatz gefunden zu haben", sagt er. Bei "den jungen Leuten", wie er die Schulabgänger nennt, sei das nun offenbar anders.

Der 21-Jährige denkt, allen geht es "nur noch ums Geld"

Nach dem Hauptschulabschluss begann Köfer die Lehre mit 15 Jahren und war in der Berufsschule mit Abstand der Jüngste. Der Trend hat sich noch verstärkt: Im Schnitt sind Azubis zu Beginn ihrer Lehre heute 19,6 Jahre alt.

Trotz des Altersunterschieds hat Köfer seine Lehre 2011 als bester seiner Innung abgeschlossen. In nationalen Vorentscheiden qualifizierte er sich zudem für die Leipziger Handwerker-WM. Die Aufgabe: ein Badezimmer konzipieren und bauen, mit Badewanne, Dusche, WC. Die ganze Belegschaft seines Betriebs kam und feuerte ihn an. Am Ende reichte es für Platz sechs und ein "Medallion for Excellence".

Dafür interessieren sich aber höchstens die Kunden, sagt Köfer, noch kein Jugendlicher habe ihn auf die WM angesprochen: "Ich habe den Eindruck, es geht allen nur noch ums Geld." In der Industrie gebe es für Azubis sicher hundert Euro mehr im Monat als in einem mittelständischen Handwerksbetrieb. "Und vielen ist unsere Arbeit wohl auch zu anstrengend."

In seiner Firma werden derzeit vier Lehrlinge ausgebildet: "Die haben gar keine Lust auf den Job." Um vermeintlich langweilige Tätigkeiten wie das Schreiben eines Berichts müsse man sie erst gar nicht bitten. "Die wollen ihr Geld kriegen und fertig." Schade sei das, findet Köfer. Wie viel Kreativität in seinem Beruf steckt, konnte er beim Vorentscheid der WM zeigen: Dort lötete er das Leipziger Völkerschlachtdenkmal aus Rohren zusammen.

Foto: Jeannette Corbeau

Autorin Verena Töpper (Jahrgang 1982) ist KarriereSPIEGEL-Redakteurin.

Foto: Beatrice Blank
Mit Material von dpa

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