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Panorama Neue Spielshow

BBC plant „Hunger Games“ für Arbeitslose und Arme

Redakteurin
In Großbritannien gibt es immer weniger Menschen, die von ihren Jobs allein leben können In Großbritannien gibt es immer weniger Menschen, die von ihren Jobs allein leben können
In Großbritannien gibt es immer weniger Menschen, die allein von ihren Jobs leben können
Quelle: picture alliance/blickwinkel/M
In Großbritannien soll demnächst eine Show starten, in der ausschließlich Arbeitslose und Geringverdiener gegeneinander antreten. Kritiker sprechen von „Hungerspielen“, um die Massen zu unterhalten.

„Poverty Porn“ nennen es die Kritiker in Großbritannien, wenn finanzielle Not im Fernsehen zur Schau gestellt wird, um die Einschaltquote in die Höhe zu treiben. Doch genau solch einen „Armutsporno“ soll nun ausgerechnet die BBC planen. Der Sender will eine fünfteilige Reality-Doku mit dem Titel „Britain’s Hardest Grafter“ zeigen, übersetzt etwa der „härteste Malocher“ oder das „beste Arbeitstier“. So weit, so nicht gerade spannend, wäre da nicht der besondere Dreh: Gegeneinander im Wettstreit antreten dürfen dabei nämlich nur Arbeitslose und Geringverdiener, um am Ende 15.000 Pfund (etwa 20.000 Euro) Siegprämie zu erhalten.

Obwohl die Dreharbeiten noch nicht angefangen haben, halten viele schon jetzt das Konzept für unsozial, reißerisch, voyeuristisch und für einen Tiefpunkt der sonst so auf ihr seriöses Image wert legenden BBC. Der Sender inszeniere regelrechte Hungerspiele – ganz so wie die Hunger Games aus der Trilogie „Die Tribute von Panem“ mit Jennifer Lawrence. Darin werden Kinder und Teenager aus den verschiedenen Regionen des Landes gewählt, um wie Gladiatoren auf Leben und Tod gegeneinander zu kämpfen. Nur wer die anderen Mitspieler ausschaltet, kann überleben – egal, wie viel Brutalität dafür notwendig ist. Der Letzte gewinnt.

Von Unterhaltung im Sinne von Hungerspielen wollen die Macher von „Britain’s Hardest Grafter“ allerdings nichts wissen. „Diese Anschuldigungen sind falsch“, teilte ein Sprecher der zuständigen Produktionsfirma, Edward Brody, der „Welt“ auf Nachfrage mit. Das Konzept werde bloß missverstanden. „Wenn die Menschen das Endprodukt sehen, werden sie erkennen, dass das Thema mit viel Sensibilität behandelt wurde.“ Man sei sich der Verantwortung für die Kandidaten bewusst und das alles sei ja auch gar kein Unterhaltungsformat. Gleichzeitig betonte er, dass sich alles noch in einem sehr frühen Planungsstadium befinde.

Lagerhalle wird zur Fabrik umgebaut

Auch die BBC verteidigt das Konzept als „seriöses soziales Experiment“, um die Auswirkungen von Arbeit auf das Leben eines Menschen darzustellen und den Niedriglohnsektor in den Fokus der Berichterstattung zu rücken. So soll die Sendung dem Publikum unter anderem ein anderes Bild des Blue Collar Worker zeigen – benannt nach dem typischen blauen Arbeitsoverall, den Berufstätige hauptsächlich in der Industrie und in Fabriken tragen. Jobs in der Branche gelten auch in Großbritannien nicht grade als besonders beliebt, Bezahlung und Bedingungen sind eher schlecht. Die Kandidaten könnten deshalb in der Sendung nun „ihren wahren Wert zeigen“, heißt es.

Um was es bei der Show aber auch gehen dürfte, ist natürlich eines: eine möglichst hohe Einschaltquote. Erstmals heftig diskutiert wurde das Konzept „Poverty Porn“ nämlich, als Channel 4 im Jahr 2014 die Reality-Doku „Benefits Street“, zu deutsch also die „Straße der Sozialleistungen“, zeigte. Darin wurden Familien der Unterschicht aus 13 Nationen ein Jahr lang ungefiltert in ihrem Alltag mit der Kamera begleitet.

Die erste Folge der Sendung erreichte eine sagenhafte Quote von 4,3 Millionen Zuschauern, später sogar noch mehr. Allerdings gingen daraufhin auch Dutzende Beschwerden ein. In der Kritik standen nicht nur der Sender wegen der Stigmatisierung der Sozialhilfeempfänger, sondern auch die Bewohner selbst, denen Faulheit und Ausbeutung des Sozialstaates auf Kosten der Steuerzahler vorgeworfen wurde. Für den Sender war die hitzige Debatte natürlich eine gelungene PR.

Kritiker wollen Sendung mit Petition stoppen

Trotz der Kritik will die BBC „Britain’s Hardest Grafter“ umsetzen, ein konkreter Sendetermin steht laut Produktionsfirma noch nicht fest. Zurzeit werden aber 25 Teilnehmer über 18 Jahren gesucht, die im Jahr weniger als 15.500 britische Pfund (umgerechnet etwa 21.000 Euro) zum Leben zur Verfügung haben. Kandidaten also, die trotz Schulabschluss oder Ausbildung entweder einen Job haben, in dem sie höchstens den Mindestlohn verdienen, oder Menschen, die gerade aktiv auf der Suche nach einer Stelle und/oder abhängig von Sozialhilfe sind.

„In jeder Folge müssen sich die Kandidaten in verschiedenen Tests und Aufgaben beweisen“, teilte die Produktionsfirma auf der Plattform Graduate Fog mit. Wahrscheinlich sei, dass eine Lagerhalle extra so umgebaut wird, dass dort Fabrikjobs nachgespielt werden können. Am Ende werde nur ein Arbeiter übrig bleiben, der ein Jahresgehalt ausgezahlt bekomme – sein Jahresgehalt, also eben auch nur 15.000 britische Pfund. Für die BBC also ein günstiges Geschäft.

Deshalb läuft nun bereits eine Onlinepetition gegen die BBC-Pläne. Initiator James Pauley sagte dem „Independent“, dass ernsthafte Probleme wie „Arbeitslosigkeit und Armut nicht das Konzept einer billigen Spielshow sein dürften, in der die Schwächsten der Gesellschaft ausgenutzt werden“. Mehr als 12.000 User unterstützen die Initiative bereits. Wohl auch, weil die Sendung einen Nerv trifft, schließlich hat Großbritannien zunehmend mit Problemen sozialer Ungerechtigkeit zu tun. 2014 sollen laut Schätzungen mindestens 13 Millionen Einwohner an der Armutsgrenze gelebt haben. Während früher vor allem Arbeitslose betroffen waren, sorgen steigende Lebenshaltungskosten, Mieten und Lohndumping dafür, dass immer mehr Menschen trotz ihres Jobs nicht mehr genug verdienen, damit es zum Leben reicht. Viele sind auf Essenspenden der Kirchen angewiesen. Daran wird wohl auch „Britain’s Hardest Grafter“ nichts ändern.

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